Kurier

Tauziehen um Europas Spitzenjob­s geht noch eine Runde weiter

Osteuropäe­r blockieren Sozialdemo­kraten Frans Timmermans

- AUS BRÜSSEL INGRID STEINER-GASHI

Chancen für Liberale. Montagvorm­ittag schien die Sache endgültig über die Bühne gegangen zu sein. Der Name des niederländ­ischen Sozialdemo­kraten Frans Timmermans als neuer Chef der EUKommissi­on geisterte bereits europaweit durch die Medien. Die Christdemo­kraten schienen klein beizugeben und gaben die ohnehin schwache Unterstütz­ung für ihren Spitzenkan­didaten, den Bayern Manfred Weber, auf. Vor allem Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron lehnte ihn ab.

Kompromiss

Doch dann formierte sich der Widerstand gegen den Niederländ­er. Vor allem die osteuropäi­schen EU-Staaten wie Polen oder Ungarn legten sich hartnäckig quer. Ihnen war Timmermans schon als Vizechef der Kommission in die Parade gefahren, als er die Rechtsstaa­tlichkeits­verfahren gegen sie vorantrieb. Als Kompromiss­kandidatin kommt nun die Liberale Margrete Vestager ins Spiel. Eine endgültige Einigung über alle EU-Topjobs sollte heute auf dem Tisch sein.

Irgendwann sind auch Angela Merkels Kräfte erschöpft. Die deutsche Kanzlerin soll hoch konzentrie­rt bis in die Morgenstun­den verhandeln können, während ihre Gegenüber schon reihenweis­e wegbrechen, so zumindest berichten es einige ihrer politische­n Freunde. Doch nach zähen 20 Stunden Verhandlun­gen die Nacht hindurch bis Montag Vormittag war auch für Merkel Schluss.

Eine Schlaf- und Nachdenkpa­use bei der Suche nach Kandidaten für die wichtigste­n Jobs in der EU war angesagt. Heute, Dienstag, werden die EU-Staatsund Regierungs­chefs in Brüssel weiter verhandeln.

Dabei schien es schon zum Greifen nahe – ein fertig geschnürte­s Personalpa­ket für das Amt des Chefs für Kommission, Parlament, Rat und den Auswärtige­n Dienst der EU. Und an der Spitze kursierte der Name Frans Timmermans als Favorit für den Posten des nächsten Kommission­spräsident­en.

Nein zu Timmermans

Doch Ungarn, Polen, Tschechien und Italien legten sich gegen den Niederländ­er quer. Dort begegnet man dem Vize-Chef der Kommission, der die Rechtsstaa­tlichkeits­verfahren gegen Warschau und Budapest vorantrieb, geradezu als Feind. Das Nein der Osteuropäe­r blieb die ganze Nacht hindurch unerschütt­erlich.

Für den Posten des Kommission­spräsident­en würde zwar die Zustimmung von mindestens 21 Staaten reichen, die zusammen 65 Prozent der Bevölkerun­g der EU repräsenti­eren. Doch mit der Brechstang­e, gegen den Willen der Višegrad-Staaten und Italiens, sollte nicht gestimmt werden.

„Es ist unglaublic­h komplizier­t“, seufzte der sichtlich genervte niederländ­ische Premier Mark Rutte nach der ergebnislo­sen Verhandlun­gsnacht. Er bezweifelt­e, dass sich heute ein Kompromiss finden lässt.

Parlaments­präsident

Die Zeit drängt: Morgen, Mittwoch, muss das heute frisch konstituie­rte EU-Parlament einen neuen Präsidente­n wählen. Präsentier­en die EU-Staats- und Regierungs­chefs bis dahin nicht ihr Personalpa­ket, legen die 750 EUAbgeordn­eten eben ihren eigenen Chef fest. Dieser neue Parlaments­präsident muss aber nicht unbedingt ins Paket der EU-Regierungs­chefs passen.

Favorit für das Amt des Parlaments­chefs: Manfred Weber. Der EVP-Spitzekand­idat hatte eigentlich Chef der Kommission werden wollen. Doch der Bayer war am Widerstand des französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron gescheiter­t.

Eine kleine Chance, als lachende Dritte aus dem Ringen um den Kommission­schefposte­n auszusteig­en, hat weiter Margrethe Vestager. Die liberale EU-Kommissari­n aus Dänemark könnte die Kompromiss­kandidatin sein, die weder in Westnoch in Osteuropa aneckt.

Sie wäre die erste Frau an der Spitze der Kommission, hat Regierungs­erfahrung und gilt mir ihrer wirtschaft­sliberalen Haltung einigen EVP-Regierungs­chefs als annehmbare­r als der Sozialdemo­krat Frans Timmermans.

Kanzlerin Angela Merkel jedenfalls sieht sich noch nicht am Ende ihrer Verhandlun­gskräfte. Trocken wie gewohnt sagte sie nach dem nächtliche­n Verhandlun­gsmarathon: „Politik ist eben der Versuch, das Mögliche zu realisiere­n, und das dauert manchmal.“

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Kraftraube­nder Einsatz für Journalist­en in Brüssel: Die ganze Nacht hieß es warten, aber der Durchbruch beim Gipfel stellte sich nicht ein
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An der Person Frans Timmermans reiben sich vor allem die Regierungs­chefs von Polen und Ungarn

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