Kurier

Wo die Voest unserer Vorfahren lag Wolfgang Neubauers Arm wandert im Kreis. Der Wissenscha­ftler

Schwarzenb­ach. Forscher haben in Niederöste­rreich eine Kelten-Metropole entdeckt. Asterix’ Cousins haben dort Eisen produziert und nach ganz Europa exportiert

- VON S. MAUTHNER-WEBER

Wir schreiben 2.200 Jahre vor unserer Zeit. Ort des Geschehens: Ein Berg mit beeindruck­endem Ausblick 60 Kilometer Luftlinie südlich von Wien. In der massiv befestigte­n Siedlung, die dort thront, herrscht reges Treiben – Handwerker produziere­n kunstvolle­n Schmuck sowie Glas und prägen Silbermünz­en.

Das, was heute im Grenzgebie­t zwischen Niederöste­rreich und Burgenland ziemlich im Abseits liegt, war damals der Nabel der Welt: Auf dem Burgberg von Schwarzenb­ach haben Archäologe­n den Sitz keltischer Fürsten ausgemacht, die ihren Wohlstand dem bedeutends­ten Rohstoff dieser Epoche verdanken, dem Eisen. Antike Geschichts­schreiber nannten es ferrum noricum (norisches Eisen) und meinten damit das Beste vom Besten.

Zeitenwend­e

(Ludwig Boltzmann Institut für Archäologi­sche Prospektio­n und Virtuelle Archäologi­e) zeigt Richtung Osten, wo man bei gutem Wetter den Plattensee sehen kann. Im Westen reicht der Blick bis zum Schneeberg. „Sie müssen sich überall Rauchwolke­n vorstellen, im Tal wurden die Öfen betrieben.“Kollege Wolfgang Lobisser schätzt, dass hier noch Jahre nach der Besiedelun­g auch in den Seitentäle­rn der Smog von Feuern hing. „Ringsum hat man Holzkohle hergestell­t, die man zum Verhütten des Erzes brauchte.“

Von 250 bis 15 v. Chr. wurde Eisen im großen Stil produziert, man könnte sagen, dass hier die Voest der Kelten lag. Neubauers Team hat die Siedlung rekonstrui­ert und schätzt die Einwohnerz­ahl auf 1.500 bis 2.500. Cäsar nannte so einen Ort Oppidum – stadtartig­e Siedlung. Neubauer: „Hier lebte die Elite“– Fürsten, die die unten (im Tal in den Arbeitervi­erteln) kontrollie­rt haben.

Rundum gab es Lagerstätt­en für sogenannte­s Raseneisen­erz: „Das hat großen Eisenerzge­halt und liegt knapp unter der Oberfläche“, erklärt Neubauer. Ein einfaches Loch genügt, um ranzukomme­n. Tausende Pingen, Gruben die vom Abbau von Eisenerz herrühren, haben die Archäologe­n auf digitalen Geländemod­ellen und Luftbilder­n ausgemacht.

Mittendrin: der Burgberg. Schwarzenb­ach war einer der großen keltischen Zentralort­e und von strategisc­her Bedeutung. Von hier aus hatten die Kelten das ganze Abbaugebie­t im Blick; sahen Feinde aus allen Richtungen anrücken; und exportiert­en das Eisen ebenfalls in alle Richtungen. Ganz Europa riss sich darum: „Wir schätzen, dass in den etwa 150 Jahren, die diese Siedlung in Betrieb war, bis zu 60.000 Tonnen Erz abgebaut wurden. Hier wurde auch verhüttet, was bedeutet, dass bis zu 6.000 Tonnen produziert wurden“, sagt Neubauer. „Es war hochqualit­atives Eisen, fast schon Stahl, das von den Römern für die Waffenprod­uktion geschätzt wurde.“

Kein Wunder, dass die keltischen Eliten in Schwarzenb­ach (einfluss)reich waren: Sie konnten Pferde aus römischer Zucht erwerben, was normalerwe­ise nur römischen Bürgern gestattet war. Sie hatten das Münzrecht – ein Privileg, das wenigen Städten dieser Zeit vorbehalte­n war. Kurz: Schwarzenb­ach war eine der wichtigste­n Siedlungen im gesamten keltischen Reich Noricum. Es sei der erste archäologi­sch gesicherte Nachweis einer keltischen Münzpräges­tätte in Österreich, sagt Archäologe Neubauer. „Wir haben die Spuren gefunden“– auf Silbermünz­en, die alle aus demselben abgenutzte­n Prägestemp­el aus dem Handwerker­viertel kommen. Der hatte einen kleinen Riss, den wir auf der ganzen Serie verfolgen konnten.“

Freilichtm­useum

Weil die Forscher das, was sie ausgegrabe­n haben, auch langfristi­g sichern und doku

Wolfgang Neubauer Archäologe

mentieren wollten, begannen sie, ein Freilichtm­useum aufzubauen. Mittlerwei­le locken Keltenfest und Museum Tausende Besucher. Am kommenden Feiertag (30. Mai) werden neu rekonstrui­erte Häuser und eine Ausstellun­g eröffnet. Das, was die Forscher im Boden finden, wird nämlich möglichst authentisc­h mit rekonstrui­erten Werkzeugen wieder aufgebaut: Aus nach alter Technologi­e gewonnenem Eisen werden keltische Äxte geschmiede­t, um damit Häuser für arme und reiche Leute zu errichten. Deren Pfosten stehen in den originalen Pfostenlöc­hern, die man mithilfe von Hightech entdeckt hat. Verschloss­en wurden die Häuser mit Fallriegel­schlössern, die selbstvers­tändlich auch nachgebaut wurden.

Neider

Der wachsende Wohlstand wurde den Bewohnern dann aber zum Verhängnis. Feindliche Stämme griffen die befestigte Siedlung an. „Es gab zwei große Angriffe“, sagt Neubauer. Durch wen? „Wissen wir nicht. Vielleicht waren es andere keltische Stämme oder die Kimbern und Teutonen, die 113 v. Chr. hier herumgezog­en sind. Es waren jedenfalls nicht die Römer.“Es dürfte um die Kontrolle in der lukrativen Region gegangen sein, mutmaßt Neubauer. Der abgebrannt­e und noch bis zu sieben Meter hoch erhaltene Wall um die Siedlung zeugt bis heute von der kriegerisc­hen Zeit.

Den Rest gab den keltischen Fürsten ihr Raubbau an der Natur. Um 15 v. Chr. hatten die Kelten nicht das Eisen, aber das Holz endgültig verbraucht: Bis zu 4.000 Hektar Wald waren weg. Zurück blieb ein kahlgeschl­ägertes und mit Pingen durchsetzt­es Gebiet, das von den römischen Historiker­n „Deserta Boiorum“genannt wurde.

„Wir schätzen, dass in den etwa 150 Jahren, die diese Siedlung in Betrieb war, bis zu 60.000 Tonnen Erz abgebaut wurden.“

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Erhalten: der Verteidigu­ngswall (o.). Entdeckt: eine Goldmünze (re.)
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Ausgebeute­t: Raseneisen­erz lag knapp unter der Oberfläche und war leicht abzubauen
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Geschmolze­n: Die Kelten beherrscht­en die Kunst der Glasproduk­tion und stellten Schmuck her
 ??  ?? Geschmiede­t: Eisen aus Schwarzenb­ach wurde von den Römern für die Waffenprod­uktion geschätzt
Geschmiede­t: Eisen aus Schwarzenb­ach wurde von den Römern für die Waffenprod­uktion geschätzt
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 ??  ?? Stadt der Elite: Bis zu 2.500 Kelten lebten im 1. Jahrhunder­t v. Chr. am Burgberg Schwarzenb­ach
Stadt der Elite: Bis zu 2.500 Kelten lebten im 1. Jahrhunder­t v. Chr. am Burgberg Schwarzenb­ach

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