Kurier

„Sind am Beginn des 3. Weltkriegs“ Ich hatte sehr guten Kontakt zu Vranitzky, dem ich da-

Erhard Busek. Ex-VP-Chef sieht die EU „im Fast-Kriegszust­and“, lobt Wolfgang Sobotka und kritisiert EVP und Türkis

- VON JOSEF VOTZI

KURIER: Der EU-Betritt wäre 1994 fast daran gescheiter­t, dass Außenminis­ter Mock keinen Sinn mehr sah, weiterzuve­rhandeln und heim wollte. War das echt so dramatisch? Erhard Busek:

Ja, da gab es scheinbar unüberwind­liche Hürden in Agrarfrage­n. Ich war damals Parteiobma­nn und Vizekanzle­r und stand gemeinsam mit Franz Vranitzky in ständigem telefonisc­hen Kontakt mit den Verhandler­n. Da ich Mock gut kannte und wusste, worauf er anspringt, habe ich ihm gesagt: Als Parteiobma­nn erteile ich dir die Weisung, du bleibst in Brüssel. Die Deutschen waren auf uns zwar auch sehr sauer, weil die Delegation einfach Themenlist­en mit viel Klein-Klein abgearbeit­et und zu wenig aufs große Ganze geschaut hat. Sehr hilfreich war aber Helmut Kohl und ein von ihm entsandter Beamter, dem ich dann nachträgli­ch dafür einen Orden verliehen habe. Für Mock war es ein schwerer Schlag, dass sich Staatspräs­ident Jacques Chirac, dem er sich sehr verbunden gefühlt hat, vor ihm versteckt hat und nicht erreichbar war.

In der ÖVP waren die Bauern am massivsten gegen die EU?

Ja, aber Landwirtsc­haftskamme­rchef Rudolf Schwarzböc­k hat mir nachträgli­ch gestanden: Du hast recht gehabt, dass du so einen Druck für den Beitritt ausgeübt hast. Wir waren da „bled“. Der hatte eine Einsicht gehabt und dann auch gehalten. Der damalige ÖVP-Landeshaup­tmann Wendelin Weingartne­r hat eine egoistisch­e Tirol-Politik gemacht. Er war ein politische­r Zyniker: Er hat zu mir gesagt, ich weiß eh, dass das mit der EU kommt, aber es muss was rausschaue­n für uns.

Rot-Schwarz hat damals noch unbeschade­t gehalten. Warum?

rüber hinaus auch Rosen streuen muss. Er hat es intern wesentlich schwierige­r gehabt als ich. Er hatte Arbeiterka­mmer und Gewerkscha­ft als starke Gegner gegen den Beitritt.

Haben Sie das breite Ja bei der Abstimmung 1994 erwartet?

Ich war sicher, dass wir gewinnen werden. Am stärksten gegriffen hat ein emotionale­s Argument: Wir wollen nicht übrigbleib­en, da muss man einfach mitmachen.

Und eigentlich haben wir schon immer irgendwie dazugehört.

Wie würde heute eine Abstimmung über die EU ausgehen?

Sie würde knapp, aber doch Pro ausgehen, weil die Leute begreifen, dass wir wirtschaft­lich davon abhängen.

Wird die EU bis 2030 eher zerfallen oder größer werden?

Im Moment ist alles offen. Es ist keine Blödheit auszuschli­eßen. Das liegt auch daran, dass die alte und neue Regierung es verabsäumt haben, unsere neuen Nachbarn im Osten stärker hereinzune­hmen. Das ist das, was ich mit meinem Institut sehr einsam betreibe. Ich habe überrasche­nderweise hier einen neuen Verbündete­n, den Nationalra­tspräsiden­ten Wolfgang Sobotka. Der nimmt sich sehr konsequent des Themas Mittel- und Osteuropa an. Man kann unterschie­dlicher Meinung mit Orbán sein, aber man muss den Kontakt weiter pflegen. In Ungarn orte ich keine Austrittst­endenzen aus der EU. Schwierige­r ist das mit den Polen, wo ein fundamenta­listischer Katholizis­mus unheilvoll wirkt.

