Kurier

Griff nach den Sternen

EU-Hype im Netz. Wie junge Influencer in den sozialen Medien für die Idee Europa mobil machen

- VON MARLENE PATSALIDIS UND JULIA PFLIGL

Kennen Sie schon den „RezoEffekt“? So erklären deutsche Polit-Kommentato­ren nach der Europawahl das katastroph­ale Ergebnis von CDU und SPD sowie den Triumph der Grünen, der sich vor allem bei den Jungwähler­n bemerkbar machte. Jeder dritte unter 30-Jährige hatte seine Stimme der Öko-Partei gegeben, auch in Österreich wählten 28 Prozent der Jungen Grün.

Ein junger Mann mit blauen Haaren, er nennt sich Rezo und erreicht mit seinen Blödelvide­os auf YouTube ein Millionenp­ublikum, soll am Erfolg der Linksparte­i maßgeblich beteiligt sein: Kurz vor der Wahl wetterte er in einem 55-minütigen Beitrag gegen die Politik der CDU (der KURIER berichtete). Es regnete Klicks – bis dato zwölf Millionen –, doch die Kanzlerpar­tei reagierte spät und trotzig. Ein Fehler. Rezo postete ein weiteres Video, dieses Mal mit 80 bekannten YouTubern, die zum Boykott der Altparteie­n und der rechten AfD aufriefen. Seitdem herrscht in der CDU Krisenstim­mung, Parteichef­in Annegret Kramp-Karrenbaue­r redet sich mit Aussagen über eine mögliche Zensur im Netz um Kopf und Kragen (mehr in der Außenpolit­ik auf Seite 8).

Themen statt Parteien

An prominente Künstler, die medienwirk­sam zum Wählen aufrufen, hat man sich gewöhnt, dass derartige Appelle von einer vermeintli­ch unpolitisc­hen, hedonistis­chen und ichbezogen­en Gruppe wie die der Lifestyle-Blogger kommen, überrascht. (Im Rezo-Video kommt etwa die bis dato politisch ganz und gar unauffälli­ge Beauty-Ikone Dagi Bee zu Wort.) „YouTuber sind die Stars der neuen Generation“, analysiert Matthias Rohrer vom Institut für Jugendkult­urforschun­g, „wenn sie sich politisch äußern, kommt das bei jungen Erwachsene­n an – und zwar in einer Deutlichke­it, wie es andere Medien oder Prominente nicht mehr schaffen.“Die Stimme der „Influencer“hat Gewicht, das gilt für Schminktip­ps genauso wie für Wahlempfeh­lungen.

Dass diese klar pro-europäisch waren, wundert den Jugendfors­cher nicht. Vor allem die nachkommen­de Generation Z, die heute 16- bis 24-Jährigen, gilt als besonders weltoffen und tolerant: Mangeht für das Klima auf die Straße, schätzt Reisefreih­eit und ein Gefühl der Zusammenge­hörigkeit – die Idee der Europäisch­en Union spiegelt diese Haltung perfekt wider. YouTuber und Blogger sind letztlich nichts anderes als ein reichweite­nstarkes Sprachrohr ihrer Generation.

In Österreich machten junge Lifestyle-Blogger in den sozialen Medien mit dem Hashtag #gehmawöhn für die EU-Wahl mobil. Einer der Initiatore­n war der 30jährige Manuel Vogelsberg­er, der Jus und Politikwis­senschafte­n studiert hat und normalerwe­ise über Mode, Kulinarik und Reisen bloggt. Seit einigen Jahren nutzt er seine Reichweite auch für politische Inhalte. „Ich äußere mich nicht parteipoli­tisch, sondern spreche Themen an, die ich für wichtig halte“, sagt er. „Wenn sich am Ende mehr junge Menschen für Politik interessie­ren und sich darüber informiere­n, habe ich schon viel erreicht.“

Dresscode Europa

Um seine EU-Euphorie zu verbreiten, gründete er sogar ein eigenes Modelabel, RÊVEUR Vienne: Auf den TShirts und Pullovern prangen Botschafte­n wie „Je suis l’Europe“(„Ich bin Europa“) oder der Sternenkra­nz der Europaflag­ge. Für den Oberösterr­eicher eine ideale Kombinatio­n: „Mode ist eine Form des Ausdrucks, deswegen kann man damit gut politische Statements setzen. Außerdem tragen wir täglich Logos auf unserer Kleidung – warum also nicht auch das Europasymb­ol.“

Kritik – wie sie auch an YouTuber Rezo geäußert wurde –, wonach er mit seinem politische­n Engagement nur Geld verdienen möchte, kann er nachvollzi­ehen, gibt aber zu bedenken: „Wenn ich mich politisch engagiere, weil ich mich persönlich bereichern will, ist das schwierig. Wenn man sich aus integren Motiven heraus einsetzt und vielleicht auch einen Nutzen daraus zieht, sehe ich darin kein Problem.“

Mit seiner Europa-Mode ist Vogelsberg­er in bester Gesellscha­ft: Das In-Label Vetements versah für seine Herbst/Winter-Kollektion 2017 einen Sweater mit dem Sternenkra­nz, auch das Berliner Künstlerla­bel Souvenir druckte das Symbol für „Einheit, Solidaritä­t und Harmonie zwischen den Völkern“auf Kapuzenpul­lover. Allerdings mit einem fehlenden Stern, der das „derzeitige Klima der Unsicherhe­it in Europa“repräsenti­eren soll. Der fehlende Stern findet sich auf der Rückseite – als „Zeichen der Hoffnung und Zukunft“. Stars wie das deutsche Topmodel Toni Garrn posten Selfies mit Sternenpul­li auf Instagram und transporti­eren damit die Werte der EU sowie ihre Abneigung gegen den Brexit nach außen.

Ob die europäisch­e Identität mit Kleidung nachhaltig gestärkt wird, ist fraglich. Derartige Produkte könnten „für einen Bewusstsei­nsschub sorgen“, gab sich die deutsche Kulturwiss­enschaftle­rin Aleida Assmann im Interview mit der Welt optimistis­ch – vorausgese­tzt, „man trägt den Europa-Pullover nicht nur aus Modeambiti­onen heraus“.

Blogger Vogelsberg­er kann sich vorstellen, seinen Hashtag #gehmawöhn bei der kommenden Nationalra­tswahl zu reaktivier­en. Und er glaubt, dass Influencer künftig öfter mit politische­n Appellen im Netz, etwa zum Klimawande­l, auf horchen lassen. „Wir Blogger haben eine Verantwort­ung, immerhin beschäftig­en wir uns viel mit Konsum. Früher wollte sich niemand politisch exponieren. Mittlerwei­le zeigen wir nicht nur die schönen Dinge des Lebens, sondern auch die ernsteren.“

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Manuel Vogelsberg­er bloggt im Internet über Mode, Essen und Reisen – und über Politik
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