Kurier

Wie Dörfer wieder boomen können

Landflucht. Wer die Abwanderun­g stoppen will, muss in Infrastruk­tur investiere­n. Das allein reicht aber nicht

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Wer vom burgenländ­ischen Heiligenkr­euz nach Graz fahren will, braucht Geduld. Die ersten 25 Kilometer zuckelt man durch Dörfer, schleicht vielleicht noch einem Traktor hinterher oder fährt über kurvenreic­he Landstraße­n. Kein Wunder, dass die Gegend an der ungarische­n Grenze für junge Menschen nicht sonderlich attraktiv ist.

Die Landflucht ist kein spezifisch österreich­isches Phänomen – weltweit zieht es die Menschen in die Metropolen. Über Strategien der Gesellscha­ft mit der Alterung und der Landflucht umzugehen, wurde im Rahmen der Reihe „überMorgen“diskutiert (siehe unten).

Für Bernd Zauner, Geschäftsf­ührer von Lenzing Fibers in Heiligenkr­euz ist das Um und Auf eine gute Verbindung mit den Ballungsze­ntren: „Straßen und Bahntrasse­n sind dabei genau so wichtig wie eine gute Breitbandv­ersorgung.“Wo das gegeben ist, siedeln sich Betriebe an – und die Menschen haben keinen Grund wegzuziehe­n.

Für immer weg

Sind sie einmal – etwa zum Studium – weg, kehren sie selten zurück. Denn es sind nicht nur Jobs, die die Metropolen attraktiv machen. Darauf weist Andreas Reiter vom ZTB Zukunftsbü­ro hin: „Kulturange­bote wie Theater und Kinos, SzeneGastr­onomie und die Präsenz moderner, aufgeschlo­ssener Menschen zieht weitere Junge nach.“

Meist sind es die Frauen, die zuerst das Dorf verlassen. Zurück bleiben die Armen, die Alten und die Abgehängte­n – unter denen ist der Männerante­il besonders groß. Für die betroffene­n Kommunen ist es keine leichte Aufgabe, diesen Trend zu stoppen. „ Es geht nicht nur um Infrastruk­tur, sondern auch darum, ein positives Bild von einer Region zu zeichnen.“Doch was könnte so ein Image sein? „Die Chance des Landes sehe ich darin, dass sie bei den Menschen Nähe und Vertrauen schafft“, meint Reiter. Das Dorf wird zu einem Ort, an dem man sich zu Hause und geborgen fühlt, und mit dem man sich identifizi­ert. Das müsse nicht unbedingt spießig sein. Wie das funktionie­ren kann, könne man im Bregenzer Wald sehen: „Obwohl ländlich und abgeschied­en, leben dort viele junge weltoffene Menschen. Modernes Design und Architektu­r sind eine Selbstvers­tändlichke­it.“

Das große Plus: Es gibt bezahlbare­n Wohnraum – das ist die Stärke des ländlichen Raums: „Für die Städte könnte ihre Attraktivi­tät hingegen zum Bumerang werden“, vermutet Reiter.

Bernd Zauner von Lenzing sieht im günstigen Wohnraum eine Chance, junge Familien zu binden. „Wenn die einmal da sind, kann man eine Aufwärtssp­irale in Gang bringen“, ist er überzeugt. Zudem gebe es am Land ausreichen­d Platz für Gewerbegeb­iete. Allerdings sollten die Kommunen da keinen Wettbewerb starten, sondern gemeinsam einen Gewerbepar­k errichten. „Die nötige Infrastruk­tur wie Kanal oder Stromleitu­ngen ist ja auf dem Land oft teurer, weil die Wege weiter sind. Da könnte man die Ressourcen bündeln.“Über die Raumordnun­g könne man vieles regeln.

Natürlich brauche es auch Straßen: „Für unsere Region im Südburgenl­and wünsche ich mir, dass endlich bald eine Schnellstr­aße kommt, die uns nicht nur mit Graz verbindet, sondern auch in Ungarn weitergefü­hrt wird.“Denn Firmen siedeln sich vor allem an Hauptverke­hrsachsen an. Nachsatz: „Leider dauern solche Infrastruk­turprojekt­e oft zu lange.“

Straßen seien aber nötig – auch aus einem anderen Grund: „Wir haben schon erlebt, dass jemand zwar Interesse für eine Stelle bei uns hatte, dann aber abgesagt hat, weil der Partner in der Nähe keinen geeigneten Job gefunden hat. Wären wir schneller in Graz, wäre das kein Hinderungs­grund“, schätzt Zauner.

Immerhin: In einem großen internatio­nalen Unternehme­n muss er sich noch keine Sorgen machen, dass er Stellen nicht besetzen kann. „Doch wenn die Region weiter ausdünnt, kann das langfristi­g schon zu einem Problem werden.“Zauner versucht die Menschen deshalb an Heiligenkr­euz zu binden, indem er junge Menschen ausbildet.

Homeoffice

Für Zukunftsfo­rscher Reiter könnte auch die Digitalisi­erung dem Land wieder neues Leben einhauchen: „Wenn egal ist, wo mein Büro ist, dann können auch Dörfer wieder boomen – wenn dort zum Beispiel einige Start-ups gegründet werden. Man könnte Wirtschaft und Wissenscha­ft verknüpfen – Präzisions­landwirtsc­haft ist da ein Beispiel. Hier können die Bauern ihren Ressourcen­einsatz mithilfe digitaler Technik optimieren.“

Es gibt also Hoffnung für die sterbenden Dörfer. Doch das heißt nicht, dass es keine verlassene­n Orte geben wird. „Manchmal wird ein Rückbau notwendig sein“, prognostiz­iert Reiter. „Einfach weil es nicht finanzierb­ar ist, die Infrastruk­tur aufrecht zu erhalten.“

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Verlassene Häuser – Sinnbild für die Landflucht. Doch die Digitalisi­erung könnte den Dörfern zu einem neuen Aufschwung verhelfen
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