Kurier

Kanzlersuc­he beginnt, Hartwig Löger Interims-Chef

VdB am Zug. Der Bundespräs­ident sucht in Absprache mit den Parteichef­s einen Interims-Kanzler, der bis nach der Wahl im Amt bleiben kann. Bis dahin übernimmt Hartwig Löger die Übergangsr­egierung.

- VON BERNHARD GAUL

Fad wird dem Bundespräs­identen dieser Tage nicht. Normalerwe­ise dreht sich die Arbeitsrou­tine des Staatsober­haupts um Empfänge oder Ordensverl­eihungen und dergleiche­n. Die innenpolit­ische Lage ist derzeit alles andere als normal. Außergewöh­nlich trifft es schon eher, auch wenn alles unter peinlich genauer Einhaltung der Verfassung geschieht.

Entlassen und angelobt

Am Dienstag enthob der Bundespräs­ident jene Regierung des Amtes, die er vor sechs Tagen angelobt hatte. Am Montag war dieser vom Parlament das Misstrauen ausgesproc­hen worden – eine Premiere in der 74-jährigen Geschichte der 2. Republik. Nach der Entlassung gelobte VdB die Regierung in leicht veränderte­r Form wieder an. Nicht mehr dabei: Sebastian Kurz. Neuer Bundeskanz­ler ist Hartwig Löger. Der Kurzzeit-Vizekanzle­r und nunmehrige Chef der Interimsre­gierung fuhr Dienstagab­end auch zum EU-Gipfel (siehe Seite 6). Vizekanzle­r gibt es derzeit keinen.

In den nächsten Tagen, wahrschein­lich schon kommenden Montag, wird der Bundespräs­ident die interimist­isch angelobte Bundesregi­erung wieder entlassen, und voraussich­tlich eine neue interimist­ische Regierung mit gänzlich neuen Gesichtern gemäß der Bundesverf­assung angeloben.

Diese, so die Hoffnung, sollte möglichst bis nach der Nationalra­tswahl im September im Amt bleiben, bis eine neue Regierung angelobt ist, die nicht bloß von den Parlamenta­riern geduldet wird (der nicht das Misstrauen ausgesproc­hen wird), sondern die die Unterstütz­ung einer Mehrheit der frisch gewählten Abgeordnet­en genießt.

Van der Bellen zeigte am Dienstag bereits große Routine bei Amtsentheb­ung und Angelobung der Regierung, schließlic­h macht er das zum inzwischen dritten Mal: „Irgendwie haben wir schon eine gewisse Übung in diesen Dingen, sie sind nicht ganz alltäglich, aber im Grunde genommen ein normaler demokratis­cher Vorgang“, sprach der Bundespräs­ident.

Bevor er den Staatsakt beging, las er den Spitzenpol­itikern aber noch ordentlich die Leviten: Man solle kurz innehalten und sich überlegen, was man lernen könne aus dem Geschehen der vergangene­n Tage, „wenn man eine Minute nachdenkt“. Er betonte, wie wichtig Gespräche zwischen den Parteien seien, denn es brauche einen „tragfähige­n Dialog zwischen den einzelnen Politikern. Es reicht nicht, in einer Demokratie nur mit den anderen zu reden, wenn man sie gerade braucht. Das rächt sich dann im Laufe der Zeit“, sprach er gezielt den vom Amt enthobenen Kanzler Kurz an.

„Ich weiß, das ist harte Arbeit, ein Handwerk“, setzt er fort. „Ich glaube aber, diese mühsamen Prozesse sind auf lange Sicht notwendig. Das schnelle Interview und die schnelle Social-Media-Kampagne genügen nicht immer, das trägt nicht auf Dauer, es braucht mehr.“

Der nicht namentlich angesproch­ene Kurz blieb seiner Amtsentheb­ung fern, auch im Parlament wird er bis zur Wahl nicht mehr Platz nehmen ( siehe Interview rechts).

Nicht nur für die ÖVP, für alle Parteien hat der Wahlkampf bereits begonnen. Wird tatsächlic­h am 15. September gewählt (das derzeit früheste mögliche Datum), liegen 15 Wochen Wahlkampf vor uns. Es könnte aber auch eine Woche länger dauern.

Und wie geht es jetzt weiter? Rein formal kann der Bundespräs­ident jeden unbescholt­enen Staatsbürg­er über 18 mit der Bildung einer Regierung beauftrage­n.

Tatsächlic­h ist VdB längst in Verhandlun­gen mit allen Parteichef­s, um einen Kandidaten – oder erstmals eine Kandidatin – zu finden, die vom Parlament akzeptiert wird, um einen weiteren Misstrauen­santrag zu vermeiden.

Diese Woche soll es zu den Gesprächen eine erste „Zwischenbi­lanz“geben, hieß es Dienstagab­end aus der Hofburg. Die Suche soll „so rasch wie möglich, aber so sorgfältig und umsichtig wie geboten“.

Eine Bundeskanz­lerin?

Der oder die Neue muss ein neues Regierungs­team zusammenst­ellen und dem Präsidente­n vorschlage­n. Dieser kann einzelne oder alle Kandidaten ablehnen. Das ist aber unwahrsche­inlich, denn der oder die neue Übergangsk­anzler/in wird sich eng mit Van der Bellen absprechen.

Wer neuer Regierungs­chef oder -chefin werden könnte, ist derzeit das innenpolit­ische Spekulatio­nsthema. Fix dürfte nur sein, dass auch die Expertenmi­nister, die vor sieben Tagen als Ersatz für die FPÖ-Minister angelobt wurden, der neuen Übergangsr­egierung nicht angehören werden. Ganz einfach deshalb, weil auch ihnen am Montag dieser Woche gemeinsam mit Kanzler Sebastian Kurz das Misstrauen ausgesproc­hen wurde.

„Es reicht nicht, nur mit den anderen zu reden, wenn man sie gerade braucht. Das rächt sich dann.“Alexander Van der Bellen Bundespräs­ident

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Nachdem dem erfolgreic­hen Misstrauen­santrag enthob der Präsident die Regierung vom Amt – und gelobte sie interimist­isch gleich wieder an
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