Stauraum in der Assoziationswüste
Belvedere 21. Künstlerin Monica Bonvicini errichtete im Museumspavillon einen Grenzwall samt Stacheldraht
Als Tumbleweed kennt man das Steppenkraut, das der Wind durch die Wüsten des US-amerikanischen Südens treibt, durch Nevada und Arizona bis nach Mexiko hinein. Das Gewächs – übrigens eine aus Osteuropa eingeführte Pflanze – verteilt so seine Samen, bis es sich irgendwo verfängt, vielleicht im Grenzzaun zwischen den USA und Mexiko oder irgendwann an der von Donald Trump geplanten Mauer.
Im Schweizergarten, der das Belvedere 21 in Wien umgibt, wächst (noch) kein Steppenroller, hier gedeihen die Assoziationen. Und sie verfangen sich bereitwillig an den Aluminiumwänden, die die Künstlerin Monica Bonvicini im Inneren des einst als Pavillon für die Weltausstellung 1958 konzipierten Gebäudes aufgestellt hat.
Das Atrium wurde von der Künstlerin, die bis 27. 10. ihre erste museale Einzelschau in Österreich zeigt, abgetrennt, an einer Ecke ist ein Weidezaun aufgedruckt, an dem ein Cowboy aus einer MarlboroWerbung entlangreitet: Mit dem freien Treiben ist hier Schluss, keine Frage.
Gezwungen
Bei Bonvicini geht es sehr oft um Zwänge und Begrenzungen und den kreativen Umgang damit. Die aus Venedig stammende Künstlerin, die in Berlin lebt und lange eine Professur an der Wiener Akademie innehatte, hat dafür eine leicht erkennbare Formensprache – oder „Materialsprache“, wie BelvedereChefin Stella Rollig sagt – erfunden: Sie verwendet oft Metall, verspiegelte Flächen, Leder und Gummi und holt sich gelegentlich Inspiration aus der Sadomaso-Szene.
So hart und abweisend ihre Ästhetik wirken mag, so geschmeidig fügt sie sich in Deutungsmuster: Bonvicini ist feministisch, wenn sie das Wort „Hysteria“, das eine Geschichte der Ausgrenzung von Frauen mit sich zieht, als protzigen HipHop-Schriftzug buchstabiert; sie ist ökologisch, wenn sie Bilder von Häusern malt, die in der Gluthitze Kaliforniens abbrannten; sie ist minimal-formalistisch, wenn sie den modernistischen Pavillon zubaut. Und weil der, eh klar, einst von einem Mann gebaut wurde und der nationalen Repräsentation diente, ist sie auch noch institutionskritisch. Die Schau im Belvedere 21 gibt Kostproben von allem.
Überrollt
Dabei tut man der Künstlerin wohl unrecht, wenn man beklagt, dass ihr Werk vom interpretatorischen Tumbleweed des Kunstbetriebs überrollt wird: Mit ihrer Materialqualität und Präsenz sind Bonvicinis Arbeiten zweifellos stark und eigenständig, und Deutungsoffenheit macht gute Kunst aus.
Bei dem Hauptwerk der Belvedere-21-Schau schließt die Künstlerin aber ausgerechnet jene Offenheit kurz: Indem sie den Alu-Einbau oben noch mit Stacheldrahtrollen ausstattete, bleibt gar keine andere Möglichkeit, als die Installation als nachbildung von Trumps geplantem Mexiko-Grenzwall und anderen Anti-MigrationsBarrieren zu sehen (die Amerika-Schlagseite ergibt sich durch den Marlboro-Mann).
Die Botschaft, dass wir in einer Zeit neuer Grenzen und nationalistischer Abschottungstendenzen leben, hat man allerdings schon sehr oft und in ästhetisch zwingenderer Form vernommen.
Abgeblockt
Zwar müht sich Kurator Axel Köhne, andere Deutungen unterzubringen – so wird Bonvicinis Bau als Gegenstatement zu Künstlern wie Ai Weiwei und Gelatin ins Treffen geführt, die im Atrium stets phallisch in die Höhe bauen wollten.
Doch die Symbolik des Stacheldrahts ist zu schlicht und vermag die Realität nicht zu überhöhen: Man sieht von außen einen Grenzwall, von innen ein Gefängnis. In diesem hat sich Bonvicini leider selber eingesperrt.