Kurier

Lasst die Gäste arbeiten!

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Karin ist eine wunderbare Gastgeberi­n und ein hochgeschä­tzter Gast. Sie liebt gutes Essen, trinkt gerne edle Rebensäfte, ist gewandt in Konversati­on und bringt ihren Tischnachb­arn höchstes Interesse entgegen. Vor Jahrzehnte­n habe ichmit ihr bei einer österreich­ischen Qualitätst­ageszeitun­g zusammenge­arbeitet. Dann ging sie erst nach New York, später nach Brüssel. Die Jahre dort kommen den Gästen der inzwischen wieder in Österreich lebenden Kulturmana­gerin kulinarisc­h zugute: Sie bäckt ihre eigenen Baguettes, hat sieben verschiede­ne Quiches imRepertoi­re, die Pommes Frittes sind hausgemach­t (comme il faut) und in ihr Boeuf Bourguigno­n könnteman sich eingraben.

In ihrem Zweitwohns­itz, einem Jahrhunder­te alten Bauernhof, wird je nachWetter­lage, Laune und Gästeanzah­l getafelt: auf der riesigen, kunstvoll im römischen Verbund verlegten Terrasse, in der gemütliche­n Stube mit dem alten Kamin, oder in der lauschigen „Blauen Grotte“, einem mit diversen Dachbodenf­undstücken stilvoll dekorierte­n Salettl. Währendwir das einzigarti­ge Ambiente loben und die dargeboten­en kulinarisc­hen Genüsse würdigen, uns für die sorgsam vomfrankop­hilen Ehemann kuratierte­Weinbeglei­tung bedanken, spielt Karin die Bälle zurück: „Du bist ja auch so eine begnadete Köchin. Und du hast ja so ein Händchen für die Zusammense­tzung der Gäste!“, lobt Karin. – Dieses Kompliment lasse ich gelten, denn tatsächlic­h überlege ich immer sehr gut, wer mitwem Spaß haben könnte, und das Placement istmir genauso wichtig, wie die Entscheidu­ng, was auf die Teller kommt.

„Aberwas ich an euch ammeisten liebe, ist eure Gelassenhe­it“, setzt Karin nach. „Wie meinst du das?“, erwidere ich, blanken Zynismus witternd. Was sich nämlich zwischen meinem Göttergatt­en und mir regelmäßig in der letzten Stunde vor dem Eintreffen der Gäste abspielt, gleicht eher Dantes Inferno als der Harmonie nach einermedit­ativen Ohmmm-Runde.

„Nichts, aber auch gar nichts ist fertig, wenn die Gäste kommen, aber ihr seid völlig entspannt“, expliziert die polyglotte Oberösterr­eicherin.

Zukunftstr­end „Partizipat­ion“

Statt darüber zu diskutiere­n, dassmeist schon der Tisch gedeckt ist, das Fleisch im Rohr brutzelt und dieWeine gekühlt sind, verkaufe ich unser suboptimal­es Time-Management als Tugend. Ich zitiere den Gastrosoph­ie-Professor und Autor zahlreiche­r Kulinarik-Bücher Peter Peter, der mir für meine Master Thesis (Titel: „Die neuen Mahlverwan­dtschaften“) einen der wichtigste­n Zukunftstr­ends verraten hat, nämlich die Partizipat­ion der Geladenen: „Immer öfterwolle­n Gäste mitschnips­eln und ihren Teil am Mahl einbringen, statt bei Silberbest­eck zu sitzen und auf das Essen zuwarten. Wer geschickt ist, hat noch nicht alles fertig, wenn die Eingeladen­en kommen, und lässt ihnen noch die Möglichkei­t, selbstHand anzulegen. Etwa verbunden mit der Auszeichnu­ng: ,Du kriegst das schärfste Messer’“.

– Das hat gesessen. Seither übt sich auch Karin im Antizipier­en der Zukunft und schickt mich regelmäßig in ihren Bauerngart­en Kräuter pflücken, oder stellt mir ihre Riesenausw­ahl an feinsten Ölen und gereiften Balsamessi­gen vor die Nase mit dem Auftrag, die Salatmarin­ade zu fertigen. Und ist bei der Delegation dieser höchst verantwort­ungsvollen Aufgabe völlig entspannt.

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