Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding
Spät-Nachmittags-Kritik. „Otello“: Solide gesungen, optisch museal, wenig differenziert dirigiert
Eine Staatsopern-Premiere nach einem philharmonischen Konzert – das gab es freilich schon oft. Eine Staats opern premiere vor einem Philharmonischen, jenem in Schönbrunn – das war neu. Hoffentlich macht dieses Vorspiel nicht dahingehend Schule, dass irgendwann einmal eine Premiere vor der 11Uhr- Matinee angesetzt wird, so gegenum6Uhr früh.
Diesmal also: Verdis „Otello“mit Beginnzeit um 16 Uhr und vor 19Uhr zu Ende. Das ist also keine Nachtkritik, sondern eine SpätNachmittags-Kritik. Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding.
Di es er„Otello“ind er Inszenierung von Adrian Noble ersetzt jenen von Christine Mielitz, der im Boxring gespielt hatte. Nunwirddie Zeit gleich ordentlich zurückgedreht, in die 1920er Jahre, es könnten aber manche Szenen auch zur Zeit der Uraufführung in den 1880er Jahren spielen. Bezüglich der Personenführung und der Interpre tat ions kraftbe finden wir uns der Erinnerung nach irgendwo in den 1980 er Jahren. Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding.
Gesungen wird solide, wenn auch die Protagonisten nicht zwingend Gründe für eine Neuproduktion liefern. Aleksandrs Antonenkoist ein kraftvoller, erprobter Otello mit metallischem Glanz, großem Volumen und nicht ganz adäquater stimmlicher Eleganz. Olga Bezsmertna singt das Weidenlied und des Gebet der Desdemona schön, aber nicht allzu berührend. Vladislav Sulimsky verfügt über einen nobel timbrierten Bariton, kommtaber als Jago mit seinem „Credo“kaum über die Orchesterwogen, die diesmal so stürmischsind wie das vor dem Haus stattfindende Gewitter. Stimmlich gut besetzt sind Jinxu Xiahou als Cassioun dM arg aritaGritskova als Emilia.
Myung-Whun Chung am Pult des für dieses MeisterwerkidealenOr ch e st ers setzt auf Attacken statt auf Differenzierung, auf Kraftmeierei statt auf Phrasierung, es kracht und donnert – nicht nur, aber ganz zentral darob ist das eine Premiere der vergebenen Chancen. DasPublikum reagierte mit Applaus und minimalen Einwänden. Wien hat einen neuen „Otello“– werweiß wie langediesmal. Die Zeit, die ist ein sonderbarDing.
KURIER-Wertung: