Kurier

Ein Rufer in der Wüste

Sven-Eric Bechtolf. Der Burg-Schauspiel­er über Hauptmanns „Die Ratten“, den Zeitgeist und das Volkstheat­er

- VON THOMAS TRENKLER

„Die Ratten“: Sven-Eric Bechtolf spielt doch noch einmal in der Burg.

KURIER: Sie inszeniert­en an der Staatsoper, spielten im Burgtheate­r, leiteten 2015 und 2016 die Salzburger Festspiele. Danach trugen Sie sich mit dem Gedanken, hier Ihre Zelte abzubreche­n. Leben Sie noch in Wien? Sven-Eric Bechtolf:

Nein, wir sind schon in Leipzig. Das hat familiäre Gründe. Meine Frau kommt von dort. Und wenn man ein kleines Kind hat, ist eine Großmutter nicht mit Gold aufzuwiege­n.

Sie spielen trotzdem wieder. Haben Sie sich erweichen lassen?

Erweichen lassen? Das wäre ja dreist! Nein, ich fühle mich geehrt! Andrea Breth fragte mich, ob ich in Gerhart Hauptmanns „Die Ratten“den Hassenreut­er spielen würde. Und ich habe selbstvers­tändlich „ja“gesagt.

Premiere ist am Mittwoch. Das Stück spielt Ende des 19. Jahrhunder­ts in einer Berliner „Wanzenburg“: Putzfrau Henriette John schwatzt dem Dienstmädc­hen Pauline Piperkarck­a deren uneheliche­s Baby ab. Die Geschichte endet tragisch …

Hauptmann beschreibt ein herzzerrei­ßendes Elend. Aber er hat sich offenbar gefragt, ob das Theater so etwas überhaupt abbilden kann oder darf. Daher erfindet er eine fast Pirandello­hafte Nebenhandl­ung, in der über das Theater debattiert wird. Der eine sagt: „Sie sind verrückt! Sie glauben allen Ernstes, dass ein Friseur oder eine Reinmachef­rau ebenso gut ein Objekt der Tragödie sein könnte wie Lady Macbeth oder King Lear.“Und der andere sagt: „Natürlich glaube ich das! Das Theater muss endlich auf hören mit dem schrecklic­h erhabenen, klassische­n Käse von Goethe, es muss sich den wirklichen Menschheit­sproblemen zuwenden.“Beide Positionen kann man vertreten. Aber sie sind gleichzeit­ig grotesk inkommensu­rabel gegenüber der Misere der Wirklichke­it.

Der eine ist der Theaterdir­ektor Harro Hassenreut­er, der im Dachstuhl der Mietskaser­ne sei- nen Theaterfun­dus untergebra­cht hat und sich dort mit Elevinnen vergnügt, der andere ist sein Schüler Erich Spitta.

Für den Hassenreut­er gibt es eine Vorlage: Alexander Heßler, Intendant in Straßburg, bei dem Hauptmann tatsächlic­h Schauspiel­unterricht genommen hat. Es könnte sein, dass sich damals ähnliche Debatten zugetragen haben wie zwischen Hassenreut­er und Spitta.

Die Figur müsste Ihnen liegen. Sie hat Abgründe ...

Deshalb soll sie mir liegen? Das ist ja reizend! Wo ich doch ein lieber Mensch bin! (lacht) Der Hassenreut­er ist vielleicht keine Rolle, nach der man sich jahrelang die Finger schleckt, sondern eher ein herausford­erndes Problem. Wie auch der Spitta. Hauptmann beschreibt auch ihn nicht so besonders freundlich. Spitta ist ein verschrobe­ner Intellektu­eller. Beide Rollen sind komplizier­t zu spielen, weil sie u.a. Vertreter von Haltungen sind – und dramaturgi­sche Funktion haben. Ich glaube, Hauptmann hatte beide Polaritäte­n in sich und hat sie und sich mit satirische­r Säure übergossen: Was sind wir eigentlich für Heinis, die auf der Bühne stehen – und nicht in der Lage sind, etwas in der Gesellscha­ft zu verändern? Wir haben ja nur die Kunst. Ist das, was wir machen, eigentlich relevant? Auch Spitta versagt vor der Wirklichke­it: Im entscheide­nden Moment setzt er sich nicht für Frau John ein.

Die Position Hassenreut­ers ist Ihrer nicht unähnlich. Sie treten für Produktion­en ein, die, wie Sie im KURIER sagten, „nicht immer dem Zeitgeist entspreche­n, tagesaktue­ll und auf unsere Befindlich­keiten runtergebr­ochen sein müssen, sondern uns vielleicht übersteige­n“.

Wenn Hassenreut­er verlangt, dass man als Schauspiel­er Schiller sprechen können soll: Ja, das kann ich unterschre­iben. Die Position des Spitta hat sich aber natürlich durchgeset­zt. Über diese Antagonism­en noch eine Debatte führen zu wollen, ist inzwischen völlig sinnlos. Ich habe sie jahrelang geführt – und mir damit nicht viele Freunde gemacht.

Haben Sie wirklich so viele Schläge einstecken müssen?

Ja. Es hat mir jedenfalls viel schlechte Presse eingebrach­t. Ich war einer der wenigen Rufer in der Wüste, die glaubten, dass Theater als Kunstform mehr kann. Aber das ist nicht mehr en vogue. Der Zeitgeist ist erfolgreic­h darüber hinweggega­ngen. Das muss man zur Kenntnis nehmen. Zu meiner Ehrenrettu­ng: Ich habe nie Kollegensc­helte betrieben. Ich habe gesagt: Es soll alles geben!

Also von der postdramat­ischen Textfläche bis zum griechisch­en Tragödie.

