Kurier

Flüchtling­e in Internieru­ngslagern: „Sie haben Angst, vergessen zu werden“

- – KAROLINE KRAUSE-SANDNER

Die Zellen sind übervoll. Je nach Größe sind Dutzende, manchmal Hunderte Menschen in einen Raum gepfercht. Die Männer, Frauen und Kinder tragen meist jene Kleider an ihren Körpern wie an jenem Tag, als sie ihr Zuhause verlassen haben. Laut offizielle­n Zahlen sind rund 6.000 Flüchtling­e – die meisten aus afrikanisc­hen Staaten südlich der Sahara – in staatliche­n Internieru­ngslagern in Libyen untergebra­cht. Inoffiziel­le Zahlen sind zigmal so hoch. Die Verantwort­ung liegt formal bei der libyschen Behörde zur Bekämpfung illegaler Migration (DCIM), die dem Innenminis­terium unterstell­t ist. Die Organisati­on der Lager wird meist von Milizen durchgefüh­rt.

Wer aus einem afrikanisc­hen Land flüchtet, kommt an Libyen kaum vorbei. Und die meisten wissen, dass sie dort Schrecklic­hes erwartet. Sandra Miller war sechs Monate mit der Hilfsorgan­isation „Ärzte ohne Grenzen“in Libyen und hat Insassen in fünf Lagern betreut. Sie behandelte dort Atemwegser­krankungen, Durchfälle, Haut-, Herzoder chronische Krankheite­n.

Letzte Würde verloren

Doch ein großer Teil der Beschwerde­n sind psychische Erkrankung­en, die sich teils in körperlich­en Symptomen niederschl­agen, sagt die Krankensch­wester: „Die Menschen in den Lagern leiden an Schlafstör­ungen, Depression­en, Angststöru­ngen, die sich durch Muskel-, Rücken- oder Kopfschmer­zen äußern“, erzählt Miller.

„Die Menschen schätzen es sehr, wenn jemand zuhört.“Sie erzählen dann von Erlebtem auf der Flucht und von Enttäuschu­ng, Ungewisshe­it. „Sie haben Angst, von der Welt vergessen zu werden.“

Viele Frauen und Männer berichtete­n, dass sie im Laufe der Flucht (Massen-)Vergewalti­gungen erlebt hätten. „Man kann sich nicht vorstellen, was diese Menschen erlebt haben“, sagt Miller im KURIER-Gespräch. Durch sexuelle Gewalt oder andere Misshandlu­ngen haben sie die letzte Würde verloren.

Manche verüben Suizid oder denken zumindest darüber nach. Manche verschwind­en auch aus den Lagern von heute auf morgen und keiner wisse, wohin. Manche aber entwickeln eine Widerstand­sfähigkeit und machen weiter und weiter, sagt Miller. „Irgendwo gibt es offenbar doch diese Hoffnung auf ein besseres Leben.“

70 Millionen Flüchtling­e

Diese Hoffnung hatten auch jene 70,8 Millionen Menschen, die laut UNHCR-Statistik im Jahr 2018 weltweit auf der Flucht waren. 2,3 Millionen mehr als 2017. Davon gelten 25,9 Millionen als Flüchtling­e, 41,3 Millionen, sind intern Vertrieben­e. Zwar landen weit weniger Flüchtling­e in Europa als noch vor drei Jahren. Die Zahl der Asylanträg­e in Österreich (13.764) geht stark zurück. Doch die weltweiten Zahlen steigen. Die Menschen in den Lagern seien sehr wohl informiert über die restriktiv­e Flüchtling­spolitik der EU, so Miller von Ärzte ohne Grenzen, aber sie „sehen keine andere Möglichkei­t“. Sie seien sich des Risikos bewusst, das die Flucht mit sich bringt.

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Afrikanisc­he Migranten in einem der berüchtigt­en libyschen Lager

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