Die Krankheit nicht mehr verstecken
Welt-MS-Tag. Prominente helfen, ein realistisches Bild von Multiple Sklerose-Symptomen zu vermitteln
Den emotionalsten Moment der Oscar-Nacht im vergangenen Februar lieferte eine, die gar nicht nominiert war. Bei der hochkarätigen Aftershowparty erschien die Schauspielerin Selma Blair („Eiskalte Engel“) mit einem besonderen Accessoire auf dem roten Teppich: Mit der linken Hand hielt sie die Schleppe ihres flatternden Couturekleids hoch, mit der rechten stützte sie sich auf einen Gehstock, versehen mit ihrem Monogramm und einem pinkfarbenen Diamanten. Es war ihr erster Auftritt, seitdem sie im Oktober ihre MS-Erkrankung öffentlich gemacht hatte: „Ich stürze manchmal. Ich lasse Dinge fallen. Meine Erinnerung ist vernebelt. Und meine linke Seite fragt nach Anweisungen eines kaputten Navigationssystems“, schrieb Blair damals auf ihrer Instagram-Seite. Anfang Mai zeigte sich die 46-Jährige erneut mit Gehstock auf einer Hollywood-Gala (siehe li.). Ihre Botschaft ist klar: Seht her, meine Krankheit gehört zu mir, ich verstecke sie nicht.
Ein mutiger Schritt im perfektionsverliebten Los Angeles, der ganz dem Motto des heutigen Welt-MS-Tages entspricht: Die Hashtags #MyInvisibleMS und #sichtbarwerden sollen die unsichtbaren Symptome der chronischen Entzündungskrankheit vor den Vorhang holen – Taubheitsgefühle in den Gliedmaßen, Seh- und Gangstörungen, Depressionen, Muskelsteife oder Blasen- und Darmprobleme. Die Liste der möglichen Beschwerden ist lang und bei jedem Patienten individuell, betont Kerstin Huber-Eibl von der Multiple Sklerose Gesellschaft Wien. Das häufigste unsichtbare Symptom ist Fatigue, ein extremer Erschöpfungszustand. „Früher hatte man bei Multipler Sklerose sofort den Rollstuhl im Kopf. Die meisten Patienten sitzen aber nicht im Rollstuhl, sondern haben Symptome, die man nicht sehen kann“, erläutert Huber-Eibl. Ein Problem, denn: „Dadurch wird ihnen oft nicht geglaubt.“So werde etwa der schwankende Gang vieler MS-Patienten häufig auf übermäßigen Alkoholkonsum zurückgeführt – schuld sind aber die durch ein fehlgeleitetes Immunsystem entstandenen Schädigungen des Nervengewebes, die meist eine einseitige Taubheit verursachen.
Ungeschönte Einblicke
Seit Weltstars wie Selma Blair oder Ozzy-Sohn Jack Osbourne (siehe re.) ihre Diagnose publik machten, spricht man offener über die Autoimmunerkrankung, freut sich HuberEibl. „Wenn sich eine Selma Blair mit Gehstock zeigt, trägt das dazu bei, dass sich die Leute mit der Krankheit identifizieren. MS wird zunehmend salonfähiger.“
Daran sind auch die sozialen Medien wesentlich beteiligt. Blair teilt mit ihren 1,5 Millionen Abonnenten auf Instagram nicht nur GlamourMomente, sondern auch persönliche Tiefpunkte, die mit ihrer Krankheit einhergehen. Neben den Gefühlsstörungen hat die Mutter eines Sohnes mittlerweile Probleme zu sprechen, auch die Nebenwirkung der Medikation machen ihr zu schaffen: „Hier ist die Wahrheit“, schrieb sie Anfang Mai unter ein Foto, das sie sichtlich erschöpft in eine Decke gekuschelt zeigt, „mir geht es extrem schlecht. Ich muss mich übergeben und all die anderen Dinge, über die man nicht spricht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich mich jemals wieder gut fühle.“In den Kommentaren wurde sie mit mitfühlenden Worten überhäuft, viele Mit-Betroffene bedankten sich für so viel Ehrlichkeit.
Auch Blogs helfen, die unheilbare Krankheit sichtbarer zu machen. „Frauenpower mit MS“heißt der bekannteste im deutschen Sprachraum, die zweifache Mutter Caroline Régnard-Mayer berichtet darin humorvoll von ihrem Alltag mit Multipler Sklerose, gibt Ernährungstipps und informiert über unsichtbare Symptome. Auch in der Facebook-Gruppe der Multiple Sklerose Gesellschaft Wien herrscht ein reger Austausch. Huber-Eibl zitiert eine junge MS-Patientin: „Durch die sozialen Medien ist niemand mehr allein.“