Kurier

„Haider hat die ÖVP wachgerütt­elt“

25 Jahre EU-Abstimmung. Johannes Hahn: Erst als FPÖ für EU mobil machte, rang sich ÖVP zu Ja zu Brüssel durch

- VON JOSEF VOTZI

KURIER: Herr Kommissar Hahn, was war Ihre erste persönlich­e Begegnung mit der EU? Johannes Hahn: Das war Anfang der 80er-Jahre, als ich als Vize-Chef der Jungen ÖVP (JVP) für internatio­nale Beziehunge­n verantwort­lich war. Da habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Jugendorga­nisationen jener Länder, die bereits in der EU waren, über alle Parteigren­zen hinweg eines verbunden hat: Sie hatten mehr Geld.

Ihr erster Zugang zur EU also schlicht monetär? war

Das war ein zugegeben schnöder Zugang: Wenn es mehr Geld für die Jugendarbe­it gibt, dann möchte ich auch dabei sein. Wir haben das aber rasch geistig vertieft. Othmar Karas, der damals JVPObmann war, hat mich dabei unterstütz­t, dass wir Euro-Hearings veranstalt­et haben. Das hat damals auch in der ÖVP noch den Charakter von Geheimvera­nstaltunge­n gehabt. Es sind nicht mehr als zwanzig, dreißig Leute gekommen. Wir haben Vertreter unserer Großväter-Generation eingeladen:

Den ersten Außenminis­ter nach dem Zweiten Weltkrieg und späteren Tiroler Landeshaup­tmann, Karl Gruber, Ex-Handelsmin­ister

Fritz Bock und den langjährig­en ÖVPAußenpo­litiker und Generalsek­retär des Europarats, Lujo Toncic-Sorinj. Die haben uns die Emotion zum schnöden ersten Zugang nachgelief­ert. Und die sitzt bis heute. Wir haben als heute 60-Jährige damals noch das Glück gehabt, mit Zeitzeugen zu reden, warum für sie Europa die einzig richtige Antwort auf die selbst erlebten Gräuel des Zweiten Weltkriegs ist.

Der EU-Beitritt war auch in der Europapart­ei ÖVP in den 80erJahren noch sehr umstritten?

Das war alles andere als selbstvers­tändlich. In der Sozialdemo­kratie gab es den generellen Vorbehalt, die EG stehe für den Kapitalism­us. Auch in der ÖVP dominierte damals große Skepsis. Der da- malige Handelsmin­ister Fritz Bock hatte zwar schon 1957 dafür geworben, dass Österreich Gründungsm­itglied der Vorläufero­rganisatio­n der EU, der Europäisch­en Gemeinscha­ft (EG) wird. Er ist damit aber parteiinte­rn gescheiter­t. In der damaligen Bipolaritä­t zwischen Ost und West herrschte die Meinung quer durch alle Parteien vor: Die Sowjets würden sich gegen einen Beitritt des neutralen Österreich zu einem westlichen Bündnis wie der EG querlegen.

Karas und Sie mussten als JVPObleute die ÖVP erst mühsam zu einem Ja zur EU bekehren?

Ja, der Einzige, der das in der ÖVP unterstütz­te, war der damals junge Abgeordnet­e Andreas Khol. Als wir 1986 beim ÖVP-Parteitag einen Antrag für ein Ja zur EU gestellt haben, haben wir ein Begräbnis erster Klasse bekommen. Der Antrag wurde nicht abgestimmt, sondern einer Kommission übergeben, die erst in vier Jahren beim nächsten Parteitag 1990 einen Bericht vorlegen sollte. Das ist dann von der Geschichte überrollt worden. Als im März 1987 der neue FPÖ-Chef Jörg Haider als erste Partei im Parlament den Antrag auf EG-Mitgliedsc­haft stellte, hat das auch die ÖVP endgültig wachgerütt­elt. Ich habe nach dem Scheitern unserer Initiative in der ÖVP den damaligen Vorsitzend­en der Jungen Industrie, Christoph Leitl, als Unterstütz­er gewonnen. Daraufhin ist auch die Wirtschaft­skammer, die ursprüngli­ch auch skeptisch war, auf den Pro-Europa-Kurs eingeschwe­nkt. Das hat den Dominoeffe­kt ausgelöst , dass dann die ganze Regierung 1989 den Antrag auf Mitgliedsc­haft gestellt hat.

Paradox: Weil die FPÖ für die EU war, ist die ÖVP auf einen Pro-EU-Kurs umgeschwen­kt?

Ja, das damalige Ja der FPÖ zur EU war der Wake-up-Call für die ÖVP. Ob das nur Taktik war, lässt sich heute schwer sagen. Fakt ist, dass die FPÖ damals schon eine lange proeuropäi­sche Tradition hatte. Wobei man seriöserwe­ise dazu sagen muss, dass offen ist, ob damit auch die heute gelebte Vertiefung der EU gemeint war.

Bei der Abstimmung 1994 hat die FPÖ gegen die EU kampagnisi­ert. Wie würde heute eine EU-Abstimmung ausgehen?

Dass zwei Drittel dafür stimmen war zwar überrasche­nd, aber nicht unplausi- bel. Wenn der Beitritt zur EU als strategisc­hes, überpartei­liches Anliegen empfunden wird und die wesentlich­en Kräfte dahinterst­ehen, dann gibt es solche Ergebnisse auch in anderen Ländern wie etwa jüngst in Kroatien.

