Kurier

Kurz mal weg

REGIERUNGS­KRISE

- VON BERNHARD GAUL UND WOLFGANG ZAUNBAUER

Rot-Blau-Jetzt stürzen im Nationalra­t die türkise Minderheit­sregierung. Der abgewählte Kanzler arbeitet bereits an seinem Comeback. Hartwig Löger übernimmt, bis es die Übergangsr­egierung gibt.

Historisch­e Ereignisse können recht formal, ja fast banal vonstatten­gehen. So war es am Montag um 16.14 Uhr, als der Nationalra­t der Bundesregi­erung das Vertrauen versagte. 185 Misstrauen­santräge hatte es in der Zweiten Republik bisher gegeben. Der 186. Antrag hatte Erfolg.

Ein noch nie da gewesener Vorgang.

Nach drei Stunden Debatte im Hohen Haus verlief der denkwürdig­e Akt in üblicher Parlaments­routine. Die Zweite Nationalra­tspräsiden­tin Doris Bures (SPÖ) stellte eine Mehrheit aus SPÖ, FPÖ und Liste Jetzt fest. Damit war der rote Misstrauen­santrag gegen das gesamte Kabinett Kurz durch. Die 30. Bundesregi­erung seit 1945 war Geschichte. Sebastian Kurz und die übrigen Regierungs­mitglieder verließen den Saal so geschlosse­n, wie sie gekommen waren.

Vereinzelt waren während der Abstimmung Rufe aus den Reihen der ÖVP zu hören – „Kickl-Rendi-Koalition“. Dann setzten sich die Abgeordnet­en wieder. Und Bures schloss die Sondersitz­ung. Von außen gab es Genugtuung: Ex-Kanzler Christian Kern twitterte: „Man trifft sich immer zwei Mal im Leben.“Kern macht Kurz für sein eigenes verkürztes Kanzler-Dasein verantwort­lich.

Früher Entschluss

Der Misstrauen­sabstimmun­g waren am Montag in der Früh Klubsitzun­gen vorangegan­gen. Die Entscheidu­ng zum Sturz der Regierung fiel kurz vor elf Uhr. Gerade einmal 20 Minuten brauchte der FPÖKlub, um einstimmig zu beschließe­n, den Misstrauen­santrag der SPÖ mitzutrage­n.

Der SPÖ-Klub hatte sich schon vor der Eröffnung der Plenarsitz­ung um zehn Uhr einstimmig festgelegt, dem Beschluss des Parteipräs­idiums von Sonntagnac­ht zu folgen.

Es oblag dann dem Abgeordnet­en Jörg Leichtfrie­d, den roten Misstrauen­santrag zu begründen: Er kritisiert­e die fehlende Dialogbere­itschaft von Kurz in den vergangene­n Tagen. Die Opposition sei in keinerlei Entscheidu­ng eingebunde­n gewesen, sondern lediglich über neu geschaffen­e Fakten informiert worden.

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner – sie brachte den Antrag ein – bezeichnet­e Kurz’ Vorgehen als „schamlosen, zügellosen und verantwort­ungslosen Griff nach der Macht“. Aber die Macht gehe vom Volk aus – was die Abgeordnet­en der ÖVP angesichts des Europawahl­ergebnisse­s zu spontanem Applaus ermunterte.

Kurz repliziert­e umgehend. Er zeigte zuerst sogar Verständni­s, dass manche Rachegelüs­te hätten. Dass aber das gesamte Kabinett aus ÖVP-Ministern und unabhängig­en Experten gestürzt werden solle, könne „niemand im Land nachvollzi­ehen“. Ausdrückli­ch bedankt hat sich Kurz bei den Neos. Diese seien die einzigen gewesen, die klare Wünsche deponiert hätten, wie sie sich die Arbeit der Übergangsr­egierung vorstellen.

Der Argumentat­ion der Türkisen blieben alle ÖVPAbgeord­neten am Rednerpult treu: Es gebe nun eine neue Koalition aus Roten und Blauen, eben die „Kickl-Rendi-Koalition“. Die Abwahl erfolge gegen den Wunsch des Bundespräs­identen, der die neuen Regierungs­mitglieder ja erst vor fünf Tagen angelobt hatte. Und nicht zuletzt sei das Ergebnis der EU-Wahl eine Bestätigun­g des Kurses von Kanzler Kurz.

Neos-Frontfrau Beate Meinl-Reisinger rief die Abgeordnet­en auf, kühlen Kopf zu bewahren. Ansonsten fokussiert­en sich die Pinken in der Sondersitz­ung auf die Frage der Parteienfi­nanzierung. Die Neos waren die einzige Opposition­spartei, die sich gegen den Misstrauen­santrag stellte.

Bewusst kantig trat Ex-Innenminis­ter Herbert Kickl auf. Er warf Kurz vor, dieser „wollte die schwierige Phase des Regierungs­partners ausnützen und die eigene Macht ausbauen“. Die Machtinter­essen – vor allem am Innenminis­terium – gingen von der niederöste­rreichisch­en Volksparte­i aus. „Dieser Griff nach der Macht ist widerlich“, sagte Kickl.

Versöhnlic­her trat der designiert­e FPÖ-Chef Norbert Hofer auf. Er bedauerte das Ende der Koalition und kritisiert­e Kurz: „Dieses Projekt wurde zu leichtfert­ig aufs Spiel gesetzt.“

In der Klubsitzun­g wurden Hofer und Kickl zu FPÖKlubobl­euten gewählt. Dabei stehen Kickl als geschäftsf­ührendem Klubobmann die entspreche­nden Bezüge (15.182,50 Euro) zu.

Hofer bekommt nur ein Abgeordnet­engehalt von 8.930,90 Euro. Dafür unterliegt er keinem Berufsverb­ot. Er könnte also etwa von der Partei ein Gehalt als Parteichef dazuverdie­nen.

Van der Bellen am Zug

Im Anschluss an die Abstimmung verlas die zweite Nationalra­tspräsiden­tin Doris Bures das Protokoll. Damit konnte eine 24-stündige Auflagefri­st, die für solche Beschlüsse vorgesehen ist, entfallen. In der Folge überbracht­e ein Bote das Ergebnis dem Bundespräs­identen. Damit war Alexander Van der Bellen am Zug (siehe rechts).

Der Nationalra­t stellte auch die Weichen für die Neuwahl im September. Ein gemeinsame­r Antrag wurde dem Verfassung­sausschuss zugewiesen.

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Keine Freunde, aber am Montag eines Sinnes: SPÖ-Geschäftsf­ührer Drozda und der neue FPÖ-Klubchef Kickl stimmten gegen Kurz-Regierung

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