Was ein Fingerabdruck über uns verrät
Forscher können unter anderem Drogen- und Medikamentenkonsum nachweisen.
Er ist ein Unikat, ein wertvolles Gut, ein Teil unserer Identität. Und doch hat fast jeder von uns seinen Fingerabdruck – notgedrungen – schon „hergeschenkt“. Seit 2009 ist er im Reisepass obligat, seit 2013 werden iPhones per Touch ID bedient und künftig soll der Fingerabdruck auch im Personalausweis Pflicht werden. Der Grund: Fälschungen verhindern. Für viele Bürger ist die Pflicht schwer zu schlucken, doch der Finger-Scan verspricht Sicherheit. Bei der Fahndung von Personen, aber auch bei der Sicherung von latenten (nicht sichtbaren) Spuren an einem Tatort ist der Fingerabdruck eines der dienlichsten Werkzeuge.
Gewicht der Moleküle
Viele kennen das Szenario aus Filmen: eine Straftat, ein Fingerabdruck, ein passendes Täterprofil. In Sekundenschnelle spuckt die Datenbank der Polizei den Verbrecher aus. Effektiv und verlässlich – auch in der Realität. Forscher weltweit entwickeln aber beständig neue Technologien, mit denen sie weit mehr aus einem Fingerabdruck lesen, als bisher.
Eine davon ist Simona Francese, Forensikerin an der britischen Sheffield Hallam University. Sie wendet ein modernes Massenspektrometer an, das Moleküle im Fingerabdruck analysiert (siehe Grafik oben). Deren Gewicht offenbart, welche Substanzen der Täter im Körper und auf der Haut hatte. In einem Mordfall, den Francese rekonstruiert hat, wurden damit unter anderem Spuren von Antidepressiva sichtbar, aber auch ein spezielles Molekül, das nur bei gleichzeitigem Konsum von Kokain und Alkohol entsteht. Volltreffer: Der Mörder war tatsächlich drogensüchtig und wurde laut Krankenakte aufgrund seiner Psychosen mit Antidepressiva behandelt.
Schließlich wurde sogar die Marke des Präservativs ermittelt, das er bei der Vergewaltigung benutzt hatte.
Unterlage wesentlich
Überlappende Fingerabdrücke sind Francese zufolge ebenfalls kein Problem mehr. Reinhard Schmid, Leiter des zentralen Erkennungsdienstes im österreichischen Bundeskriminalamt, erklärt: „Elektronische Systeme erkennen überlappende Fingerabdrücke von selbst, und zwar aufgrund der Richtung der Papillarlinien. Im Labor werden sie mit Lichtquellen aufgearbeitet und die Systeme unterlegen sie mit unterschiedlichen Farben.“Binnen zehn Minuten ist das Ergebnis mitsamt Gutachten erstellt – Zweifel ausgeschlossen. „Fingerabdrücke sind der einzige 100-prozentige Beweis, dass es sich um eine bestimmte Person handelt. Nicht einmal DNA ist absolut sicher. Unter anderem können Zwillinge die gleiche DNA haben, bei Stammzellenspendern kann sie sich sogar verändern“, sagt der Spezialist.
Verfahren wie die von Simona Francese könnten laut Schmid künftig zwar in Einzelfällen genutzt werden, jedoch nicht im polizeilichen Alltag. Denn die Methodik sei aufwendig, zeit- und kostenintensiv. Dennoch nicht irrelevant: Oft liefere die Grundlagenforschung Erkenntnisse, die Kriminalisten sehr wohl einmal verwenden könnten.
Auch Österreich forscht
Während die Grundlagen der Daktyloskopie Schmid zufolge seit 100 Jahren gleich geblieben sind, würde in Österreich im Bereich der Sichtbarmachung der Spuren immer wieder neu geforscht. Stichwort: Klebebänder. Sie werden von Verbrechern oft zum Knebeln von Menschen oder zum Verschließen von Drogenpaketen benutzt. Wissenschaftler testen derzeit, wie Spuren auf Klebebändern gesichert werden können, ohne sie zu zerstören.
Auch an der Altersbestimmung von Fingerspuren an einem Tatort wird anhand von chemischen Stoffen gearbeitet. „Die Spuren halten je nach Umweltbedingungen, Lichtverhältnissen und Unterlagen unterschiedlich lange“, sagt Schmid. Latente Abdrücke lösen sich irgendwann auf, denn sie basieren auf Schweiß. „Wir haben aber schon brauchbare Fingerabdrücke gesichert, die nachweislich um die 20 Jahre alt waren.“Die Unterlage – ein Kunststoffsack, in dem das ermordete Opfer verpackt war – und die konstante Raumtemperatur spielten eine wesentliche Rolle.
Rechtliche Auflagen
Hat man die Spuren von der Unterlage abgelöst, folgt die Bestimmung sogenannter Minutien – also Endungen, Verzweigungen oder Einschlüsse der Papillarleisten des Fingerabdrucks. Auf einem Handabdruck befinden sich hunderte solcher Minutien. „Das sind hoch individuelle Merkmale“, sagt Schmid. Sie werden elektronisch vermessen und in binäre Codes umgerechnet, um sie suchbar zu machen. Im Spurenbereich, wo häufig nur Fragmente hinterlassen werden, müssen Experten mindestens zwölf Minutien finden, um von einer gerichtstauglichen Spur sprechen zu können.
Im Fahndungsbereich müssen die rechtlichen Bedingungen erfüllt sein, bevor jemandem die Fingerabdrücke abgenommen werden können, wie Klaus Schwaighofer vom Institut für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie an der Universität Innsbruck erklärt: „Fingerabdrücke sind sensible, somit besonders schützenswerte Daten und unterliegen dem Datenschutzgesetz.“
Sicherheitsbehörden seien unter anderem dann zur Abnahme der Fingerabdrücke ermächtigt, wenn jemand unter Verdacht steht, eine mit gerichtlicher Strafe bedrohte vorsätzliche Handlung begangen zu haben. Oder wenn dies wegen der Art und Ausführung der Tat oder der Persönlichkeit des Betroffenen zur Vorbeugung gefährlicher Angriffe erforderlich scheint. Kurzum: „Bei jedem Verdacht einer gerichtlich straf baren Vorsatztat muss man sich erkennungsdienstlich behandeln lassen.“Auch wenn die Person nicht im Verdacht steht, aber Spuren hinterlassen hat, dürfen die Abdrücke genommen werden.
Es besteht Mitwirkungspflicht, außer beim Beschuldigten. Die Abnahme kann jedoch erzwungen werden. „Das ist allerdings etwas strittig, ob das Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen, dagegen steht. Nach dem Verfassungsgerichtshof ist das eher unzulässig, nach dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zulässig“, sagt Schwaighofer.
„Schall und Rauch“
Die Zukunft sind laut Reinhard Schmid Multibiometrie- Systeme. Neben der modernen Fingerabdruckidentifizierung soll künftig auch Gesichtsfelderkennung die Trefferwahrscheinlichkeit begünstigen. Denn: „Namen sind nur Schall und Rauch.“Verbrecher ändern ihre Personaldaten permanent; alleine im Internet seien Originaldokumente schon um 200 Euro erwerbbar.
„Das größte Vorhaben der EU seit 20 Jahren ist jedoch die Interoperabilität, also die sichere Vernetzung aller EUDatenbanken“, sagt der Experte. Suchmöglichkeiten sollen erweitert, die Kooperation zwischen internationalen Sicherheitsbehörden vereinfacht werden.