Kurier

Boris Johnson, Premier in spe

Großbritan­nien. Der Brexit-Hardliner dürfteTher­esaMay als Premier nachfolgen – für viele eine Horrorvors­tellung

-

Vor drei Jahren stimmten die Briten für Brexit. Ist es Johnson, der ihn nun exekutiert? Das Porträt.

Boris Johnson hatte es gerade erst in die letzte Runde der Wahl des neuen Tory-Chefs geschafft, sein Lebensziel vor Augen, da war es ihm auch schon wieder gelungen, sich selbst ein Bein zu stellen. Nachbarn riefen die Polizei, nachdem der 55-Jährige am frühen Freitagmor­gen in einen heftigen Streit mit seiner Freundin geraten war. „Lassmichin­Ruhe“, wardabei von der 31-Jährigen laut der Zeitung The Guardian ebenso zu hören wie mehrmalige­s „Raus aus meinerWohn­ung“, begleitet von lauten Schreien. Eskamzukei­nerAnzeige, aber die Nachbarn gaben den Mitschnitt des Konflikts an den Guardian weiter. Nicht zum ersten Mal sind es Johnsons Temperamen­t und Charakter, die zur Diskussion stehen.

„Größenwahn­sinnig“

„Er ist größenwahn­sinnig. Ich bin nicht sicher, ob er fähig ist, sich umirgendei­n anderes menschlich­es Wesen zu sorgen als um sich selbst.“So beschreibt Johnsons früherer Vorgesetzt­er Max Hastings den Ex-Bürgermeis­ter von London, Ex-Außenminis­ter und aussichtsr­eichsten Kandidaten­für den Parteivors­itz der Konservati­ven – und damit für die Nachfolge von Premiermin­isterin TheresaMay.

Zehn Jahre lang war Hastings als Chefredakt­eur der konservati­ven Tageszeitu­ng DailyTeleg­ra ph damit beschäftig­t, die hoch fliegenden Ambition endes damaligen Journalist­en zu bändigen .„ Boris wollte Premier werden, seit ich ihn kenne“, sagte Hastings vergangene Woche der BBC anlässlich Johnsons Erfolg beider inn er konservati­ven Führungswa­hl: „Was ich bloß nicht begreife, ist, warum so viele konservati­ve Parlamenta­rier, dieihmnich­t ihreBrieft­asche oder ihre Frau anvertraue­n würden, sich jetzt hinter ihn stellen.“

Paradoxerw­eise aber beweisen gerade diese harten Worte auch die unkonventi­onelle Überzeugun­gskraft des in Oxford in römische rund altgriechi­scherLiter­atur und Geschichte ausgebilde­ten Sprosse seiner exzentrisc­hen Aristokrat­en familie. Schließlic­h war es nicht nur Hastings selbst, der Johnson 1989 einstellte, wohl wissend, dass der junge Schreiber bereits wegen seines allzu freien Umgangs mit Fakten bei der Tim es raus geflogen war. Er beförderte ihn 1994 auch noch vom EU-Korrespond­enten zu seinem Stellvertr­eter.

Lügen überEU

Und das, obwohl Johnson sich in Brüssel damit amüsiert hatte, originelle Zeitungsen­ten in dieWelt zu setzen: Von der vermeintli­chen Normierung vonKon dom größen bis zurBe drohung der britischen Wurst durch die mächtige Eurokratie. Jene Mythen aus Boris Johnsons Kopf etablierte­n in der britischen Öffentlich­keit ein Spottbild der EU als Schildbürg­er-Regime.

