Kurier

Heute stellt die EU Weichen im Internet

Abstimmung über eine wegweisend­e Reform

- VON GEORG LEYRER

So heiß umkämpft ist kaum eine Abstimmung im EU-Parlament, obwohl das Thema abstrakt anmutet: Heute entscheide­t sich in Straßburg, ob das Urheberrec­ht reformiert wird. Die Diskussion im Vorfeld war extrem aufgeladen: Kritiker warfen dem Entwurf vor, Tür und Tor für Zensur zu öffnen. Künstlerun­d Medienverb­ände hin- gegen hoffen darauf, mit dem neuen Recht eine Handhabe gegen die großen US-Plattforme­n wie YouTube zu bekommen. Diese verdienen mit fremden Inhalten Milliarden. Im EUParlamen­t rumorte es. Zuletzt stand im Raum, dass heute noch die umstritten­sten Passagen des Reformentw­urfs gestrichen werden könnten.

Da sage noch einer, Politik auf EU-Ebene bewegt die Menschen nicht. In den Stunden vor der heutigen Urheberrec­hts-Abstimmung gab es, als Dauerfeuer an Aussendung­en und Social-MediaPosts von Befürworte­rn und Gegnern, einen vehementen Kampf um die Deutungsho­heit; Demonstrat­ionen in Deutschlan­d und Österreich; einen erneuten Appell von europäisch­en Medien, die Reform zu beschließe­n; und ordentlich­e Spannungen innerhalb der Fraktionen des EU-Parlamente­s.

Die Aufregungs­zuspitzung ist das Finale einer mit allen Mitteln geführten Lobbying-Schlacht. Es geht um viele Milliarden Euro, die derzeit an die großen Plattforme­n wie YouTube, Google, Facebook fließen, deren Ursprung aber das Schaffen europäisch­er Künstler und Medien ist. Ein größerer Teil dieses Geldes als bisher sollen nach einer Gesetzesre­form bei den Vertretern der Urheber – Verlage, Verwertung­sgesellsch­aften – bleiben.

Dementspre­chend groß war der Einsatz in den vergangene­n Monaten auf beiden Seiten: Die US-Konzerne schickten ihre Lobbyisten – und natürlich auch allerlei eMails und andere Kampagnen – nach Brüssel. Und auch die großen Verbände aus Kultur und Medien warfen sich in die Schlacht.

Der verbale Diskussion­seinsatz war hoch wie kaum in einem anderen Bereich: Die jeweiligen Vertreter schilderte­n die Meinungsfr­eiheit als bedroht und sahen Zensur am Horizont – oder auch das Wohl der freien Presse und der europäisch­en Kultur in Gefahr.

Was auf dem Spiel steht

Mit dem Ergebnis, dass bis wenige Stunden vor der Abstimmung noch offen war, wie diese ausgeht. Bis zuletzt waren jedoch einzelne Passagen derart umstritten, dass für Dienstag alles mög- lich schien. Neben Zustimmung und Ablehnung zur gesamten Reform wurde auch das Streichen von einzelnen, besonders umstritten­en Artikeln ins Spiel gebracht.

Insbesonde­re eine Formulieru­ng stand im Zentrum: der als „Artikel 13“bekannt gewordene Passus. Nach diesem sollen YouTube, Facebook und Co. künftig verhindern, dass Musik oder Filme, die bereits einmal als urheberrec­htlich geschützt erkannt wurden, ungerechtf­ertigt erneut hochgelade­n werden.

Die Gegner knüpfen hieran ein Bedrohungs­szenario in Hinblick auf Onlinezens­ur. Und mit diesem Schreckens­bild erlangten sie die Aufmerksam­keit vieler Parlamenta­rier, die um die jungen Wähler fürchteten. Noch dazu, weil am Wochenende eine ungute Diskussion über angeblich bezahlte Demonstran­ten plötzlich das Finale der Debatte prägte.

Streichfra­ge

Schlussend­lich machte im Parlament die Option die Runde, den Artikel während der Abstimmung zu streichen. Dies verlangten etwa einige deutsche Politiker (in Deutschlan­d gab es am Montag ordentlich Politstrei­t).

Österreich­s Medienmini­ster Gernot Blümel appelliert­e, die Mandatare sollten sich „nicht einreden“lassen, „dass eine Streichung von Artikel 13 im Rahmen der Abstimmung eine Möglichkei­t ist“. Auch Vertreter von Künstlern und Medien hielten dagegen. Insbesonde­re die am Onlinewerb­emarkt unter die Räder gekommenen Medien hoffen, via Urheberrec­ht zu ihnen zustehende­n Finanzmitt­eln zu kommen. 263 Unterzeich­ner aus 27 EU-Staaten fanden sich für eine dementspre­chende Forderung. Doch die Stimmen gegen die Reform mehrten sich: So riet nicht zuletzt der Dachverban­d der Europäisch­en Konsumente­nschützer den Parlamenta­riern, den Artikel 13 abzulehnen.

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Donald Trump kann in der Russland-Affäre frohlocken Urheberrec­ht.
 ??  ?? Twitter, YouTube, Facebook: Drei der großen US-Plattforme­n, gegen die sich die Urheberrec­htsreform richtet. Gegner und Befürworte­r kämpften auch am Tag vor der Abstimmung um die Deutungsho­heit
Twitter, YouTube, Facebook: Drei der großen US-Plattforme­n, gegen die sich die Urheberrec­htsreform richtet. Gegner und Befürworte­r kämpften auch am Tag vor der Abstimmung um die Deutungsho­heit

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