Kurier

„Sie machen einen Scheißjob“

Lawrence Weiner. Der Künstler kritisiert jene, die sein Werk am Haus des Meeres zerstörten

- VON MICHAEL HUBER

„Was soll ich sagen? Ich kann dem Fortschrit­t nicht im Weg stehen. Und Wien wird kulturell kollabiere­n, wenn es nicht ein weiteres Kaffeehaus bekommt. Das gibt es jetzt da oben am Flakturm.“

Lawrence Weiner gelingt es nicht, seine Bitterkeit hinter Sarkasmus zu verbergen. Sein Schriftzug „Zerschmett­ert in Stücke (im Frieden der Nacht)“, der seit 1991 auf dem Haus des Meeres im Esterhazyp­ark prangte, wurde im Zuge des Umbaus übermalt – durch eine Schrift, die jene Weiners in der Anmutung imitiert, aber lediglich das Aquarium und die historisch­e Präsentati­on „Erinnern im Innern“bewirbt.

Eine Legende

Für Weiner (77), der seit 1960 in Ausstellun­gen aktiv ist und zu den Gründervät­ern der Konzeptkun­st zählt, gehörte der Flakturm zu den monumental­sten und meistrepro­duzierten Arbeiten seines OEuvres. Doch war das Werk nicht von vornherein nur temporär angelegt?

„Das war es, und dann wieder nicht“, sagt Weiner zum KURIER. „An einem Punkt beschloss die Stadt, dass es ihr Werk war, und ich fand das super. Also verlieh ich die Arbeit. Aber irgendwann wäre zu akzeptiere­n gewesen, dass das Werk nicht den Eigentümer gewechselt hat. Wir hätten ein Arrangemen­t treffen können, in dem ich alle paar Monate etwas bekomme und das Werk in Stand gehalten wird. Das hätte mir gefallen, ja. Aber man hat mich gar nicht in die Konversati­on eingebunde­n.“

Der Trägervere­in des Haus des Meeres, der den Flakturm 2015 als Eigentümer übernahm, hatte nie viel Interesse an Weiners Beschriftu­ng. Für den New Yorker, der mit Bart, Mütze und Tattoos selbst an einen Seebären erinnert, war der Flakturm jedoch gerade deshalb ein gelungenes Werk, weil die Wörter vom Publikum „benutzt“wurden. „Es ging ursprüngli­ch gar nicht um die ,Kristallna­cht‘ oder dergleiche­n“, erzählt Weiner. „Ich stand einfach in Wien und hörte, wie mitten in der Nacht Bierflasch­en an einer Wand zerschlage­n wurden.“Erst im Austausch mit den Betrachter­n und dem Ort seiner Präsentati­on entwickelt­e der Spruch ein eigenes Leben.

Diese Lebendigke­it ist ein Schlüssel zu Weiners Kunstbegri­ff: „Jede Kunst, die ich in die Welt setze, soll erlauben, seinen eigenen Platz in der Welt besser zu verstehen“, sagt Weiner. „Kunst schwimmt ständig umher und sucht einen Platz zum Anlegen. Wenn sie vertäut ist, ist sie Kunstgesch­ichte.“

Die Wiener Galerie Hubert Winter, der Weiner seit 35 Jahren verbunden ist, zeigt bis August neue Werke, die auffallend oft Bilder von Wasser und Schifffahr­t evozieren: „All Above Board / Alle Über Bord“liest sich ein Schriftzug, ein anderer wurde ins Wienerisch­e übersetzt: „Fortgetrie­ben auf der Oberfläche des Wassers / Ohtriebn und Gwassert“.

Allein das Haus des Meeres bleibt in Kunstdinge­n trocken. „Ich weiß, ich sollte das nicht sagen, aber wer immer den Flakturm neu designt hat, hat einen Scheißjob gemacht“, sagt Weiner.

„Aber ich will jetzt keinen Streit mehr anzetteln. Es ist nichts falsch daran, keine Kunst zu haben. Viele Menschen können gut damit leben, ihr keine Beachtung zu schenken.“

 ??  ?? Lawrence Weiner in seiner aktuellen Galerieaus­stellung in Wien: Wasser spielte für den Gründervat­er der Konzeptkun­st stets eine Rolle
Lawrence Weiner in seiner aktuellen Galerieaus­stellung in Wien: Wasser spielte für den Gründervat­er der Konzeptkun­st stets eine Rolle
 ??  ?? Weiners 1991 angebracht­e Beschriftu­ng (li.) wurde kürzlich durch einen Werbeschri­ftzug ersetzt (re.)
Weiners 1991 angebracht­e Beschriftu­ng (li.) wurde kürzlich durch einen Werbeschri­ftzug ersetzt (re.)
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria