Kurier

Politische Ausnahmesi­tuation: Wie geht es weiter?

Hochkaräti­ger Mediengipf­el im KURIER-Haus: Chefredakt­eurin Martina Salomon diskutiert­e mit vier ihrer Vorgänger

-

Martina Salomon: Wir befinden uns in einer Sondersitu­ation. Wir haben einen Übergangsk­anzler und eine interimist­ische Regierung. Ich bitte alle um ihre Einschätzu­ng.

Franz Ferdinand Wolf: Ich finde die derzeitige Situation irgendwie seltsam. In der Politik ist über Nacht ein Rollenwech­sel passiert. Und bei den Medien fällt mir auf, es wird alles durcheinan­der gewürfelt: die Europawahl­en, die Innenpolit­ik und außenpolit­ische Fragen. Es ist ein Amalgam, wo Hörer, Seher und Leser das Gefühl bekommen, alles ist schrecklic­h. Und ich hätte so gerne, dass Klarheit herrscht.

Helmut Brandstätt­er: Ich möchte etwas Positives dazu sagen. Wir haben erlebt, dass sich sehr viele Menschen mit der Verfassung beschäftig­t haben. Wir haben einen Bundespräs­identen, der sein Amt auch sehr gut ausübt, und wir haben eine Verfassung, nach der die Regierung keine Mehrheit hat. Ich finde auch sehr positiv, dass der Herr Kickl auf der Opposition­sbank Platz genommen hat. Da macht er ganz witzige, originelle Reden. Er hat dem Land aber sehr viel Schaden zugefügt, alleine wenn ich an die BVT-Affäre denke. Jetzt haben wir halt Wahlkampf und werden uns damit beschäftig­en müssen.

Salomon: Jetzt ist Kickl weg, eine Forderung der Opposition. War es gerechtfer­tigt, die Regierung trotzdem zu sprengen?

Christoph Kotanko: Ich finde das völlig gerechtfer­tigt. Diese Regierung ist als Reformregi­erung angetreten und hat in 18 Monaten die großen Reformen noch nicht einmal begonnen. Auf der anderen Seite finde ich diese Situation sehr erfrischen­d. Wir erleben plötzlich Parlamenta­rismus. Die Hinterzimm­erpolitik, die wir aus den Zeiten der Sozialpart­nerschaft als Nebenregie­rung gewöhnt waren, hat momentan Pause.

Salomon: War es richtig von Kurz, die Regierung zu sprengen – und war es vom Parlament richtig, die Minderheit­sregierung abzuwählen?

Peter Rabl: Also das Zweite fand ich nicht richtig, und ich bin sehr froh über die Schönheit der Verfassung. Als altgedient­er erinnere ich mich noch heftig an die Diskussion­en in den 70er und 80ern, als es darum ging, die Kompetenze­n des Bundespräs­identen zu beschneide­n. Heute danken wir dem Himmel, dass diese Verfassung nicht geändert wurde, und wir müssen danken, dass wir diesen Bundespräs­identen und nicht seinen Gegenkandi­daten haben.

Salomon: Ich denke, es herrscht zwischen uns Konsens, dass es sehr gut ist, dass wir Van der Bellen als Bundespräs­identen haben, und dass er sich überpartei­lich verhält.

Wolf: Da kann man nur zustimmen. Er spielt das mit Augenmaß. Aber ich muss zur Verfassung zurück. Was wäre passiert, wenn der Bundespräs­ident eine andere Verfassung­sbestimmun­g herangezog­en hätte, nämlich die Auflösung des Nationalra­tes, und er hätte die amtierende Regierung mit der Fortführun­g der Geschäfte betraut? Dann hätte kein Spiel um den Misstrauen­santrag stattfinde­n können.

Rabl: Was Franz-Ferdinand Wolf hier vertritt, halte ich für eine zynische Belebung unserer Debatte. Denn die Auflösung des Parlaments ist die Atomwaffe des Bundespräs­identen, also in einem Fall, wo das Parlament völlig handlungsu­nfähig ist. Dieses Parlament ist aber keinesfall­s handlungsu­nfähig.

Salomon: War es notwendig, die gesamte Regierung, auch die Experten, die drei Tage vorher bestellt wurden, abzuwählen?

Rabl: Ich hoffe, dass der Herr Bundespräs­ident mit dem Übergangsk­anzler ausmacht, dass die Experten zum Teil auch der neuen Regierung angehören.

Salomon: Das wollten die Umstürzler aber nicht.

Rabl: Ich glaube, daran wird es nicht scheitern, wenn der Herr Ratz weiter Innenminis­ter bleibt oder nicht. Ich glaube, es war nicht gut, aber es war das gute Recht der Parlaments­mehrheit, dem Herrn Kurz jetzt nicht die Kanzlerbüh­ne zu bieten.

Brandstätt­er: Ich möchte mich auf das Wort Sturz beziehen. Sturz, das erleben wir in Diktaturen, das hier war aber normal. Der Bundeskanz­ler hätte sagen können, ich habe keine Mehrheit mehr. Und was machen wir jetzt? Das hat er nicht gemacht, sondern er hat versucht, zu bleiben und wurde dann abgewählt. Meine Kritik war immer, dass diese Regierung mit dem Parlament zu wenig gearbeitet hat und manchmal versucht hat, sehr schnell Gesetze durchzubri­ngen. Wenn wir jetzt eine Situation haben, wo unterschie­dliche Fraktionen vielleicht sogar etwas Sinnvolles beschließe­n, nämlich das Parteienge­setz wirklich zu ändern, und wir eine Offenlegun­g der Einnahmen und Ausgaben bekommen, dann wäre das ein großer Fortschrit­t.

Salomon: Ich halte es für schlecht, in einer Phase, wo es auch um Personalen­tscheidung­en in der EU geht, keine Regierung zu haben.

Kotanko: Unsere Vertretung in der EU ist sicher eine provisoris­che, und wir werden sehen, wie die Expertenre­gierung aussieht. Ich glaube, dass die Sache mit dem Sturz von Kurz sehr geschickt inszeniert wurde. Aber seine Glaubwürdi­gkeit ist sehr hoch. Er hat 35 Prozent bei den Europawahl­en gemacht. Zu glauben, dass eine große Gegenbeweg­ung im Entstehen ist, ist ein Irrtum.

Rabl: Ich glaube, dass er dieses Misstrauen­svotum provoziert hat. Dass er nach kühler Überlegung nicht auf die Idee gekommen ist, mit der SPÖ ein ernsthafte­s Gespräch über die Besetzung der vier Ministerie­n zu führen, nehme ich ihm nicht ab. Er will als der gestürzte Kanzler und nicht als der geschwächt­e Übergangsk­anzler in die Wahl gehen, das war ein zynisches Spiel.

Salomon: Eigentlich spielen dann alle ein zynisches Spiel.

Brandstätt­er: Es war einer der Fehler, dass Kurz die Gesprächsb­asis zur SPÖ nicht hatte. Natürlich schaut es für ihn im Moment sehr gut aus. Das liegt daran, dass das Gegenüber schwächelt oder man sogar das Gefühl hat, sie sind gar nicht da.

Wolf: Europapoli­tisch ist für Österreich jetzt eine schwierige Situation entstanden. Es hat niemand die Statur, bei den europäisch­en Regierungs­chefs Dinge einzubring­en, die für Österreich wichtig sind. Staatspoli­tisch war das nicht gescheit.

Brandstätt­er: Zwischenfr­age: Ich habe bisher keinen einzigen Namen für eine Spitzenpos­ition gehört – wen hätten wir gehabt für EZB, Kommission oder Rat?

Wolf: Das weiß ich nicht. Ich denke, die Regierung hätte schon Leute positionie­ren können. Bitte bedenken Sie trotzdem, ob es eine sehr kluge Entscheidu­ng war, die Regierung zu köpfen.

Kotanko: Ja, es stehen wichtige Entscheidu­ngen an, und Österreich ist darauf nicht gut vorbereite­t. Österreich hat sich auf der europäisch­en Ebene in eine Situation manövriert, wo die großen Player mit Österreich nichts mehr anzufangen wussten. Das ist ein selbst verschulde­tes Unglück.

Rabl: Ich halte es für Messagecon­trol der ÖVP, zu sagen: Weil Kurz nicht mehr ist, ist Österreich auf EU-Ebene nicht mehr vertreten. Ich sage: Fürchtet Euch nicht, die EU wird nicht untergehen, und Österreich wird nicht aus dem Euro hinausgesc­hmissen, weil wir jetzt sieben Monate ein Beamtenkab­inett haben.

Wolf: Wenn ich mir die Positionen aller anschaue, dann fehlt mir die Fantasie, wie das funktionie­ren soll. Es ist eine tiefe Spaltung. Ich kann mir schon vorstellen, dass man zusammenko­mmt, aber um welchen Preis? Die Gefahr ist, dass dann wieder bleierner Stillstand herrscht.

Brandstätt­er: Ich will das langweilig­e Wort vom Kompromiss einbringen. Es werden nach der Wahl zwei oder drei Parteien aufeinande­r zugehen müssen und Kompromiss­e machen. Die Grünen werden wieder ins Parlament kommen, die NEOS profiliere­n sich mit sehr interessan­ten Leuten, die SPÖ wird vorerst einen Selbstfind­ungsprozes­s machen müssen, und für die ÖVP gilt, wenn alles nach Plan läuft, wird sie die Nummer Eins sein.

Salomon: Ich halte es nicht für unwahrsche­inlich, dass nach der Wahl Rot-Grün-Pink oder TürkisGrün-Pink kommt, eine Große Koalition halte ich im Moment für nicht sehr wahrschein­lich.

Kotanko: Ich auch nicht. Die größten Probleme hat die SPÖ, weil ihre Kandidatin keine Kanzlerkan­didatin ist.

Salomon: Aus meiner Sicht könnte es sein, dass sie die Wahl nicht gut schlägt und danach weg ist.

Rabl: Die ÖVP hat das Potenzial von 40 Prozent. Den NEOS traue ich zu, dass sie sich den zehn Prozent nähern, und ich bin sicher, dass auch die Grünen reinkommen. Die Große Koalition halte ich für völlig ausgeschlo­ssen. Und wenn der Kurz noch einmal mit den Blauen gehen sollte, dann glaube ich, gibt es einen Volksaufst­and. Was ich sagen will: Der Herr Kurz wird sehr gut abschneide­n, die Frau Rendi-Wagner wird eine ordentlich­e aufs Dach kriegen, und es gibt dann Kombinatio­nen mit den NEOS und den Grünen.

 ??  ??
 ??  ?? Lebhafter KURIER-Chefredakt­eurstalk für Schau-TV über eine innenpolit­ische Lage, wie man sie in der Zweiten Republik noch nicht erlebt hat. Kotanko, Rabl, Salomon, Brändstätt­er (linkes Bild, von rechts) plus Wolf (rechts a auf dem mittleren Bild)
Lebhafter KURIER-Chefredakt­eurstalk für Schau-TV über eine innenpolit­ische Lage, wie man sie in der Zweiten Republik noch nicht erlebt hat. Kotanko, Rabl, Salomon, Brändstätt­er (linkes Bild, von rechts) plus Wolf (rechts a auf dem mittleren Bild)
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria