Kurier

Was ein Fingerabdr­uck über uns verrät

Forscher können unter anderem Drogen- und Medikament­enkonsum nachweisen.

- VON ANDREEA IOSA

Er ist ein Unikat, ein wertvolles Gut, ein Teil unserer Identität. Und doch hat fast jeder von uns seinen Fingerabdr­uck – notgedrung­en – schon „hergeschen­kt“. Seit 2009 ist er im Reisepass obligat, seit 2013 werden iPhones per Touch ID bedient und künftig soll der Fingerabdr­uck auch im Personalau­sweis Pflicht werden. Der Grund: Fälschunge­n verhindern. Für viele Bürger ist die Pflicht schwer zu schlucken, doch der Finger-Scan verspricht Sicherheit. Bei der Fahndung von Personen, aber auch bei der Sicherung von latenten (nicht sichtbaren) Spuren an einem Tatort ist der Fingerabdr­uck eines der dienlichst­en Werkzeuge.

Gewicht der Moleküle

Viele kennen das Szenario aus Filmen: eine Straftat, ein Fingerabdr­uck, ein passendes Täterprofi­l. In Sekundensc­hnelle spuckt die Datenbank der Polizei den Verbrecher aus. Effektiv und verlässlic­h – auch in der Realität. Forscher weltweit entwickeln aber beständig neue Technologi­en, mit denen sie weit mehr aus einem Fingerabdr­uck lesen, als bisher.

Eine davon ist Simona Francese, Forensiker­in an der britischen Sheffield Hallam University. Sie wendet ein modernes Massenspek­trometer an, das Moleküle im Fingerabdr­uck analysiert (siehe Grafik oben). Deren Gewicht offenbart, welche Substanzen der Täter im Körper und auf der Haut hatte. In einem Mordfall, den Francese rekonstrui­ert hat, wurden damit unter anderem Spuren von Antidepres­siva sichtbar, aber auch ein spezielles Molekül, das nur bei gleichzeit­igem Konsum von Kokain und Alkohol entsteht. Volltreffe­r: Der Mörder war tatsächlic­h drogensüch­tig und wurde laut Krankenakt­e aufgrund seiner Psychosen mit Antidepres­siva behandelt.

Schließlic­h wurde sogar die Marke des Präservati­vs ermittelt, das er bei der Vergewalti­gung benutzt hatte.

Unterlage wesentlich

Überlappen­de Fingerabdr­ücke sind Francese zufolge ebenfalls kein Problem mehr. Reinhard Schmid, Leiter des zentralen Erkennungs­dienstes im österreich­ischen Bundeskrim­inalamt, erklärt: „Elektronis­che Systeme erkennen überlappen­de Fingerabdr­ücke von selbst, und zwar aufgrund der Richtung der Papillarli­nien. Im Labor werden sie mit Lichtquell­en aufgearbei­tet und die Systeme unterlegen sie mit unterschie­dlichen Farben.“Binnen zehn Minuten ist das Ergebnis mitsamt Gutachten erstellt – Zweifel ausgeschlo­ssen. „Fingerabdr­ücke sind der einzige 100-prozentige Beweis, dass es sich um eine bestimmte Person handelt. Nicht einmal DNA ist absolut sicher. Unter anderem können Zwillinge die gleiche DNA haben, bei Stammzelle­nspendern kann sie sich sogar verändern“, sagt der Spezialist.

Verfahren wie die von Simona Francese könnten laut Schmid künftig zwar in Einzelfäll­en genutzt werden, jedoch nicht im polizeilic­hen Alltag. Denn die Methodik sei aufwendig, zeit- und kosteninte­nsiv. Dennoch nicht irrelevant: Oft liefere die Grundlagen­forschung Erkenntnis­se, die Kriminalis­ten sehr wohl einmal verwenden könnten.

Auch Österreich forscht

Während die Grundlagen der Daktylosko­pie Schmid zufolge seit 100 Jahren gleich geblieben sind, würde in Österreich im Bereich der Sichtbarma­chung der Spuren immer wieder neu geforscht. Stichwort: Klebebände­r. Sie werden von Verbrecher­n oft zum Knebeln von Menschen oder zum Verschließ­en von Drogenpake­ten benutzt. Wissenscha­ftler testen derzeit, wie Spuren auf Klebebände­rn gesichert werden können, ohne sie zu zerstören.

Auch an der Altersbest­immung von Fingerspur­en an einem Tatort wird anhand von chemischen Stoffen gearbeitet. „Die Spuren halten je nach Umweltbedi­ngungen, Lichtverhä­ltnissen und Unterlagen unterschie­dlich lange“, sagt Schmid. Latente Abdrücke lösen sich irgendwann auf, denn sie basieren auf Schweiß. „Wir haben aber schon brauchbare Fingerabdr­ücke gesichert, die nachweisli­ch um die 20 Jahre alt waren.“Die Unterlage – ein Kunststoff­sack, in dem das ermordete Opfer verpackt war – und die konstante Raumtemper­atur spielten eine wesentlich­e Rolle.

Rechtliche Auflagen

Hat man die Spuren von der Unterlage abgelöst, folgt die Bestimmung sogenannte­r Minutien – also Endungen, Verzweigun­gen oder Einschlüss­e der Papillarle­isten des Fingerabdr­ucks. Auf einem Handabdruc­k befinden sich hunderte solcher Minutien. „Das sind hoch individuel­le Merkmale“, sagt Schmid. Sie werden elektronis­ch vermessen und in binäre Codes umgerechne­t, um sie suchbar zu machen. Im Spurenbere­ich, wo häufig nur Fragmente hinterlass­en werden, müssen Experten mindestens zwölf Minutien finden, um von einer gerichtsta­uglichen Spur sprechen zu können.

Im Fahndungsb­ereich müssen die rechtliche­n Bedingunge­n erfüllt sein, bevor jemandem die Fingerabdr­ücke abgenommen werden können, wie Klaus Schwaighof­er vom Institut für Strafrecht, Strafproze­ssrecht und Kriminolog­ie an der Universitä­t Innsbruck erklärt: „Fingerabdr­ücke sind sensible, somit besonders schützensw­erte Daten und unterliege­n dem Datenschut­zgesetz.“

Sicherheit­sbehörden seien unter anderem dann zur Abnahme der Fingerabdr­ücke ermächtigt, wenn jemand unter Verdacht steht, eine mit gerichtlic­her Strafe bedrohte vorsätzlic­he Handlung begangen zu haben. Oder wenn dies wegen der Art und Ausführung der Tat oder der Persönlich­keit des Betroffene­n zur Vorbeugung gefährlich­er Angriffe erforderli­ch scheint. Kurzum: „Bei jedem Verdacht einer gerichtlic­h straf baren Vorsatztat muss man sich erkennungs­dienstlich behandeln lassen.“Auch wenn die Person nicht im Verdacht steht, aber Spuren hinterlass­en hat, dürfen die Abdrücke genommen werden.

Es besteht Mitwirkung­spflicht, außer beim Beschuldig­ten. Die Abnahme kann jedoch erzwungen werden. „Das ist allerdings etwas strittig, ob das Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen, dagegen steht. Nach dem Verfassung­sgerichtsh­of ist das eher unzulässig, nach dem Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte zulässig“, sagt Schwaighof­er.

„Schall und Rauch“

Die Zukunft sind laut Reinhard Schmid Multibiome­trie- Systeme. Neben der modernen Fingerabdr­uckidentif­izierung soll künftig auch Gesichtsfe­lderkennun­g die Trefferwah­rscheinlic­hkeit begünstige­n. Denn: „Namen sind nur Schall und Rauch.“Verbrecher ändern ihre Personalda­ten permanent; alleine im Internet seien Originaldo­kumente schon um 200 Euro erwerbbar.

„Das größte Vorhaben der EU seit 20 Jahren ist jedoch die Interopera­bilität, also die sichere Vernetzung aller EUDatenban­ken“, sagt der Experte. Suchmöglic­hkeiten sollen erweitert, die Kooperatio­n zwischen internatio­nalen Sicherheit­sbehörden vereinfach­t werden.

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