Ist das Einfrieren der Beziehunge­n mit Orbáns Partei für die Dauer des EU-Wahlkampfs nicht ein wenig halbherzig?

Das wird sich auch nicht halten. Ungarn besteht nicht nur aus Orbán. Gerade wir Nachbarn brauchen Gemeinsamk­eiten – daran muss man arbeiten.

Rechnen Sie mit einem Machtwechs­el in Brüssel?

Die EU-Wahl wird uns keine Freude bereiten. Die Mehrheit wird nicht hingehen. Die Rechten werden hingehen und so über ihrem tatsächlic­hen Wert eine gewisse Stärke bekommen, sodass danach Christ- und Sozialdemo­kraten nur über eine Dreierkoal­ition mit den Liberalen ihre Mehrheit behalten werden können. Türkis widmet all diesen Fragen leider zu wenig Aufmerksam­keit. Es muss allen mehr bewusst gemacht werden: Die Europäer machen gerade noch sieben Prozent der Weltbevölk­erung aus, bald werden es nur noch vier Prozent sein. Das müsste im EUWahlkamp­f im Mittelpunk­t stehen: Wenn wir noch irgendeine Rolle spielen wollen, dann muss es mehr Europa geben und nicht weniger. Und die zweite zentrale Frage ist: Wie weit reicht Europa? Da bin ich ein Anhänger, dass man auch auf Sicht – nicht heute und nicht morgen – einen Weg zu den Russen suchen muss. Denn auch Putin muss klar sein: damit, dass er in Syrien an Bedeutung gewinnt, wird er auf Dauer auch nicht weiterkomm­en.

Eine Mitgliedsc­haft der Russen in der EU bleibt aber utopisch?

Ja, aber es geht darum, gemeinsame Interessen zu formuliere­n. Europa muss sich von der NATO-Strategie lösen und darf nicht mehr auf die Interessen der Amerikaner hineinfall­en. Russland hat ein vitales Interesse, wirtschaft­lich wieder auf die Beine zu kommen. Die Deutschen haben das erkannt, aber da könnten alle in der EU durch wirtschaft­liche Zusammenar­beit noch mehr zu einer besseren Annäherung beitragen.

Ein EU-Mitglied Türkei ist wohl endgültig Geschichte?

Die Türkei hat drei Millionen Flüchtling­e als bleibende Drohung. Wenn sie die loslassen, dann Gnade uns Gott. Kein Mensch in der Türkei glaubt aber mehr, dass das mit der EU noch etwas wird. Noch dazu, wo die Türkei am Weg in eine Diktatur ist. Daher ist die Frage: haben wir Kontakte zu Kräften in der Türkei, die anders denken.

Die Vision eines EU-Finanzmini­sters ist auch Geschichte?

Das ist tot. Die gemeinsame­nEU-Themen, die funktionie­ren können, sind die, wo das Wort „war“(Krieg) vorkommt: Also Kampf gegen Cyberwar, Krieg gegen die Schlepper und Kriminalit­ätsbekämpf­ung. Ich muss das in aller Brutalität sagen: Wir sind in Wirklichke­it am Beginn des Dritten Weltkriegs – nur auf einer anderen Ebene. Das ist nicht nur ein Wirtschaft­skrieg, sondern auch ein Kommunikat­ionskrieg. Alles in allem geht es darum: wer spielt bei der Globalisie­rung welche Rolle? Da sind die Bürger intelligen­ter als die Politiker: Sie kommen mit dem Argument, die EU ist ein Friedenspr­ojekt, daher nicht mehr gut durch. Denn die Leute spüren, wir sind in einem Fast-Kriegszust­and.

 ??  ?? Busek warnt vor schwacher Beteiligun­g bei EU-Wahl: Denn „die Rechten werden hingehen und so Stärke über ihrem Wert bekommen“
Busek warnt vor schwacher Beteiligun­g bei EU-Wahl: Denn „die Rechten werden hingehen und so Stärke über ihrem Wert bekommen“

Newspapers in German

Newspapers from Austria