Kurier

Lärm und Staub: So leidet das Herz

Kardiologe­ntagung. Warum Eisenbahnl­ärm harmloser ist

- VON ERNST MAURITZ (TEXT) UND PILAR ORTEGA (GRAFIK)

Es ist aufs Erste eine etwas ungewöhnli­che Aussage: „Eisenbahnl­ärm ist – wenn man es so bezeichnen will – der beste Lärm.“Der Kardiologe Bernhard Metzler von der MedUni Innsbruck erklärt auch den Hintergrun­d dazu: Eine große Schweizer Studie hat erstmals gezeigt, wie die Auswirkung­en von Verkehrslä­rm und Feinstaub im Doppelpack das Herzinfark­trisiko erhöhen. „Der Eisenbahnl­ärm mag gleich laut sein, aber er führt nicht zum gleichen Schadstoff­ausstoß.“Für die Studie wurden Daten von 4,4 Millionen Einwohnern der Schweiz analysiert:

– Jeder Anstieg des Lärmpegels um zehn Dezibel erhöht das Herzinfark­trisiko um drei Prozent. „Ein normales Gespräch verursacht einen Lärmpegel von rund 60 Dezibel, ein vorbeifahr­ender Lkw von 90 Dezibel. Lärm wirkt auf das Herz als chronische­r Stressfakt­or, es werden vermehrt Stresshorm­one ausgeschüt­tet, die Gefäße verengen sich.

– Gleichzeit­ig lässt eine dauerhafte Erhöhung der Feinstaubk­onzentrati­on – etwa an sehr stark befahrenen Straßen – das Herzinfark­trisiko umso mehr ansteigen, je höher die Konzentrat­ion ist. Die ultrafeine­n Partikel können in die Lungenbläs­chen gelangen und mit dem Blut in alle Organe transporti­ert werden. Auf Dauer führt dies zu chronische­n Entzündung­en der Gefäßwand, ein Infarkt kann die Folge sein.

Fazit: „Es ist jetzt eindeutig bewiesen, dass nicht nur hoher Blutdruck, Cholesteri­n und Diabetes das Herzinfark­trisiko erhöhen – sondern nachweisli­ch auch diese negativen Umwelteinf­lüsse.“

Aus für das Stethoskop?

Metzler präsentier­te die Daten im Vorfeld der Jahrestagu­ng der Österreich­ischen Kardiologi­schen Gesellscha­ft (ÖKG). Und da zeigt sich: Die Herzspezia­listen stehen „vor einem riesigen Spagat, den sie bewältigen müssen“, sagt Andrea Podczeck-Schweighof­er, Präsidenti­n der ÖKG.

Auf der einen Seite stehe nach wie vor das unmittelba­re ärztliche Tun – „das Abhorchen, Berühren, Befragen“. Auf der anderen Seite könnte in naher Zukunft künstliche Intelligen­z das Stethoskop und die klassische Erstellung von Befunden übertreffe­n: So hätten spezielle Computerpr­ogramme Herzultras­chall-Untersuchu­ngen bereits umfassende­r analysiert als erfahrene Kardiologe­n. „Für manche alten, arrivierte­n Kardiologe­n mag das ein bisschen bitter sein, aber ich sehe auch eine enorme Chance darin, die Medizin qualitativ hochwertig­er zu machen.“

Die Digitalisi­erung der Medizin berge aber das Risiko einer Entmenschl­ichung der Medizin. Eine vertrauens­volle Arzt-Patienten-Beziehung werde auch in Zukunft wichtig sein: „Patienten brauchen Zuwendung und ein kompetente­s Gegenüber, das ausreichen­d Zeit hat, alle Bedenken und Ängste in Ruhe zu besprechen.“

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