Zum nationalen Egoismus hat mit TrumpeinenHöhepunkterreicht.
oder vier Krankenschwestern, die michdavorwarnten, Lügenüberdie Arbeitslosigkeitdurchdiekommende Einheit zu verbreiten. Ich wisse doch selbst, dass das nicht stimme. Diese Frauen hätte ich gerne zwei Jahre später noch einmal getroffen. Trotzdem: Ich war kurz eher beliebt, wurde dann von vielen zutiefst abgelehnt und habe mir inzwischen bei einer Mehrheit eine beachtlicheAkzeptanz erarbeitet.
Sie wurden bei Veranstaltungen von Bürgern beschimpft und bespuckt. Wie gingen Sie als SED-Chef mit solchen wütenden Reaktionen um?
Ich habe mich immer bemüht, die Fassung zu bewahren und in Bürgergesprächen nicht selten bei solchenMenschendasGegenteil erreicht. Die Menschen im Osten hattensehrgroßeSehnsuchtnachFreiheit und westlicher Demokratie. Aber kurze Zeit später entstanden auchEnttäuschungundWut auf die neuen, nicht immer leicht zu meisterndenVerhältnisse.
Sie kritisieren seit vielen Jahren, dass nicht der Neffe und die reiche Tante zusammengezogen sind, sondern der Neffe bei der reichen Tante eingezogen ist. Sie wollten eine echte Vereinigung von BRD und DDR und keinen Beitritt der DDR. Ist das 30 Jahre später noch von Relevanz?
Man unterschätzt, wie sich die Ansichten der Eltern auf die Kinder übertragen. Die Deutschen aus der DDRhattenam3. Oktober1990das Gefühl, dass sie Deutsche zweiter undnicht erster Klassewurden. Das eigentliche Problem war, dass die Bundesregierung damals nicht aufhören konnte zu siegen. Es gab auf westlicher Seite eine gewisse Arroganz und wenig Bereitschaft, sinnvolle positiveSeitenausderDDRim wiedervereinten Deutschland zu bewahren. Hätten sie sechs davon übernommen, wäre das Selbstbewusstsein der Ostdeutschen gestiegen. Sie hätten sich gesagt: Wir hatten zwar eine Diktatur, aber sechs Gegebenheiten waren so gut, dass sie jetzt inganzDeutschlandgelten. Die Westdeutschen hätten erlebt, dass sich ihre Lebensqualität in diesen sechs Fragen durch den Osten erhöht hätte. Das ist ihnen nicht gegönnt worden und hat Konsequenzen bis heute.
Welche denn? DassimWestenderOsteneheralsBelastung empfunden wird, materiell und politisch. Im Osten wird durch mangelndes Selbstbewusstsein die AfDstärker gewählt als imWesten.
Ein Grund, warum der Rechtsradikalismus in Sachsen ausgeprägt ist?
Ich würde das nicht an einem Bundesland festmachen. Ostberlin war anders als Chemnitz oder Dresden. In Ostberlin gab es viele Touristen, die per Tagesvisum zu uns kamen. Dadurch kamen die Menschen mit anderen Kulturen viel mehr in Kontakt. Das galt auch für Leipzig. Aberdieanderenhatten kaum eine Chance dazu. Die Ostdeutschenfühlen sichinsgesamtals Verlierer der Geschichte. Nach dem Krieg hatten sie die sowjetischeund nichtdiewestlicheBesatzung. Nach 1990 trat eine Massenarbeitslosigkeit ein, die man in der DDR nicht kannte. Entlassungen waren dort eine absolute Rarität. Es gab nicht einmal eine Arbeitslosenversicherung. Solche Bedingungen fallen einem nicht auf, wenn sie selbstverständlich existieren, sondern erst dann, wenn es sie nicht mehr gibt. Die Ostdeutschen fühlten sich durch die Art der Einheit gedemütigt. Die historischen Gebäude warenwichtiger als dieMenschen.
Inwiefern?
Alles wurde schön saniert, aber wie es dem Arbeitslosen ging, der schonvier Jahre ohne Jobwar, interessierte viel zu wenig. Im Osten sind die sozialen Ängste deshalb doppelt so groß. Hinzu kam: Die Gleichstellung der Geschlechter war in der DDR deutlich weiterentwickelt als in der Bundesrepublik. Der erste Ministerpräsident von Sachsen, Kurt Biedenkopf, der aus demWestenkam, kündigteaberan, man muss die Frauenerwerbstätigkeit strukturell wieder normalisieren, das heißt aufWestniveau bringen. Das tatweh. Die AfD verbreitet die Überzeugung: Erst hat euch die Einheit die Jobs gekostet, jetzt nehmeneuch die Flüchtlinge die Arbeit weg. Das istzwar falsch, wirkt aber.
Hat sich demnach die Wut der Ostdeutschen aus der Wende- und Nachwendezeit bis heute erhalten? Diese Erklärung passt nicht zu dem Trend, dass rechtspopulistische Parteien in ganz Europa erfolgreich sind.
Die Menschen sind überall verunsichert, weil die Welt nicht mehr überschaubar ist. Politik und Medien scheitern daran, die Komplexität der globalisiertenWelt verständlich zumachen. Wer soll denn heutenochverstehen, welchesInteressederIranundSaudi-Arabienan Syrienhaben? Wennniemandmehr die Gesamtstrukturen durchschaut, haben die rechten Populisten leichtes Spiel, der Ahnungslosigkeit mit einfachen Antworten zu begegnen. SiesagendenMenschen, dassnurdaseigeneLandzählt. Esist ihr Ziel, die Früchte der Weltwirtschaft ins eigene Land zu holen – und die Lasten den anderen Ländern aufzubürden. Dieser Trend Wenn Sie heute durch Berlin fahren. Denken Sie an gewissen Plätzen noch an die Mauer?
Eher selten. Ich habe festgestellt, dass das für meine 23-jährige Tochter nicht nachvollziehbar ist. Sie glaubt, ichrede vomMittelalter.