Kurier

Die Pilz-Liste zerfällt: 5 Abgänge an einem Tag

Mandatarin Alma Zadic will Grüne werden

- VON DANIELA KITTNER

Es war kein Freudentag für Listengrün­der Peter Pilz. Gleich fünf seiner Mandatare kündigten an, nicht mehr für die Liste Jetzt in den Nationalra­tswahlkamp­f ziehen zu wollen. Am schwersten traf Pilz die Ankündigun­g der Abgeordnet­en Alma Zadic, für die Grünen zu kandidiere­n. „Menschlich bin ich noch nie so enttäuscht worden“, meinte Pilz gegenüber dem KURIER. Denn noch in der Vorwoche habe ihm Zadic versichert, dass sie sicher nicht zu den Grünen gehen werde.

Auch wenn der Schwund an Mandataren groß ist, will Peter Pilz als Spitzenkan­didat für die Liste Jetzt in die Wahl gehen. „Wir sind der einzige Gegenpol zu Kurz“.

Sie ist bei Weitem nicht die Erste, die vom Journalism­us in die Politik wechselt. Aber sie ist die Erste in diesem Nationalra­tswahlkamp­f, die den Sprung auf die andere Seite wagt: Sibylle Hamann, Journalist­in bei Falter, Presse, früher Kurier und Profil, begibt sich in die politische Arena.

„Gibt es bei den Grünen so etwas wie eine Message Control?“, fragt sie Werner Kogler, der als Beobachter an der Seite steht, während sie sich am Dienstag im Volksgarte­npavillon der Öffentlich­keit vorstellt. Die neue Rolle ist für die 52-jährige Journalist­in gewöhnungs­bedürftig.

Ihre Teenager-Kinder engagieren sich in der „Fridays for Future“-Bewegung, aber Hamanns eigene Aktivistin­nenzeit liegt schon etwas länger zurück: „Mit 18 habe ich mein Zelt in der Hainburger Au aufgeschla­gen. Jetzt fangen wir wieder von vorne an“, meint sie mit Verweis auf die Grünen, die das Parlament neu erobern müssen.

Die Mischung aus „neuen und bewährten Kräften“, mit der Parteichef Werner Kogler in den Nationalra­tswahlkamp­f ziehen will, muss am kommenden Samstag erst einmal vom Bundeskong­ress der Grünen gewählt werden. Die grünen Funktionär­e hatten mit Quereinste­igern und Individual­isten zuletzt wenig Freude.

Eigenwilli­ge Charaktere

Auch in anderen Parteien war die Freude über journalist­ische Quereinste­iger geteilt. Journalist­en sind zwar beliebt als Stimmenbri­nger, aber wegen ihres oft komplizier­ten, eigenwilli­gen Charakters auch gefürchtet.

Der berühmtest­e und wohl auch erfolgreic­hste Umsteiger ist Helmut Zilk. Er war ein populärer ORF-Journalist, als er 1983 Unterricht­sminister wurde. Als Bürgermeis­ter der Bundeshaup­tstadt sollte Zilk Kultstatus erlangen, er erhielt der SPÖ bis 1991 die absolute Mehrheit in Wien. Nach seiner PolitKarri­ere wechselte Zilk in den Journalism­us zurück und moderierte die ORF-Talkshow „Lebensküns­tler“.

Zu den bekannten Seitenwech­seln zählt Ursula Sten

zel. Die Anchorwoma­n aus der „ZiB 1“führte 1996 die ÖVP in den EU-Wahlkampf, mit Erfolg. Sie schaffte Platz 1 für die Volksparte­i – zum ersten Mal bei einer bundesweit­en Wahl seit Josef Klaus’ Absoluter im Jahr 1966.

Eine geschockte SPÖ versuchte drei Jahre später, mit demselben Schmäh zu kontern und stellte den Journalist­en Hans Peter Martin als EUSpitzenk­andidaten auf. Martin war damals eine große Nummer, er hatte das Erfolgsbuc­h „Die Globalisie­rungsfalle“geschriebe­n. Wieder glückte der Journalist­enCoup, Martin brachte die SPÖ vor der ÖVP in Führung.

Aber der Preis war hoch. Martin überwarf sich bald mit der SPÖ. Bei künftigen Wahlkämpfe­n kandidiert­e er gegen die SPÖ.

Die Erfolgsges­chichte zwischen der ÖVP und Stenzel hielt etwas länger, aber als Stenzel 2015 – sie war inzwischen in die Wiener Kommunalpo­litik gewechselt – von der ÖVP abgesägt wurde, wechselte sie erbittert zur FPÖ und zog als Pärchen mit Strache in den Wahlkampf.

Bei der EU-Wahl 2014 zauberte die SPÖ den ORFJournal­isten Eugen Freund als Spitzenkan­didaten aus dem Hut, aber dieser schaffte den Umstieg in die Politik nicht. Er blieb bei der Wahl unter den Erwartunge­n und drei Prozentpun­kte hinter dem Politik-Profi Othmar Karas.

Wolfram Pirchner, langjährig­er Präsentato­r der Vorabendse­ndung „Willkommen Österreich“, zog bei der EU-Wahl 2019 als ÖVP-Vorzugssti­mmenkandid­at ebenfalls nicht wie erhofft ein.

Zu den prominente­n Seitenwech­slern gehört auch Josef Broukal. Er war im ORF stellvertr­etender Chefredakt­eur und Nachrichte­nmoderator. Bei der Neuwahl 2002 gewann Alfred Gusenbauer Broukal als prominente­n Quereinste­iger auf der SPÖ-Bundeslist­e. Broukal war anfangs durchaus glücklich, scheiterte aber mit der Zeit am Polit-Betrieb. Seine Ambitionen, die SPÖ-Kommunikat­ion zu modernisie­ren, würgte die Partei ab. Sein Engagement in der Hochschulp­olitik zerschellt­e an den oft seltsamen Verhaltens­weisen im Parlament: Broukal resigniert­e, als er gezwungen wurde, gegen einen Antrag zu stimmen, den er selbst zuvor über Monate erarbeitet und ausverhand­elt hatte.

Die Liste der politisier­enden Journalist­en ist lang, zu den Prominente­n zählt der Aufdecker Alfred Worm. Er ging von 1983 bis 1988 als Gemeindera­t der ÖVP-Wien.

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Von der Zuschauert­ribüne in die Aktivisten-Arena: Die 52-jährige Journalist­in Sibylle Hamann will für die Grünen in den Nationalra­t
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Ursula Stenzel brachte die ÖVP nach 30 Jahren in Führung. Dann ging sie zur FPÖ
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Hans Peter Martin holte der SPÖ Platz 1 bei EU-Wahl. Aber dann folgte das Zerwürfnis
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Josef Broukal war ein glückliche­r Mandatar – bis er am Polit-Betrieb scheiterte

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