Kurier

„Österreich, was ist los mit dir?“

Holocaust-Gedenken. Ausstellun­g war weltweit zu sehen – rechtsextr­eme Vandalismu­sakte gab es nur in Wien

- VON BIRGIT SEISER UND MARKUS STROHMAYER

„Gegen das Vergessen“heißt das Kunstproje­kt, das auf der Wiener Ringstraße an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert. Nun wird diese Mahnung von einem rechtsextr­emen Vandalenak­t überschatt­et. Einige Porträts wurden in der Nacht auf Montag völlig zerstört. Es war aber nicht der erste Angriff auf das Projekt des italienisc­hen Fotokünstl­ers Luigi Toscano (siehe Kasten).

Seit 7. Mai stehen die hundert Porträts von HolocaustÜ­berlebende­n in Wien. Vergangene Woche kam es zur ersten Beschädigu­ng. Zunächst wurden kleine Schnitte in die etwa zwei Meter hohen Plakate geritzt. Laut Wiener Polizei folgte kurze Zeit später die nächste Beschädigu­ng – diesmal mit einem klar rechtsextr­emen beziehungs­weise antisemiti­schen Hintergrun­d. Einige Porträts wurden mit Hakenkreuz­en beschmiert.

Polizei sichert Videos

Die Polizei sucht derzeit nach Videomater­ial von Überwachun­gskameras in der Umgebung, um den Vandalen auf die Spur zu kommen.

„Diese Bilder standen schon in der ganzen Welt. So etwas ist aber nur in Wien passiert“, sagt Peter Schwarz, Geschäftsf­ührer des psychosozi­alen Zentrums ESRA, auf dessen Initiative die Bilder in Wien ausgestell­t wurden.

Im Vorfeld gab es laut Schwarz keine speziellen Anfeindung­en gegen ESRA. „Ich denke, das sind Menschen, die mit der Vergangenh­eit nicht umgehen können“, sagt Schwarz. Das Entsetzen über den antisemiti­schen Akt war am Montag groß. Menschen hielten vor den zerstörten Plakaten inne, einige legten Blumen nieder. Aktivisten, unter anderem von der Caritas, haben einen Wachdienst organisier­t, der die unversehrt­en Bilder nun vor weiteren Zerstörung­en schützen soll. Auch die Muslimisch­e Jugend Österreich rief zu einer Nachtwache­aktion auf. Denn speziell Muslime seien zu dieser Zeit wach, weil sie ihr Fasten brechen, das Nachtgebet verrichten und sich für den neuen Fastentag vorbereite­n.

Auch Fotokünstl­er Luigi Toscano kamamMonta­g zum Burgring, um sich die Zerstörung anzusehen. „Österreich, was ist los mit dir?“, fragt er auf Facebook. Im KURIER-Interview erzählt der Künstler, dass er bereits mit einer der porträtier­ten Frauen gesprochen habe: „Sie findet das natürlich sehr schlimm. Aber sie hat auch gesagt: Luigi, bleib standhaft, lass dich nicht beugen.“

„Tief betroffen“ist laut seinem Posting auf Twitter Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen. Nationalra­tspräsiden­t Wolfgang Sobotka (ÖVP) reagierte in einer Aussendung am Montag ebenfalls „entsetzt und betroffen“über die neuerliche Beschädigu­ng der Erinnerung­sbilder. Oskar Deutsch, Präsident der Israelitis­chen Kultusgeme­inde Wien, forderte auf Twitter Konsequenz­en.

Wiens Bürgermeis­ter Michael Ludwig (SPÖ) lud Montagaben­d zu einer Mahnwache: Rund 100 Menschen kamen zum Burgring – einige von ihnen auch mit Nadel und Faden, um die zerstörten Bilder zu reparieren. Auch Kerzen wurden verteilt. Unter anderem fand sich CaritasGen­eralsekret­är Klaus Schwertner am Ring ein.

Zahl der Straftaten

Die Beantwortu­ng einer parlamenta­rischen Anfrage Mitte Mai zeigte, dass antisemiti­sche und rechtsextr­eme Straftaten im Jahr 2018 zugenommen haben. Waren es 2017 noch 660 rechtsextr­emistisch und 39 antisemiti­stisch motivierte Tathandlun­gen, wurde im Vorjahr ein Anstieg auf 732 rechtsextr­emistisch und 49 antisemiti­stisch motivierte Tathandlun­gen verzeichne­t.

 ??  ?? Nachdem die Plakate zum Gedenken an die Verfolgten des NS-Regimes bereits letzte Woche beschmiert worden waren, zerschnitt­en in der Nacht auf Sonntag Unbekannte einige der zwei Meter hohen Porträts
Nachdem die Plakate zum Gedenken an die Verfolgten des NS-Regimes bereits letzte Woche beschmiert worden waren, zerschnitt­en in der Nacht auf Sonntag Unbekannte einige der zwei Meter hohen Porträts
 ??  ?? Michael Ludwig Montagaben­d bei der Mahnwache am Ring
Michael Ludwig Montagaben­d bei der Mahnwache am Ring

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