Griff nach den Sternen
EU-Hype im Netz. Wie junge Influencer in den sozialen Medien für die Idee Europa mobil machen
Kennen Sie schon den „RezoEffekt“? So erklären deutsche Polit-Kommentatoren nach der Europawahl das katastrophale Ergebnis von CDU und SPD sowie den Triumph der Grünen, der sich vor allem bei den Jungwählern bemerkbar machte. Jeder dritte unter 30-Jährige hatte seine Stimme der Öko-Partei gegeben, auch in Österreich wählten 28 Prozent der Jungen Grün.
Ein junger Mann mit blauen Haaren, er nennt sich Rezo und erreicht mit seinen Blödelvideos auf YouTube ein Millionenpublikum, soll am Erfolg der Linkspartei maßgeblich beteiligt sein: Kurz vor der Wahl wetterte er in einem 55-minütigen Beitrag gegen die Politik der CDU (der KURIER berichtete). Es regnete Klicks – bis dato zwölf Millionen –, doch die Kanzlerpartei reagierte spät und trotzig. Ein Fehler. Rezo postete ein weiteres Video, dieses Mal mit 80 bekannten YouTubern, die zum Boykott der Altparteien und der rechten AfD aufriefen. Seitdem herrscht in der CDU Krisenstimmung, Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer redet sich mit Aussagen über eine mögliche Zensur im Netz um Kopf und Kragen (mehr in der Außenpolitik auf Seite 8).
Themen statt Parteien
An prominente Künstler, die medienwirksam zum Wählen aufrufen, hat man sich gewöhnt, dass derartige Appelle von einer vermeintlich unpolitischen, hedonistischen und ichbezogenen Gruppe wie die der Lifestyle-Blogger kommen, überrascht. (Im Rezo-Video kommt etwa die bis dato politisch ganz und gar unauffällige Beauty-Ikone Dagi Bee zu Wort.) „YouTuber sind die Stars der neuen Generation“, analysiert Matthias Rohrer vom Institut für Jugendkulturforschung, „wenn sie sich politisch äußern, kommt das bei jungen Erwachsenen an – und zwar in einer Deutlichkeit, wie es andere Medien oder Prominente nicht mehr schaffen.“Die Stimme der „Influencer“hat Gewicht, das gilt für Schminktipps genauso wie für Wahlempfehlungen.
Dass diese klar pro-europäisch waren, wundert den Jugendforscher nicht. Vor allem die nachkommende Generation Z, die heute 16- bis 24-Jährigen, gilt als besonders weltoffen und tolerant: Mangeht für das Klima auf die Straße, schätzt Reisefreiheit und ein Gefühl der Zusammengehörigkeit – die Idee der Europäischen Union spiegelt diese Haltung perfekt wider. YouTuber und Blogger sind letztlich nichts anderes als ein reichweitenstarkes Sprachrohr ihrer Generation.
In Österreich machten junge Lifestyle-Blogger in den sozialen Medien mit dem Hashtag #gehmawöhn für die EU-Wahl mobil. Einer der Initiatoren war der 30jährige Manuel Vogelsberger, der Jus und Politikwissenschaften studiert hat und normalerweise über Mode, Kulinarik und Reisen bloggt. Seit einigen Jahren nutzt er seine Reichweite auch für politische Inhalte. „Ich äußere mich nicht parteipolitisch, sondern spreche Themen an, die ich für wichtig halte“, sagt er. „Wenn sich am Ende mehr junge Menschen für Politik interessieren und sich darüber informieren, habe ich schon viel erreicht.“
Dresscode Europa
Um seine EU-Euphorie zu verbreiten, gründete er sogar ein eigenes Modelabel, RÊVEUR Vienne: Auf den TShirts und Pullovern prangen Botschaften wie „Je suis l’Europe“(„Ich bin Europa“) oder der Sternenkranz der Europaflagge. Für den Oberösterreicher eine ideale Kombination: „Mode ist eine Form des Ausdrucks, deswegen kann man damit gut politische Statements setzen. Außerdem tragen wir täglich Logos auf unserer Kleidung – warum also nicht auch das Europasymbol.“
Kritik – wie sie auch an YouTuber Rezo geäußert wurde –, wonach er mit seinem politischen Engagement nur Geld verdienen möchte, kann er nachvollziehen, gibt aber zu bedenken: „Wenn ich mich politisch engagiere, weil ich mich persönlich bereichern will, ist das schwierig. Wenn man sich aus integren Motiven heraus einsetzt und vielleicht auch einen Nutzen daraus zieht, sehe ich darin kein Problem.“
Mit seiner Europa-Mode ist Vogelsberger in bester Gesellschaft: Das In-Label Vetements versah für seine Herbst/Winter-Kollektion 2017 einen Sweater mit dem Sternenkranz, auch das Berliner Künstlerlabel Souvenir druckte das Symbol für „Einheit, Solidarität und Harmonie zwischen den Völkern“auf Kapuzenpullover. Allerdings mit einem fehlenden Stern, der das „derzeitige Klima der Unsicherheit in Europa“repräsentieren soll. Der fehlende Stern findet sich auf der Rückseite – als „Zeichen der Hoffnung und Zukunft“. Stars wie das deutsche Topmodel Toni Garrn posten Selfies mit Sternenpulli auf Instagram und transportieren damit die Werte der EU sowie ihre Abneigung gegen den Brexit nach außen.
Ob die europäische Identität mit Kleidung nachhaltig gestärkt wird, ist fraglich. Derartige Produkte könnten „für einen Bewusstseinsschub sorgen“, gab sich die deutsche Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann im Interview mit der Welt optimistisch – vorausgesetzt, „man trägt den Europa-Pullover nicht nur aus Modeambitionen heraus“.
Blogger Vogelsberger kann sich vorstellen, seinen Hashtag #gehmawöhn bei der kommenden Nationalratswahl zu reaktivieren. Und er glaubt, dass Influencer künftig öfter mit politischen Appellen im Netz, etwa zum Klimawandel, auf horchen lassen. „Wir Blogger haben eine Verantwortung, immerhin beschäftigen wir uns viel mit Konsum. Früher wollte sich niemand politisch exponieren. Mittlerweile zeigen wir nicht nur die schönen Dinge des Lebens, sondern auch die ernsteren.“