Jahre später sollte Johnson „dieses eigenartig­e Gefühl der Macht“beschreibe­n, angesichts des „explosiven­Effekts“, denseinefa­ntastische­n Brüsseler Depeschen drüben in London auslösten. Aus seiner medialen Omnipräsen­z – besonders in satirische­n TV-Shows – münzte er politische­s Kapital, zog 2001 ins Unterhaus ein und stieg sogleich ins konservati­ve Schattenka­binett auf. Er verlor diese Position aber bald wieder nach Auffliegen einerAffär­e, dieergegen­über seinem Parteichef Michael Howard unter Ehrenwort abgestritt­en hatte. Der Vater von mindestens fünf Kindern wurde von seiner leidgeprüf­ten zweiten Frau übrigens erst letztes Jahr nacheinemS­eitensprun­gaus dem Haus geworfen. Seither lebt Johnson mit seiner aktuellen Freundin zusammen. Doch private Indiskreti­onen stören Johnsons Fans ebenso wenig wie die zahllosen diplomatis­chen Fehl tritte seiner kurzen Amtszeit als Mays Außenminis­ter .„ Hinter ihm aufzukehre­n“, bemerkte sein damaliger Staatssekr­etär Alan Duncan, sei „eine Voll zeit aktivität“gewesen.

„Selbstmord­weste“

So wie Hastings und Howard zuvor wusste auchMay genau, worauf sie sich mit Johnson einließ: In seiner Pro-BrexitKamp­agne, die genau heute vor drei Jahren im„ Ja“der Briten zu einem EU-Austritt gipfelte, hatte er die Fiktion jener berüchtigt­en 400 Millionen Euro pro Woche verbreitet, die statt in die EU direkt in das britische G es und heitssyste­mf ließen könnten. Er hatte auch das europäisch­e Integ rat ions projekt mit den Ideen Napoleons und Hitlers gleichgese­tzt. Später schrieb Johnson, May habe mit ihrem ausverhand­elten Brexit-Deal dem Land „eine Selbstmord­weste“angelegtun­d„denAuslöse­r an Brüssel übergeben.“

Solche Ausritte werden die Tory-Mitglieder, die sich bis 22. JuliperBri­efwahl zwischen ihm und seinem Nachfolger als Außenminis­ter, Jeremy Hunt, entscheide­n sollen, kaum abschrecke­n. ImGegentei­l: Hunt istEx-Remainer und als solcher bloß ein Konvertit. „Boris“dagegen verspricht einen Brexit bis zur an Halloween auslaufend­en Frist, ob mit Deal oderohne. Dasmageine­rprovinzie­llen Parteibasi­s imponieren, Londoner dagegen erinnern sich noch an Johnsons leeres Verspreche­n, er werde sich persönlich vor die Bauwalzen legen, umdenBauei­nerdritten Landebahn in Heathrow zu verhindern.

Vielleicht spekuliert sein alter Studienkol­lege, der ErzRemaine­r und Ex-SchatzÜBER­BLICK kanzler George Osborne auf genau diese verlässlic­he Unverlässl­ichkeit, wenn er sich nun als Herausgebe­r des Londoner Evening Standard ausgerechn­et hinter den ErzBrexite­er stellt. Tatsächlic­h besäße wohl niemand außer Johnson die nötige Chuzpe, den Brexit im letzten Moment voreinemde­saströsenN­oDeal nocheinmal­abzublasen. Oder aberauchdi­enötigeArr­oganz, den Unernst und das Desinteres­se an Details, um sein Landsehend­enAugesübe­rdie Klippen zu schubsen.

„Werden wütend sein“

Soodersogl­aubtseinEx-Chef Max Hastings, dass Johnson vor seiner fatalen, letzten Selbstüber­schätzung steht, denn: „Die Leute werden so wütend sein, wenn sie einmal draufkomme­n, dass ihr neuer Premiermin­ister unfähig ist, auchnur einen Bruchteild­avonzulief­ern, waserihnen verspricht.“

 ??  ??
 ??  ?? Vor drei Jahren stimmten die Briten für den Brexit. Ex-Minister Johnson (l.) wird diesen wohl als neuer Tory-Chef vollziehen. Sein parteiinte­rner Konkurrent Hunt hat kaum Chancen
Vor drei Jahren stimmten die Briten für den Brexit. Ex-Minister Johnson (l.) wird diesen wohl als neuer Tory-Chef vollziehen. Sein parteiinte­rner Konkurrent Hunt hat kaum Chancen

Newspapers in German

Newspapers from Austria