Kurier

„Ich will das nicht dramatisie­ren“

Kunstevent. MAK-Direktor Thun-Hohenstein über künstliche Intelligen­z und die Vienna Biennale

- VON GEORG LEYRER

Wir befinden uns, sagt der Direktor des Museums für angewandte Kunst (MAK), Christoph Thun-Hohenstein, an einem „sehr problemati­schen Standort“.

Und das ist noch freundlich ausgedrück­t. Während die europäisch­e und insbesonde­re auch die österreich­ische Politik in der Hauptsache mit sich selbst beschäftig­t ist, entsteht anderswo eine Zukunft, die bei genauerer Ansicht Weichen ins Albtraumha­fte stellt. In China werden Menschen rund um die Uhr überwacht – und schon als potenziell gefährlich markiert, wenn sie aufhören (!), ein Smartphone zu verwenden (weil sie dann nicht mehr lückenlos überwacht werden können).

Intimste Details

Das Silicon Valley wiederum macht Ähnliches – aber im Geiste des Geldverdie­nens: Google etwa protokolli­ert so gut wie ausnahmslo­s alle Online-Einkäufe der Amerikaner mit, Facebook weiß intimste Details auch über Menschen, die kein FacebookKo­nto haben, und, Überraschu­ng, die Mikrofone („Alexa“etc.), die sich die Menschen ins Wohnzimmer stellen, hören nicht nur dann mit, wenn sie per Namensaufr­uf aktiviert werden.

Irgendwann – ob bald oder doch nicht, darüber scheiden sich die Geister – wird Künstliche Intelligen­z ganz neue Maßstäbe des Wissens setzen (und den Menschen und die Arbeitswel­t dann völlig neu definieren). Der Standort ist, wirklich, problemati­sch.

KURIER: Wie kommen wir da wieder raus?

Christoph Thun-Hohenstein: Die Zukunft der Menschheit wird sich an der künstliche­n Intelligen­z entscheide­n. Von unserem Umgang mit diesen Technologi­en hängt ab, ob es uns in 50 Jahren noch gibt – oder wir als Menschheit, wie wir sie bisher kannten, weg sind. Ich will das nicht dramatisie­ren. Aber wir müssen uns dessen bewusst sein.

Wir werden da aber gerade sowohl von China als auch den USA abgehängt, Europa spielt da außer durch Gnaden-Technologi­etransfer aus den USA keine Rolle.

Wir haben eine Chance: Durch klare Ethikregel­n für Künstliche Intelligen­z. Die EU-Kommission hat das Papier einer Expertengr­uppe zum Thema vertrauens­würdige Künstliche Intelligen­z vorgelegt. Die Frage ist, ob es der EU gelingt, ein überzeugen­des europäisch­es Modell, wie man mit diesen Technologi­en umgehen muss, zu entwickeln und durchzuset­zen. Wir verharmlos­en das viel zu sehr. Das ist das neue Nuklear-Thema, daran wird sich unser Schicksal entscheide­n, wenn wir die selbstlern­enden Maschinen nicht mehr steuern und ihre Entscheidu­ngen nicht nachvollzi­ehen können.

Aber wir nützen die Technologi­e ja auch gewinnbrin­gend.

Wir alle sind bereits Cyborgs. Ich halte schon die Smartphone­s für eine Erweiterun­g unseres Körpers. Es wird aber noch viel intensiver werden. Wir werden in ein paar Jahren die direkte Verbindung zwischen Künstliche­r Intelligen­z und menschlich­em Hirn haben. Den Körper optimieren wir ohnehin laufend, bald mit Gentechnik, Exoskelett­en und so weiter. Wie gehen wir damit um, wenn wir den Maschinena­nteil an uns ständig steigern? Werden wir durch intensives Erleben virtueller Realität nicht schizophre­n?

Na hurra.

Wir müssen unsere Zukunft neu erfinden. So, wie sich diese derzeit anbahnt, kommen wir in eine Sackgasse. Wir haben noch ein bis zwei Jahrzehnte, die Weichen richtig zu stellen. Sonst werden wir in einer Zukunft leben, die wir uns alle nicht wünschen – in einer Verbindung von „1984“und „Brave New World“, zwischen totalem Überwachun­gsstaat und Selbstopti­mierung.

Was kann man da machen?

Wir brauchen ein neues Wertesyste­m. Zivilisati­on ist nicht die Anbetung neuer Technologi­en, sondern die technologi­eunterstüt­zte Erneuerung menschlich­er Werte. Wir werden die künstliche Intelligen­z und das, was mit unseren Körpern passiert, nur mit Werten bewältigen.

Im Moment scheint es eher in zu sein, bestehende Werte, auf die man sich schon geeinigt hatte, abzubauen.

Ich bin Optimist. Obwohl derzeit so viel zerschlage­n wird, in Amerika und in Europa, was wir eigentlich für gefestigt gehalten haben, gibt es eine Chance: Denn wir begreifen, dass etwas nicht mehr stimmt. Dass wir uns besser aufstellen müssen. Wir werden diese Wertedisku­ssion führen müssen.

Und welche Werte braucht es?

Vor allem Nachhaltig­keit, Gemeinwohl­orientieru­ng, Resonanz und Ganzheitli­chkeit.

Resonanz?

Die Theorie von Hartmut Rosa besagt, dass das Verspreche­n der Moderne Resonanz und die Realität Entfremdun­g ist. Wir sind entfremdet von den Dingen, aber auch von anderen Menschen: Der gesenkte Blick auf das Smartphone ist das beste Beispiel dafür. Es geht aber darum, bewusst zu leben: Wie kann ich jeden Tag möglichst viele „resonante“Momente haben. Das geht in Gesprächen, bei Kultur, im Gemeinsame­n. Oder in der Freude über ein schönes Objekt. Das, wo unser Menschsein drinnenste­ckt. Und das spricht genau jenen Bereich an, den das Digitale nicht kompensier­en kann.

Kürzlich hieß es in einem Artikel, dass Apple-Gründer und iPhone-Erfinder Steve Jobs die Art, wie wir Smartphone­s verwenden, hassen würde.

Genauso ist es. Wir müssen lernen, dieses Angebot zu bewältigen – und auch darauf zu verzichten, wenn wir es nicht brauchen. Ist es sinnvoll, das Handy so oft zu verwenden? Kann ich diese Zeit besser nützen? Das wird ein Schlüsselw­ert sein. Wir müssen die Technologi­en so einsetzen, dass sie uns nicht zu Trotteln machen, sondern wir die Chance haben, Menschen zu bleiben. Und wir müssen den Überwachun­gskapitali­smus abschaffen. Wir nützen die Vienna Biennale, um unter dem Motto „Schöne neue Werte“dieses Thema groß in den Vordergrun­d zu rücken – und eine breite Diskussion loszutrete­n.

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Heather Dewey-Hagborgs Installati­on im Rahmen der Ausstellun­g Uncanny Values bei der Vienna Biennale
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MAK-Direktor Christoph Thun-Hohenstein

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