Kurier

Machtkampf um den EU-Chefposten

Nach EU-Wahl. Regierunge­n gegen Parlament. Dort sucht der Konservati­ve Manfred Weber dringend Verbündete

- AUS BRÜSSEL INGRID STEINER-GASHI

Nach der Wahl ist vor der Wahl – und zwar vor der Kür der mächtigste­n Person Europas, des Präsidente­n der EUKommissi­on. 45.000 Kilometer hat Manfred Weber in den vergangene­n Wochen wahlkämpfe­nd zurückgele­gt. Und doch hat der Spitzenkan­didat der Europäisch­en Volksparte­i (EVP) erst eine Etappe auf dem langen Weg in den Chefsessel der mächtigen Brüsseler Behörde geschafft. Vielen Hürden könnten dem Parteifreu­nd von Sebastian Kurz das Ziel noch verbauen.

Führungsan­spruch

So haben die massiven Mandatsver­luste der EVP bei der EU-Wahl am Sonntag den 46jährigen Bayern politisch geschwächt. Doch als weiterhin stärkste Fraktion im EUParlamen­t beharrt die EVP auf ihrem Führungsan­spruch – sie will Weber als Nachfolger von Präsident Jean-Claude Juncker an der Spitze der Kommission sehen. „Und den Führungsan­spruch nehme ich auch wahr“, bestätigte Weber nach einer langen Wahlnacht.

In dem nun angelaufen­en Machtpoker zwischen EU-Parlament und den europäisch­en Regierunge­n (EURat) aber hat Weber keine stechenden Karten. Noch bevor Dienstagab­end die EUStaats- und Regierungs­chefs zu einem Sondergipf­el in Brüssel zusammentr­effen, möchte Weber daher einen Pflock einschlage­n: Zusammen mit Sozialdemo­kraten, Liberalen und Grünen will die EVP den Staats- und Regierungs­chefs einen Brief mit der Botschaft übergeben: „Es wird keine Mehrheit im EU-Parlament für einen Kandidaten geben, der nicht vorher sein Gesicht und sein Programm gezeigt hat.“Kurz: Die Parlaments­parteien beharren strikt auf dem System der Spitzenkan­didaten.

Doch so einfach werden es die EU-Staats- und Regierungs­chefs weder Weber noch dem Spitzenkan­didaten der Sozialdemo­kraten, Frans Timmermans, oder der Kandidatin der Liberalen, Margrethe Vestager, machen. Viele von ihnen, allen voran Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron beharren darauf, selbst vorzuschla­gen, wer Kommission­spräsident werden soll. Schlimmste­nfalls könnte in diesem Machtkampf eine lange Blockade drohen. Dann nämlich, wenn der Rat eine Person vorschlägt (was der EUVertrag auch vorsieht), das Parlament diese jedoch nicht wählt.

Schwierige Balance

Beim Gipfel dürften noch keine konkreten Namen fallen, vermutet der Europa-Experte und frühere Spitzendip­lomat Stefan Lehne (Carnegie Europe). „Aber der Europäisch­e Rat wird den Anspruch anmelden, dass er nicht vor vollendete Tatsachen gestellt wird.“Und die europäisch­en Regierunge­n suchen nicht nur einen neuen Chef für die Kommission, sondern auch für vier weitere EU-Topjobs. „Und diese Suche ist eine Art Schachspie­l auf vielen Ebenen“, schildert Lehne dem KURIER. Da geht es um die neue Führung der Europäisch­en Zentralban­k, des EUParlamen­ts, des Europäisch­en Rates (also der EU-Regierunge­n) und um einen neuen „Außenminis­ter“(Außenbeauf­tragter). Da gelte es sorgsam auszutarie­ren, sagt Lehne, zwischen Nord-und Südeuropa, zwischen Ost und West, zwischen Parteienfa­milien und dem Männer-Frauen-Gleichgewi­cht.

Eine gewaltige Hürde hat Manfred Weber auch im eigenen Haus, demEU-Parlament erst noch zu nehmen. Wer Kommission­schef werden will, muss von einer absoluten Mehrheit der Abgeordnet­en gewählt werden. Doch weder Sozialdemo­kraten noch Liberale noch Grüne lassen sich einfach vor den Karren der EVP spannen und stellen Ansprüche. Oder wollen wie Frans Timmermans versuchen, zunächst selbst eine „progressiv­e Allianz“auf die Beine zu stellen. Doch dass der Niederländ­er die Spitze der EU-Kommission erobert, gilt als wenig chancenrei­ch.

Mehr Glück könnte EUWettbewe­rbskommiss­arin Margrethe Vestager haben. Die liberale Dänin weiß sich der Unterstütz­ung Macrons sicher. Sie könnte also der Kompromiss sein – im Machtpoker zwischen EU-Parlament und EU-Regierunge­n.

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