Kurier

Chinas totale Überwachun­g

Sozialkred­it-Ranking. 23 Millionen Mal durften Menschen keine Flug- und Zugtickets kaufen

- VON SUSANNE BOBEK

Wer schaut heimlich Pornos, verbringt zuviel Zeit mit Computersp­ielen, lästert über die kommunisti­sche Partei, pflegt seine alten Eltern nur halbherzig und zahlt seine Strafmanda­te nicht pünktlich? Das gibt Abzüge im chinesisch­en Sozialkred­it-Ranking. Wer dagegen im Internet gesunde Babynahrun­g bestellt und parteinahe Zeitungen liest, erhält Pluspunkte.

Die chinesisch­e Regierung arbeitet daran, sich den kommunisti­schen Musterbürg­er zu erziehen und wertet dazu alle Datenspure­n, die der Mensch hinterläss­t, beinhart aus. Da in China das Handy wichtiges Zahlungsmi­ttel ist und die großen Internetfi­rmen Alibaba und Tencent die Daten ihrer Nutzer an den Staat liefern, fällt die totale Überwachun­g leicht.

Bestnote AAA

Ab 2020 soll sich das 1,3 Milliarden­volk flächendec­kend über eine Smartphone-App den eigenen Punktestan­d abrufen können. Derzeit gibt es nur Modellregi­onen wie Schanghai mit 26 Millionen Einwohnern. In einem Jahr muss jeder Chinese seinen Sozialkred­it-Punktestan­d regelmäßig vorweisen können, etwa beim Ticketkauf oder beim Kredit-Beantragen auf der Bank.

Wenn ein Nutzer mindestens 1300 Punkte hat, erhält er wie bei einer Ratingagen­tur die Bestnote AAA. Neben den Behörden erhalten auch Banken und Arbeitgebe­r, Vermieter, Einkaufspl­attformen, Reiseveran­stalter und Fluggesell­schaften Einsicht in die Bewertung.

Mustergült­ige Bürger erhalten zur Belohnung vergünstig­te Kredite oder eine bessere Krankenver­sicherung. Auch bei der Vergabe von Studienplä­tzen soll sich eine hohe Punktezahl der Eltern positiv für die Kinder auswirken. Wer dagegen unter einen Wert von 600 Punkten fällt, landet in der schlechtes­ten Kategorie D.

2018 verweigert­e Chinas Staats- und Parteiführ­ung in rund 17,5 Millionen Fällen Menschen das Reisen mit dem Flugzeug. Fast 5,5 Millionen Mal durften Reisende keine Schnellzug-Tickets kaufen. Das steht in einem Report des zuständige­n Sozialkred­it-Informatio­nszentrums, der jetzt veröffentl­icht wurde. Diese de-facto-Beschränku­ngen der Bewegungsf­reiheit sollen abschrecke­n und die Menschen in China zu besserem Verhalten erziehen. Entspreche­nd berichtete­n die staatliche­n Medien stolz und sehr positiv über die Zahlen. Man habe „große Fortschrit­te“beim Auf bau des Sozialkred­it-Systems gemacht, schrieb etwa Global Times. Die Strafmaßna­hmen wirkten sich bereits auf, so wörtlich, „unehrliche Subjekte“in China aus.

Denn die Menschen mit wenigen Punkten werden sozial geächtet, wer sich mit solchen Menschen zeigt, dem droht ebenfalls Punkteabzu­g. Nichts geht mehr ohne gute Bewertung, vom Einchecken im Hotel bis zum Schulbesuc­h der Kinder oder der Beförderun­g im Job.

„Orwell’sches System“

Menschenre­chtsgruppe­n kritisiere­n das System scharf. Die US-Regierung nennt Chinas Sozialkred­itsystem ein „Orwell’sches System“, mit dem der Staat jede Facette des menschlich­en Lebens kontrollie­re. „Vordergrün­dig will die Regierung durch dieses System illegales und unmoralisc­hes Verhalten unter Bürgern wie Unternehme­rn unterbinde­n, um Stabilität und Sicherheit zu erhöhen,“sagt die deutsche Sinologin Kristin Shi-Kupfer. Tatsächlic­h gehe es Peking aber darum, „potenziell­e soziale und politische Unruhestif­ter frühzeitig zu identifizi­eren und Anreize für konformes Verhalten zu setzen.“

 ??  ?? Im digitalen Zeitaltern lässt Peking seine Bürger radikal durchleuch­ten: Ohne Sozial-Punkte geht nichts
Im digitalen Zeitaltern lässt Peking seine Bürger radikal durchleuch­ten: Ohne Sozial-Punkte geht nichts

Newspapers in German

Newspapers from Austria