Das Spiel mit der Sucht
Abgezockt. Eine Studie zeigt, dass jeder siebente Gamer ein Suchtrisiko hat. So werden Jugendliche angelockt
Fortnite, Minecraft, FIFA. Für die einen sind die Namen der Computerspiele Fremdwörter. Für die anderen – meist Eltern von Jugendlichen – sind es die Auslöser heftiger Familienkonflikte.
Und das nicht ohne Grund, wie eine Studie im Auftrag der deutschen Krankenkasse DAK zeigt. Deren Vorstand Andreas Storm warnt: „Die Ergebnisse zeigen, dass die Spieleindustrie clever die Aufmerksamkeit der Jugend fesselt und ihnen für vermeintlich kostenlose Spiele mehr und mehr Taschengeld entlockt.“Das hat dramatische Folgen. Manche werden zu RisikoGamern – Spieler, die mehr Geld ausgeben, häufiger in der Schule fehlen und eher emotionale Probleme haben als unauffällige Spieler.
Klar, Spielen gehört für 12- bis 17-Jährige zum Alltag: Fast alle Burschen spielen regelmäßig Computerspiele – 2,5 Stunden täglich während der Woche und fast vier Stunden am Wochenende (Grafik), Mädchen weniger.
Das ist kostspielig: Im Durchschnitt gaben Jugendliche in den vergangenen sechs Monaten 144 Euro aus, manche nur wenige Euro, andere bis zu 1000 Euro. Sie kaufen Spiele wie FIFA und Fortnite oder geben ihr Geld für „In-App-Käufe“aus – mit deren Hilfe kann man etwa in das nächste Level aufsteigen. So kommen Gratisspiele neben der Werbung zu deutlichen Mehreinnahmen. Für Storm eine dramatische Entwicklung: „Wenn Computerspiel zum Glücksspiel wird, müssen wir handeln.“
Riskantes Verhalten
„15 Prozent der regelmäßigen Gamer zeigen ein riskantes Spielverhalten im Sinne einer Gaming-Sucht“, betont Rainer Thomasius vom Deutschen Zentrum für Suchtfragen des Kindes und Jugendalters, das die Studie durchgeführt hat. Jeder Zehnte die- ser Risiko-Jugendlichen fehlte im vergangenen Monat sogar mehr als eine Woche in der Schule oder Ausbildung. Fast jeder Zweite ist hyperaktiv oder kann sich nicht konzentrieren.
Doch wann ist ein Jugendlicher süchtig? Ein deutliches Symptom für Spielsucht ist es, wenn Jugendliche ihre Ausbildung, ihre Hobbys und ihre sozialen Kontakte vernachlässigen, erklärt der renommierte Psychiater Kurosch Yazdi (siehe Interview unten): „Bei Kindern und Jugendlichen ist das besonders dramatisch. Sie haben noch keine abgeschlossene Ausbildung, sich noch nichts aufgebaut und auch ihre sozialen Kompetenzen sind noch nicht vollständig erworben.“Die Studie zeigte, dass neben anderen Faktoren Geld ein Gradmesser der Spielsucht ist, so Thomasius: „Je stärker die Gamer ein suchtähnliches Verhalten beschrieben, desto mehr Geld investierten sie in Spiele.“
Gruppe statt alleine
Er erklärt die Methoden, die Jugendliche hineinkippen lassen. Statt auf bauender Levels bieten die Spiele sehr komplexe Welten, die sich ständig verändern – man kommt also nie ans Ziel. Sie gehen rund um die Uhr weiter und oft kann man keine Zwischenstände abspeichern, der Spieler hat daher das Gefühl, dass er etwas verpasst. Manche Aktivitäten können nur zu einer fixen Uhrzeit absolviert werden, etwa das Öffnen einer Überraschung.
Ein wichtiger Faktor beim Suchtverhalten ist die stärkere Individualisierung der Spielfiguren gegenüber früheren Spielen, betont Thomasius: „Das Schwierigkeitsniveau wird an die Fertigkeiten der Spieler angepasst. Dem Spieler kann so rückgemeldet werden, dass er gut ist, er erlebt sich als selbstwirksam. Mit sogenannten ‚Skins‘ kann ein Spieler seine Figur verbessern; auch ein wichtiger Faktor, dass er sich schwerer vom Spiel entfernt.“
Heutige Online-Spiele entsprechen auch nicht mehr dem Klischee des Ein- zelkämpfers: Die Spieler schließen sich zu Teams oder Clans zusammen und kommunizieren über Kopfhörer miteinander. Diese Zugehörigkeit erhöht aber den Druck, gute Leistungen mit der Spielfigur zu erbringen und viel Zeit einzusetzen.
Ein weiterer Suchtfaktor und gleichzeitig auch ein finanzieller Aspekt sind die Belohnungen für gutes oder langes Spielen. Eine sogenannte „Loot-Box“ist eine Überraschungskiste, die man zufällig gewinnt, mit Spielgeld erwerben oder mit echten Euros kaufen kann. Ein dramatisches Lockmittel, so Thomasius: „In Belgien und den Niederlanden sind LootBoxen bereits verboten.“