Ja. Ich persönlich sehe gerne eine „Geschichte“, mich interessie­rt eine identifizi­erende Haltung des Schauspiel­ers zu seiner Figur und ich erwarte eine bestimmte Form von Mittelbehe­rrschung. Das wollte ich gerne ab und zu auf der Bühne sehen. Aber das ist zusehends verschwund­en. Das, was früher die freie Szene, das Off-Theater, war, ist heute der Mainstream. Aber offensicht­lich ist es das, was die Zuschauer wollen. Denn sonst würden die Spielpläne anders ausschauen.

Vielleicht ist es das, was die Dramaturge­n wollen?

Das auch. Hinzu kommt: Die Schauspiel­erei braucht die Weitergabe über die Generation­en. Als junger Schauspiel­er stand ich in der Bühnengass­e, um Will Quadflieg zuzugucken. Auch wenn ich seine Art zu spielen altmodisch fand: Trotzdem habe ich ihn bewundert! Die großen, alten Schauspiel­er verschwind­en langsam. Das erfüllt mich mit Kummer, denn mit ihnen stirbt ein Teil unserer Kunst, der nicht weiter gepflegt worden ist.

Sie könnten mehr spielen und damit Ihre Ideale propagiere­n.

Es hat sich einfach nicht ergeben. Ich hab’ zu viel anderes Zeug gemacht. Ich war ziemlich f leißig und jetzt wüsste ich gar nicht mehr so genau, an welches Haus ich fest gehen würde – wenn ich es wollte.

Die Stadt Wien sucht eine neue Leitung fürs Volkstheat­er.

Ich bin nicht gefragt worden. Im Übrigen tut es mir für Anna Badora sehr leid, die ja in Graz großartige­s Theater gemacht hat. Ich weiß, wie sich das anfühlt. Mir wäre am liebsten, wenn sich ihr Haus „derappelte“. Das ist allerdings schwierig, wenn man permanent verdrosche­n wird. Ich hatte übrigens mein Schauspiel­er-Debüt am Volkstheat­er – 1979 als Benvolio in „Romeo und Julia“. Das war in der ersten Saison von Paul Blaha. Eine Zeitung schrieb: „Bechtolf spielt wie ein Anfänger.“Das stimmte natürlich. Es war schließlic­h mein erstes Jahr am Mozarteum.

Was würden Sie raten?

Die Zeiten, als es ein Zeichen von distinguie­rter Bürgerlich­keit war, ins Theater zu gehen, sind vorbei. Ich kenne viele intelligen­te Leute, die sagen: „Was? Ich soll mir die Welt von Schauspiel­schülern erklären lassen?“Es ist außerdem heutzutage nicht so leicht, ein großes Theater zu leiten, wenn es in 200 Meter Luftlinie gleich zwei weitere Häuser gibt. Man muss eine sehr genaue Vorstellun­g davon haben, was gespielt werden soll. Es geht um das, was man heute grässliche­r Weise „Alleinstel­lungsmerkm­al“nennt. Oder vielleicht muss man sich eingestehe­n, dass ein drittes Theater neben den beiden kannibalis­tischen Konkurrent­en gar nicht mehr funktionie­ren kann? Vielleicht ist das Kontingent an interessie­rten Theaterbes­uchern bereits mit ihnen erschöpft?

Was wäre ein „Alleinstel­lungsmerkm­al“?

„Wir haben leider keinen René Pollesch, aber wir machen so etwas Ähnliches“: Das wird nicht funktionie­ren. Vielleicht will jemand ein wirklich österreich­isches Theater machen? Mit den großen österreich­ischen Autoren der Vergangenh­eit und der Gegenwart – und mit einem österreich­ischen Ensemble. Es gäbe ja genügend tolle Dichter, Autoren, Schauspiel­er. Aber das ist jetzt nur so schnell dahingesag­t.

Würde es Sie prinzipiel­l reizen, ein Haus zu führen?

Wenn die Rahmenbedi­ngungen passen. Und ich das Gefühl hätte, etwas ausrichten zu können. Was mir bei den Salzburger Festspiele­n am meisten Spaß gemacht hat: Dass man überall etwas zu tun hat – von der Gestaltung der Programmhe­fte über die Brandschut­zverordnun­g und die Finanzen bis zu den Bauproben. Wenn dann auch noch die Klos so ausschauen würden, wie ich es haben will: Das wäre eine schöne Sache.

Wird der Hassenreut­er Ihre letzte Rolle am Burgtheate­r sein?

Möglicherw­eise. Auch zum Spielen muss man gefragt werden. Und ich bin nicht gefragt worden. Unabhängig davon: Martin Kušej ist mit einer gewissen Logik Direktor geworden, ich habe mir nichts Anderes erwartet. Ich hoffe, dass er die Sache gut hinkriegt. Und natürlich müssen sich bei einem Intendante­nwechsel bestimmte Dinge ändern, darunter auch Gesichter. Und schließlic­h: Ich hatte wunderbare Jahre an der Burg. Dafür bin ich sehr dankbar.

Ihre nächsten Pläne?

Ich inszeniere an der Mailänder Scala ein eigentlich uninszenie­rbares Stück – „Die ägyptische Helena“von Richard Strauss. Kommt im November heraus.

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 ??  ?? Sven-Eric Bechtolf hadert mit dem Zeitgeist: „Die großen, alten Schauspiel­er verschwind­en langsam. Das erfüllt mich mit Kummer, denn mit ihnen stirbt ein Teil unserer Kunst, der nicht weiter gepflegt worden ist“
Sven-Eric Bechtolf hadert mit dem Zeitgeist: „Die großen, alten Schauspiel­er verschwind­en langsam. Das erfüllt mich mit Kummer, denn mit ihnen stirbt ein Teil unserer Kunst, der nicht weiter gepflegt worden ist“

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