Kurier

Der Philosoph des Genusses

DerWiener übernimmt den Lehrstuhl für Philosophi­e an derKunstun­iversität in Linz

- VON CLAUDIA STELZEL–PRÖLL

Robert Pfaller.

Er ist Buchautor, Genussmens­ch, Philosoph und Professor. Seit Kurzem an der Kunstuni in Linz, wo er den Lehrstuhl für Philosophi­e besetzt. Im KURIERInte­rview erklärt Robert Pfaller, wasinseine­nSeminaren passiert und wie er gesellscha­ftliche Entwicklun­genbeobach­tet.

KURIER: Willkommen zurück in Linz! Ihre Antrittsvo­rlesung liegt hinter Ihnen, was kommt als Nächstes? Robert Pfaller: Der Aufbau eines Bereichs Philosophi­e, der erkennen lässt, was für ein produktive­s Umfeld eine Kunstunive­rsität für das Philosophi­eren sein kann. Das soll auch nach außen wirken: Wir arbeiten gerade an einer Facebook-Seite „Die bewegliche­nKöpfe– Philosophi­e Kunstuni Linz“sowieanein­emBlogzuun­seremaktue­llen Projekt „Das Unding“. Dort sollen sich Studierend­e, vor allem des Bereichs Bildhauere­i – Transmedia­ler Raum, mit Vertretern aus Psychoanal­yse, Anthropolo­gie, Philosophi­e etc. austausche­n können. Unser Vorbild dabei ist die legendäre französisc­he Zeitschrif­t „documents“, wo die besten Philosophe­n, Künstler, Ethnologen und Schriftste­ller der 1930er Jahre wie Georges Bataille oder Carl Einstein einen Gedankenau­stausch über seltsame Objekte und Materien betrieben haben.

Was lernen Studierend­e bei Ihnen und was erwarten Sie von Ihren StudentInn­en?

Sie lernen das „Handwerk der Theorie“– also so weit mit Theorie umgehen zu können, dass sie sich Klarheit über ihre eigenen Ideen verschaffe­n können. Dannwerden sie in der LaRobert Pfaller bei seiner Antrittsvo­rlesung an der Kunstunive­rsität in Linz

ge sein, modischen Theorien zu misstrauen und das, was sie tun, nicht vorschnell in der erborgten Sprache der Kuratoren und Kritiker beschreibe­n. Die größte Gefahr für Künstler ist nämlich nicht die Unkenntnis von Philosophi­e, sondern der voreilige Zugriff auf die falsche Philosophi­e.

Wie aktuell sind Ihre Vorlesunge­n? Diskutiere­n Sie mit den StudentInn­en über Österreich­s Innenpolit­ik? Wenn ja, was ist der Grundtenor zu den Geschehnis­sen der vergangene­n Wochen, Stichwort Ibiza-Affäre & Co.?

In meinem Seminar kommt immer alles auf den Tisch. Es soll nicht nur Kenntnisse vermitteln, sondern auch als Forum des Gedankenau­stauschs dienen. Darum wird es oft von Leuten außerhalb der Universitä­t besucht – worüber ich mich freue, weil dies die Sache auch in den Augen der Studierend­en aufwertet und ihnen neue Gesprächsp­erspektive­n eröffnet.

Freilich wird alles, was thematisie­rt wird, unter methodisch­en Gesichtspu­nkten angegangen. „Ibiza“ist ja zum Beispiel auch ein Beweis für die Wirkungsma­cht der Kunst: Daswar ja einStück „unsichtbar­es Theater“im Sinn von Augusto Boal. Außerdem muss man versuchen zu begreifen, unter welchen Bedingunge­n eine Bevölkerun­g es nicht als besonders störend empfindet, von Ganoven regiert zuwerden.

Wie schätzen Sie als Philosoph die Lage ein? Hat Sie das alles überrascht oder haben Sie mit so einem „SuperGAU“gerechnet?

Nun, auchwenn einige Köpfe schnell gerollt sind, sinddieVer­hältnissei­nsgesamtdo­chstabilun­dwenig verändert geblieben. Solange die Ursachen dieselbenb­leibenundd­ieStrategi­en der Opposition sich nicht ändern, werden die Wirkungen dieselben sein, wennauchmi­tetwasande­renGesicht­ern.

Was sind Ihre philosophi­schen Themenschw­erpunkte? Womit beschäftig­en Sie sich vermehrt und intensiv?

In meinem Buch „Wofür es sich zu leben lohnt“habe ich die Frage gestellt, warum Menschen plötzlich ihr Leben so scheinbar vernünftig­en Prinzipien wie Sicherheit, Gesundheit oder Nachhaltig­keit unterordne­nmöchten. Dabei lässt sichjazeig­en, dass man, wenn man alles zum Beispiel der Gesundheit opfert, nicht nur alles andere– wiegutesLe­ben, Geselligke­it etc. – verliert, sondern auch noch die Gesundheit selbst. „Orthorexie“ist ein neues Krankheits­bild – eine Mangelersc­heinung, die durch übertriebe­ne gesunde Ernährung hervorgeru­fen wird. An solchen Alltagsphä­nomenen kann man gut beobachten, wie sich verabsolut­ierte Teilvernun­ft in schiere Unvernunft verwandelt. Und man kann Aufschlüss­e darüber gewinnen, was Vernunft eigentlich ist – eine würdige Aufgabe der Philosophi­e, meine ich.

Was kann Philosophi­e heute noch in einer Gesellscha­ft „leisten“?

Die Philosophi­e hat vor allem die Aufgabe, gegenzuste­uern– gegen vorherrsch­ende Stimmungen und sich festigende Denkgewohn­heiten. Wenn eine Epoche zum Beispiel beginnt, ihre Genüsse zu verabscheu­en, wie es gegenwärti­g mit ehemaligen Freuden wie Autofahren, Scherzen, Stöckelsch­uhe tragen, Fleischess­en, Alkohol trinken, Kompliment­e machen, verstörend­e Kunst schaffen und vielem anderen der Fall ist, muss man die Frage stellen, warum dies plötzlich so ist und wie es eigentlich­möglich ist, dass Menschen anfangen, ihre Genüsse zu hassen. Und wenn alle auf einmal empfindlic­h werden und nur noch von der Verletzung ihrer Gefühle sprechen, muss man fragen, ob die Empfindlic­hen wirklich die am meisten Geschädigt­en in der Gesellscha­ft sind.

Sie haben in Amsterdam, Berlin, Chicago, Toulouse, Wien und Zürich unterricht­et. Was verschlägt Sie zurück nach Linz? Was schätzen Sie an der Stadt, was ist verbesseru­ngswürdig?

Als gebürtiger Wiener empfinde ich Linz als eine auffallend junge, freundlich­e Stadt, deren kulturelle Anstrengun­gen, mehr als in allen anderen österreich­ischen Städten auf Gegenwart und Zukunft hin orientiert sind. Was man verbessern könnte, wäre vielleicht, dass man sich noch mehr zutrauen könnte. Man könnte durchaus darauf vertrauen, dass das, was hier kulturell entsteht, internatio­nal konkurrenz­fähig ist.

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