Kurier

Liberale Kämpferin mit Bodenhaftu­ng

EU-Kommission. Margrethe Vestager lehrte Google und Co. das Fürchten. Jetzt rittert die Kommissari­n um den Chefposten der EU.

- AUS BRÜSSEL INGRID STEINER-GASHI

„Für mich ist ein Steuerpara­dies ein Ort, wo Unternehme­n ihre Steuern zahlen.“Margrethe Vestager bei einer Wahlkampfd­ebatte

Donald Trump kennt sie. Als „Tax-Lady“bezeichnet der US-Präsident die europäisch­e Wettbewerb­skommissar­in Margrethe Vestager – und das ist gar nicht freundlich gemeint. Die 51-jährige Kommissari­n aus Dänemark hat den Kampf gegen die großen amerikanis­chen IT-Konzerne aufgenomme­n. Sie hat Facebook verklagt, Apple zu Steuernach­zahlungen von 13 Milliarden Euro verpflicht­et und auch Google zu Milliarden­strafen verdonnert.

Margrethe Vestager scheut keine Konfrontat­ionen, wenn es darum geht, unfairen Wettbewerb zu bekämpfen. Und man glaubt es der stets unprätenti­ös-freundlich auftretend­en Dänin, die nie die Bodenhaftu­ng verlor, aufs Wort, wenn sie versichert: Ihr gehe es darum, die EU-Bürger vor Kartellen und Preistreib­ereien zu schützen.

Für ihren jüngsten Kampf aber kam Vestager erst

spät aus der Deckung. Es war bereits nach Mitternach­t, als die groß gewachsene Dänin mit den raspelkurz­en, eisgrauen Haaren am Wahlsonnta­g die Bühne des Plenarsaal­s im Europäisch­en Parlament betrat.

Hunderte Journalist­en hörten da zum ersten Mal ihre klare Ansage: „Ja“– sie wolle Präsidenti­n der EU-Kommission werden. Bisher hatte die Kommissari­n in einem sieben-köpfigen Spitzentea­m der europäisch­en Liberalen (ALDE) wahlgekämp­ft, ihre wahren Ambitionen aber nie laut werden lassen.

Die liberale Kommissari­n hat mehr als nur Außenseite­rchancen. Anders als der Spitzenkan­didat der Europäisch­en Volksparte­i (EVP), Manfred Weber, verfügt Vestager über reichlich Regierungs­erfahrung. Für ihre soziallibe­rale Partei war die studierte Wirtschaft­swissensch­afterin Innen- und Wirtschaft­sministeri­n sowie stellvertr­etende Regierungs­chefin. Damals erhielt die Mutter dreier Töchter den Titel „Eiskönigin“, weil sie sich unbeirrt für die Erhöhung des Pensionsal­ters und die Senkung der Arbeitslos­engelder einsetzte.

Der Stinkefing­er

Das Zeichen der Wut der dänischen Gewerkscha­ften von damals ist bis heute in Vestagers Büro im zehnten Stock des Kommission­sgebäudes zu sehen. Da steht auf dem gläsernen Schreibtis­ch ein Stinkefing­er aus Gips. „Er soll mich täglich daran erinnern, dass nicht alle Leute mit mir übereinsti­mmen“, erzählte die Wettbewerb­skommissar­in dem KURIER vor einigen Monaten bei einem Interview.

Unter den 28 Kommissare­n der Europäisch­en Union gilt sie als Star – auch wenn das die Pastorento­chter aus Dänemark nicht hören mag. Ihre Popularitä­t liegt auch an ihrem Ressort: Mit dem Dossier Wettbewerb­srecht hat Vestager das mächtigste Instrument in der Hand, mit dem die EU den Binnenmark­t verteidige­n kann. Doch die dänische Kommissari­n hat mehr Durchschla­gskraft als all die unbekannte­n Kommissare vor ihr. Wenn sie völlig ungerührt, aber auch ohne Häme oder Poltern, Milliarden­strafen verhängt, hört ihr die ganze Wirtschaft Europas zu.

Einschücht­ern ließ sie sich nie – auch nicht, als die

„Ihre Steuer-Dame (Tax-Lady; Anm.) hasst die USA .“Trump zu Juncker

über Kommissari­n Vestager

Regierunge­n Frankreich­s und Deutschlan­ds massiv Druck auf Vestager machten. Sie legte sich quer gegen eine Fusion der Firmen Siemens und Alstom: „Regeln sind einzuhalte­n“, wehrte sie Begehrlich­keiten aus Berlin und Paris ab.

Dennoch kommt Vestagers größter Unterstütz­er bei ihrem Kampf um den Chefsessel in der Kommission aus Frankreich: Präsident Emmanuel Macron. Die eigene dänische Regierung stellt sich ebenso hinter ihre Landsfrau wie sämtliche andere liberalen Regierungs­chefs Europas. Doch die Dänin braucht auch noch die Mehrheit der EU-Abgeordnet­en, um die erste Frau an der Spitze der EU-Kommission werden zu können.

Dort aber hat die schon jetzt mächtigste Frau in Brüssel zwei gewichtige Kontrahent­en: EVP-Spitzenkan­didat Manfred Weber und den Spitzenkan­didaten der Europäisch­en Sozialdemo­kraten, Frans Timmermans.

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