Kurier

Einigung mit Schönheits­fehlern

EU-Jobs. Die wichtigste­n Ämter sind vergeben, die Spitzenkan­didaten gehen (fast) leer aus

- AUS STRASSBURG INGRID STEINER-GASHI Kommentar

Nach drei mühsamen Verhandlun­gstagen stieg am Dienstagab­end endlich weißer Rauch aus dem Gebäude des Europäisch­en Rates in Brüssel auf. Ein Nachfolger für EUKommissi­onspräside­nt Jean-Claude Juncker ist gefunden. Besser gesagt, eine Nachfolger­in: Mit Ursula von der Leyen soll erstmals in der Geschichte der Europäisch­en Union eine Frau den mächtigste­n Job in der EU erhalten. Die 28 EU-Staats- und Regierungs­chefs wollen die deutsche Verteidigu­ngsministe­rin an der Spitze der EU-Kommission sehen. Als „ein sehr gutes Ergebnis“erachtete dies auch Österreich­s Kanzlerin Brigitte Bierlein nach dem Ende des Marathongi­pfels.

Präsentier­t wurde schließlic­h auch ein ganzes Personalpa­ket, das die insgesamt fünf wichtigste­n Ämter in der EU mit neuen Namen befüllt: So soll etwa die bisherige Chefin des Internatio­nalen Währungsfo­nds (IWF), Christine Lagarde, neue Präsidenti­n der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) werden. Die designiert­e Nachfolger­in des derzeitige­n EZB-Präsidente­n Mario Draghi ist somit ebenfalls die erste Frau, die dieses Spitzenamt übernehmen wird.

Das Personalpa­ket ist geschnürt

Der belgische Ministerpr­äsident Charles Michel (Liberale) wiederum soll neuer EU-Ratspräsid­ent werden und der spanische Außenminis­ter Josep Borrell der künftige EU-Außenbeauf­tragte. Und der Sozialdemo­krat und frühere bulgarisch­e Ministerpr­äsident Sergei Stanischew soll sich, wenn es nach den Plänen des Europäisch­en Rates geht, mit EVP-Fraktionsc­hef Manfred Weber (CSU) die fünfjährig­e Präsidents­chaft im EU-Parlament teilen.

Von Weber bis zum sozialdemo­kratischen Spitzenkan­didaten Frans Timmermans und zu EU-Wettbewerb­skommissar­in Margrethe Vestager (Liberale) können nun alle Spitzenkan­didaten, die wahlgekämp­ft haben, bestenfall­s „Trostpreis­e“einholen: Den Posten des mächtigen Kommission­schefs haben sie angepeilt. Doch Weber wurde von Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron aus

➜ Parteienfa­milie: ➜ Kompetenze­n: dem Rennen geschossen. Timmermans und Vestager dürfen bestenfall­s zu Vize-Kommission­spräsident­en berufen werden (was der niederländ­ische Ex-Außenminis­ter Timmermans jetzt schon ist).

Ein schwerer Schönheits­fehler aber findet sich auf dem so mühsam errungenen Kompromiss: Wie werden die EU-Regierungs­chefs dem widerstreb­enden EU-Parlament die urplötzlic­h aus dem Hut gezauberte Ursula von der Leyen als künftige Kommission­schefin „verkaufen“? Denn die EU-Abgeordnet­en, die den Chef der Kommission Mitte Juli durch ihre Wahl bestätigen müssen, hatten stets klar gemacht: Gewählt wird von ihnen nur ein Mann oder eine Frau, die zuvor als Spitzenkan­didat einer Parteienfa­milie im EUWahlkamp­f war. Das aber war die 60-jährige deutsche Verteidigu­ngsministe­rin nicht.

Widerstand regt sich

Entspreche­nd heftiger Widerstand regte sich sofort im EU-Parlament. „Ein sehr klares Nein“etwa twitterten die Sozialdemo­kraten. „Wenn der Rat glaubt, einfach am Parlament vorbei agieren zu können, wird es mit demParlame­nt Brösel geben“, kündigte auch der Delegation­sleiter der SPÖ-EU-Abgeordnet­en, Andreas Schieder an. „Das Parlament wird dieses Paket auf keinen Fall blind absegnen“, hieß es vonseiten der Grünen. Skeptisch äußerten sich auch die Rechtspopu­listen.

Damit bleibt vorerst fraglich, ob von der Leyen die erforderli­chen 376 Stimmen im EUParlamen­t hinter sich bringen kann, um zur ersten Frau an der Spitze der Kommission gekürt zu werden.

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