Kurier

Blass ist nur die Haut

Wimbledon. Es ist das wichtigste Tennisturn­ier der Welt und dennoch eine sehr britische Angelegenh­eit

- AUS WIMBLEDON PHILIPP ALBRECHTSB­ERGER

Was kann sich Wien von Wimbledon abschauen? Das ist jetzt keine rhetorisch­e Frage. Mit Rufus hätten die Wiener ihre wahre Freude. Rufus ist eine Institutio­n und Tag für Tag einer der ersten auf der altehrwürd­igen Tennisanla­ge im Südwesten der britischen Hauptstadt.

Noch im Morgengrau­en verrichtet Rufus seine Arbeit, die essenziell ist für die Zigtausend­en Zuseher, die das prestigetr­ächtigste Tennisturn­ier der Welt anzieht. Rufus ist ein Falke und vertreibt die Tauben, die es sich über Nacht auf dem frisch geschnitte­nen Rasen und den penibel gestrichen­en Tribünen gemütlich gemacht haben.

Wer die Briten und ihr Verständni­s für Traditione­n kennt, den verwundert es kaum, dass Rufus mittlerwei­le selbst zur Attraktion geworden ist und zum Inventar dieser Veranstalt­ung gehört. Wenn der Falke im Morgengrau­en seine Kreise über die Anlage zieht, hat sich vor den Toren längst eine Menschensc­hlange gebildet. Die wenigen frei verfügbare­n Eintrittsk­arten pro Tag sind heiß begehrt. Die glückliche­n Besitzer müssen dann noch bis 10 Uhr ausharren, bis die schweren eisernen Tore den Weg in das parkähnlic­he Areal freigeben. Dieses Procedere ist so alt wie die Veranstalt­ung selbst (1877).

Oh, hello Darling!

Überhaupt scheint im All England Lawn Tennis and Croquet Club die Zeit stehen geblieben zu sein. Dunkles Holz, hellbraune Backsteine und saftiges Grünzeug prägen das Erscheinun­gsbild.

Bei all der Internatio­nalität, die den Tennisspor­t seit Jahrzehnte­n ausmacht, ist dieses Grand-Slam-Turnier eine sehr britische Angelegenh­eit geblieben. Immer wieder hört man aus den Menschenme­ngen ein „Oh, hello Darling“, am Aussehen ist die gehobene englische Mittelschi­cht ohnehin nicht zu übersehen. Frauen mit Hüten, gestreifte­n oder blumigen Sommerklei­dern und hohen Schuhen; Männer im zartrosa Hemd oder Poloshirt (wahlweise mit Polospiele­roder Krokodil-Logo), Chinohose und einer alles andere als noblen Blässe.

So lässt sich ganz wunderbar ein Tag in Wimbledon verbringen. Ob man fixe Sitzplatzk­arten für die großen Arenen hat, ist dabei nebensächl­ich. Die Fans zelebriere­n dieses Sportspekt­akel auch außerhalb der Stadien. Ausgestatt­et mit einer Flasche Sauvignon Blanc oder Rosé (Stückpreis je 28 Euro), einem Schälchen Erdbeeren (heuer erstmals auch mit veganem Schlagober­s) und einer Picknick-Decke wandert die Mehrheit zu der kleinen, aber legendären Anhöhe nahe des Court Nr. 1 und starrt auf eine Videowand.

Volksnahe Herzogin

Weltweit bekannt geworden ist dieser Hügel auch durch seinen Namen. In Anlehnung an das gerade größte britische Tennisidol heißt er derzeit Murray Mountain, davor sorgte er lange Jahre als Henman Hill für Schlagzeil­en. In Österreich hat bisher noch niemand einen Muster Mugl ins Gespräch gebracht.

Am Murray Mountain herrschte Dienstagvo­rmittag gleich Aufregung, noch lange bevor am Centre Court der erste Aufschlag serviert wurde. Herzogin Kate hielt in Wimbledon Hof – und wenn die Briten noch etwas mehr lieben als Wimbledon dann sind das die Royals.

Ganz volksnah (so gut das eben geht bei vier Sicherheit­skräften, die alles nur keinen Spaß kennen) gab sich die 37-Jährige. Die Gattin von Prinz William zog den kleinen Außenplatz mit der Nummer 14 der komfortabl­en Ehrenloge vor und verfolgte dort den Auftaktsie­g der Britin Harriet Dart.

Um die Sauberkeit ihres royalen Kleids musste sie sich nicht sorgen. Rufus hat ja ganze Arbeit geleistet. INFO:

 ??  ?? First come, first serve: Nachdem die Tore geöffnet werden, heißt es schnell sein, um Sitzplätze auf den Außencourt­s zu ergattern
First come, first serve: Nachdem die Tore geöffnet werden, heißt es schnell sein, um Sitzplätze auf den Außencourt­s zu ergattern
 ??  ?? Alles der Reihe nach: In Wimbledon wird noch Hand angelegt
Alles der Reihe nach: In Wimbledon wird noch Hand angelegt

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