Das Kaffeehaus
Der Kaffee in denWiener Kaffeehäusern ist besser als sein Ruf. Inzwischen ist das Gebräu, das dort angebotenwird, längst auf Augenhöhe mit dem Automatenkaffee der Asfinag-Rastplätze angekommen. Und sollte einem zuHause gerade das Löskaffee-Pulver ausgegangen sein, stellt das Kaffeehaus heute eine echte Alternative dar. Wenn es nicht unbedingt seinmuss, würde es keinem Menschen einfallen, zum Kaffeetrinken ins Kaffeehaus zu gehen.
Warumder Kaffee dort nicht besser ist, weiß niemand. Wahrscheinlich, weil’s ehwurscht ist. Die Leute gehen ja trotzdem gerne hin. Das Kaffeehaus hat andere Qualitäten, zum Beispiel Tageszeitungen. In jedem halbwegs seriösen Café liegen mehr Titel auf als in den meisten Trafiken. Wer nur einen kleinen Braunen bestellt und dazu ein paar Zeitungen – womöglich auch noch ausländische – liest, spart eine Menge Geld. Zugegeben, wir reden hier von einer Minderheit: Mit den Menschen, die täglich (!) mehrere (!!) gedruckte (!!!!!) Tageszeitungen konsumieren, gewinntman heute keineWahlen mehr. Im Kaffeehaus aber reicht es noch locker für die Absolute.
Eigentlich ist Kaffeehaus das falscheWort. Fast alle Kaffeehäuser verfügen über enormproduktive Küchen und bieten in voluminösen Speisekarten klassische Gerichte an, die oft sogar in erstaunlicher Qualität zubereitetwerden. Im Grunde ist das Kaffeehaus nämlich auch nur einWirtshaus. Der Unterschied ist, dass es hier auch vollkommen okay ist, wenn man nichts essen will. Überhauptwird hier nicht viel Aufsehen um das Essen gemacht. An den eigentlich viel zu kleinen Kaffeehaustischchen hat auch das Verzehren eines ausgewachsenen Schnitzels etwas von einer Jause. Anders als im Restaurant wird das Essen hier nicht zelebriert, meist gibt es nicht einmal Tischtücher. Und ein leerer Teller ist imKaffeehaus nicht zwangsläufig ein Anlass, um die Rechnung zu bitten. Man ist ja nicht zum Essen gekommen, warumalso sollteman nach dem Essen gehen?
„Ins Kaffeehaus gehen Leute, die allein seinwollen, aber dazu Gesellschaft brauchen“, schrieb Alfred Polgar, ein sogenannter Kaffeehausliterat. Nicht alle, die heutemit ihrem Laptop imKaffeehaus sitzen, sind Literaten. Die meisten checken nur ihre Mails. Aber auch hundert Jahre nach Altenberg und Kraus, Polgar und Friedell ist das Kaffeehaus ein idealer Ort für Schriftsteller oder Autorinnen, denen der Schreibtisch Angst macht und die zu Hause nicht allein sein können.
Wenn das Beisl der Dorfplatz unter den Lokalen ist, dann ist das Kaffeehaus die Großstadt. Es ist groß und unpersönlich genug, um tun und lassen zu können, wasman will. Stammtisch gibt es keinen. Dafür kann man stundenlang allein da sitzen und lesen. Man kann mit Freunden diskutieren oder mit Geliebten schmusen.
Man kann sogar Kaffee trinken im Kaffeehaus, wenn man sich traut.