„Österreich, was ist los mit dir?“
Holocaust-Gedenken. Ausstellung war weltweit zu sehen – rechtsextreme Vandalismusakte gab es nur in Wien
„Gegen das Vergessen“heißt das Kunstprojekt, das auf der Wiener Ringstraße an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert. Nun wird diese Mahnung von einem rechtsextremen Vandalenakt überschattet. Einige Porträts wurden in der Nacht auf Montag völlig zerstört. Es war aber nicht der erste Angriff auf das Projekt des italienischen Fotokünstlers Luigi Toscano (siehe Kasten).
Seit 7. Mai stehen die hundert Porträts von HolocaustÜberlebenden in Wien. Vergangene Woche kam es zur ersten Beschädigung. Zunächst wurden kleine Schnitte in die etwa zwei Meter hohen Plakate geritzt. Laut Wiener Polizei folgte kurze Zeit später die nächste Beschädigung – diesmal mit einem klar rechtsextremen beziehungsweise antisemitischen Hintergrund. Einige Porträts wurden mit Hakenkreuzen beschmiert.
Polizei sichert Videos
Die Polizei sucht derzeit nach Videomaterial von Überwachungskameras in der Umgebung, um den Vandalen auf die Spur zu kommen.
„Diese Bilder standen schon in der ganzen Welt. So etwas ist aber nur in Wien passiert“, sagt Peter Schwarz, Geschäftsführer des psychosozialen Zentrums ESRA, auf dessen Initiative die Bilder in Wien ausgestellt wurden.
Im Vorfeld gab es laut Schwarz keine speziellen Anfeindungen gegen ESRA. „Ich denke, das sind Menschen, die mit der Vergangenheit nicht umgehen können“, sagt Schwarz. Das Entsetzen über den antisemitischen Akt war am Montag groß. Menschen hielten vor den zerstörten Plakaten inne, einige legten Blumen nieder. Aktivisten, unter anderem von der Caritas, haben einen Wachdienst organisiert, der die unversehrten Bilder nun vor weiteren Zerstörungen schützen soll. Auch die Muslimische Jugend Österreich rief zu einer Nachtwacheaktion auf. Denn speziell Muslime seien zu dieser Zeit wach, weil sie ihr Fasten brechen, das Nachtgebet verrichten und sich für den neuen Fastentag vorbereiten.
Auch Fotokünstler Luigi Toscano kamamMontag zum Burgring, um sich die Zerstörung anzusehen. „Österreich, was ist los mit dir?“, fragt er auf Facebook. Im KURIER-Interview erzählt der Künstler, dass er bereits mit einer der porträtierten Frauen gesprochen habe: „Sie findet das natürlich sehr schlimm. Aber sie hat auch gesagt: Luigi, bleib standhaft, lass dich nicht beugen.“
„Tief betroffen“ist laut seinem Posting auf Twitter Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) reagierte in einer Aussendung am Montag ebenfalls „entsetzt und betroffen“über die neuerliche Beschädigung der Erinnerungsbilder. Oskar Deutsch, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, forderte auf Twitter Konsequenzen.
Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) lud Montagabend zu einer Mahnwache: Rund 100 Menschen kamen zum Burgring – einige von ihnen auch mit Nadel und Faden, um die zerstörten Bilder zu reparieren. Auch Kerzen wurden verteilt. Unter anderem fand sich CaritasGeneralsekretär Klaus Schwertner am Ring ein.
Zahl der Straftaten
Die Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage Mitte Mai zeigte, dass antisemitische und rechtsextreme Straftaten im Jahr 2018 zugenommen haben. Waren es 2017 noch 660 rechtsextremistisch und 39 antisemitistisch motivierte Tathandlungen, wurde im Vorjahr ein Anstieg auf 732 rechtsextremistisch und 49 antisemitistisch motivierte Tathandlungen verzeichnet.