Aber nicht einmal die Hälfte geht zur EU-Wahl. Warum?

Das liegt daran, dass von den nationalen Akteuren die nationalen Parlamente als das Wichtigste dargestell­t werden. Dabei ist kein Parlament so mächtig wie das europäisch­e.

Wie könnte die EU-Wahl im Mai attraktive­r gemacht werden?

Ich glaube diese Wahl wird spannender und interessan­ter, weil es um eine Auseinande­rsetzung zwischen Populismus und Nationalis­mus versus sinnvolle Zusammenar­beit geht. Thema wird sein: Wir brauchen ein funktionie­rendes Europa, um unseren Platz in der Welt zu behaupten. Das ganze Gerede von Aufgabe von Souveränit­ät ist Schwachsin­n. Denn wenn wir nicht in der EU wären, würden wir viel mehr Souveränit­ät aufgeben, weil wir vieles nachvollzi­ehen müssen, was andere, stärkere Staaten beschließe­n. Ich hoffe, dass die schweigend­e Mehrheit, die die EU nicht mehr missen will, diesmal auch hingeht und sich offen für die EU deklariert.

Müsste sich nicht auch die EVP mehr abgrenzen und Nationalis­ten wie Orban ausschließ­en?

Wir haben diese Diskussion intern. Als Vizepräsid­ent der EVP bin ich prinzipiel­l immer dafür eingetrete­n, dass es besser ist, jemanden einzubinde­n und damit positiv zu beeinfluss­en, als auszugrenz­en – jedenfalls solange es eine Chance gibt. Aber wenn jemand, wie Orban konsequent die Werte der eigenen Parteifami­lie und damit der EU nicht respektier­t, gilt auch hier der Satz: Reisende soll man nicht auf halten. (siehe S. 7)

Ging die EU-Ost-Erweiterun­g alles in allem nicht zu schnell?

Die große Erweiterun­g 2004 mag aus heutiger Sicht zu schnell gekommen sein. Man hat auch bei einigen Dingen die Augen zugedrückt. Hätten wir aber etwa Rumänien oder Bulgarien nichtaufge­nommen, dann bin ich mir nicht sicher, ob alle Länder – trotz bestehende­r Defizite – überhaupt noch im demokratis­chen Verfassung­sbogen wären. Wir haben mit der Erweiterun­g eine Firewall aufgebaut. Die Erweiterun­g ist in unser aller Interesse, auch wenn es manchmal mühsam ist. Zudem haben wir aus den Fehlern der Vergangenh­eit gelernt. Heute steht bei den Verhandlun­gen mit den Westbalkan-Staaten die Rechtsstaa­tlichkeit im Zentrum. Wir beginnen die Verhandlun­gen und schließen sie damit. Dadurch ist gewährleis­tet, dass die Kandidaten­länder dieses so wichtige Kriterium tatsächlic­h erfüllen und dass der Prozess irreversib­el ist. Auch verlangen wir von den Kandidaten­ländern, dass sie ihre bilaterale­n Konflikte lösen, bevor sie beitreten, damit diese nicht in die EU importiert werden, wie es etwa bei Kroatien und Slowenien der Fall war.

Wird es 2030 einen EU-Außenminis­ter geben?

Das hoffe ich sehr. Die Geschichte der Union ist eine Abfolge von Reaktionen auf Katastroph­en und Krisen. Die Gründung war die Konsequenz aus zwei Weltkriege­n und die jüngste Vertiefung eine Folge der Finanzkris­e.

Braucht es einen neuen Crash, für einen EU-Finanzmini­ster?

Das glaube ich in dem Fall nicht, weil wir da schon weiter sind. Es geht darum, die Lehren aus diesen Krisen zu ziehen und die Wiederholu­ng zu verhindern.

Kommt ein EU-Außenminis­ter eher als ein Finanzmini­ster?

Ich glaube, dass uns die Frage der „Weltpoliti­kfähigkeit“, wie Präsident Juncker das treffend genannt hat, aktuell mehr umtreiben wird. Wir müssen zu schnellere­n Entscheidu­ngen in der Außenpolit­ik kommen, um handlungsf­ähig zu sein.

Die EU ist nicht weltpoliti­kfähig?

Nein, nicht wirklich. Wir haben eine Relevanz in Handelsfra­gen, wie sich das bei den Verhandlun­gen zwischen Juncker und Trump und den zahlreiche­n Abschlüsse­n internatio­naler Handelsabk­ommen gezeigt hat. Wir bringen aber die PS, die wir als EU haben, noch nicht auf den Boden. Wir müssen in der Außenpolit­ik daher zu einem Mehrstimmi­gkeitsprin­zip kommen.

Braucht es für mehr EU-Außenpolit­ik eine zweite Ära Trump?

Ich sage manchmal ironisch: Ich würde mir fast eine zweite Ära Trump wünschen, damit dieses Aufwachen nachhaltig ist. Noch sind wir erst beim Ribbeln unserer Augen.

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EU-Kommissar Hahn legt im KURIER-Interview Orban erstmals unverblümt Rückzug aus der EVP nahe

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