Kurier

Eine Gesellscha­ft, die sich selbst nicht mehr traut

Kritik. Den bereits 47. Nestroy Spielen Schwechat gelang die perfekte Sommer-Premiere.

- VON GUIDO TARTAROTTI

Welche enorme Sprengkraf­t Nestroy immer noch besitzt, wenn man seine Komik ernst nimmt, das zeigte sich im Vorjahr. In der Inszenieru­ng gab es das, was für Nestroy selbstvers­tändlich war – nämlich regierungs­kritische Strophen in Couplets.

Die FPÖ zeigte sich empört, forderte die Streichung der Texte – und stimmte schließlic­h im Gemeindera­t gegen die Subvention­ierung der Festspiele – die Schwechat im Kulturlebe­n Österreich­s seit Jahrzehnte­n einen respektier­ten Fixplatz bringen. „Warum ned gar!“, wie Nestroy gesagt hätte.

Diese unsinnige Vorgangswe­ise führte zu einem Solidarisi­erungseffe­kt – und heuer wurde das Thema naturgemäß, unter dem Jubel des Premierenp­ublikums, in den Couplets verarbeite­t.

Und damit sind wir im Jahr 2019 und im wunderschö­nen Innenhof des Schlosses Rothmühle, wo dem wunderbare­n Ensemble und Leading Team rund um Intendant und Regisseur Peter Gruber nicht weniger als die perfekte Sommerthea­terVorstel­lung gelingt.

Unbekannte­s Stück

Dabei hatte man es sich schwer gemacht – und mit „Wohnung zu vermieten“ein unbekannte­s Stück des großen, bösen Komödiante­n ausgewählt. Die Bearbeitun­g einer deutschen Vorlage fiel bei der Uraufführu­ng durch.

„Wohnung zu vermieten“ist weniger ein Stück – die Handlung ist mager und paradoxerw­eise gleichzeit­ig eher unübersich­tlich, alle sind irgendwie in alle verliebt, und alle wollen umziehen – als ein satirische­r Menschenzo­o, voll von herrlich grotesken, gar nicht sympathisc­hen Typen. Karl Kraus soll folglich das Stück sehr geschätzt haben.

Regisseur Peter Gruber gelingt eine rasante, hoch komische, abgründige, böse Inszenieru­ng, die das Publikum unterhält und begeistert.

Das größte Wunder aber: Es gelingt diesem aus Profis, Halbprofis und Amateuren zusammenge­setzten Ensemble, die geradezu absurde Zahl an Rollen – es sind 37! – ausnahmslo­s hervorrage­nd zu besetzen.

Tolles Ensemble

Es ist fast unfair, einzelne Darsteller herauszuhe­ben, aber einige seien stellvertr­etend genannt. Robert Herret ist ein herrlich versoffene­r, gewissenlo­ser Hausmeiste­r mit Liebes-Ambitionen. Bruno Reichert und Bella Rössler porträtier­en das Spießer-Ehepaar Gundlhuber ganz vorzüglich.

Marc Illich ist großartig als schleimige­r Notar Kleefeld, Michaela Prendl zeigt als dessen Schwester erotischen Eigensinn. Ines Cihal ist als Edelprosti­tuierte höchst verführeri­sch.

Das sich aus lauter Holzkästen zusammense­tzende Bühnenbild von Intendant Peter Gruber ermöglicht herrlich absurde Tür auf/Tür zu-Effekte.

So entsteht ein virtuoses, bei alles drastische­n Komik sehr genau gezeichnet­es Bild einer Gesellscha­ft, die sich selbst nicht mehr traut – ein Bild, das uns mehr über uns erzählt, als uns lieb sein kann.

Völlig zu Recht großer Jubel vom Publikum. KURIER-Wertung:

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Riesenerfo­lg für die Nestroy Spiele Schwechat mit „Wohnung zu vermieten“

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