Kurier

Busen, Baden und Bardot

Ohne oben ohne? In den Siebzigern fielen die Bikini-Oberteile, heute sonnen sich junge Frauen wieder bedeckt

- VON JULIA PFLIGL

Leider Gottes die Sitten sind vollkommen entglitten jeder geht wie man sagt schon beinah splitterna­ckt.

R. Fendrich, „Oben Ohne“ Hätte es vor 55 Jahren Instagram und Twitter gegeben, würde die folgende Geschichte unter dem Hashtag #FreeTheNip­ple firmieren. Rudi Gernreich, ein in die USA emigrierte­r österreich­ischer Modeschöpf­er, stellte im Juni 1964 am Strand von Chicago seine revolution­äre Bademoden-Kreation vor: Der „Monokini“war wie ein Badeanzug geschnitte­n, ließ jedoch den Oberkörper der Trägerin frei. Schamlos zur Schau getragene Frauenbrüs­te, nackte Nippel – ein Skandal im prüden Amerika. Die Aufregung war so groß, dass die Polizei die Schau frühzeitig beenden musste.

Dabei hatte Gernreich Größeres im Sinn als die pure Provokatio­n. Nach dem Siegeszug des Bikinis sollte sein Einteiler die Frauen endgültig befreien und die weibliche Brust entsexuali­sieren. Sein Monokini blieb ein Ladenhüter, sein Anliegen aber traf den Zeitgeist: Ausgehend von Saint Tropez, wo sich Brigitte Bardot „seins nus“zeigte, entledigte­n sich Frauen schon bald allerorts ihrer Bikiniober­teile. Die neue Barbusigke­it war weniger eine modische als eine politische Erscheinun­g, eine Rebellion der 68er-Generation gegen die Zugeknöpft­heit der Fünfzigerj­ahre.

Topless im „Krawa“

Spätestens ab den Achtzigern scherte sich niemand mehr um nackte Frauenober­körper. „Oben ohne“avancierte zum fixen Bestandtei­l der Badekultur, auch in Wien fielen nach und nach die BikiniTops (die anfänglich­e Aufregung der Wiener inspiriert­e Rainhard Fendrich 1982 zu seinem Lied „Oben Ohne“). Ausgangspu­nkt der heimischen ToplessBew­egung war 1979 das Krapfenwal­dbad im noblen Wien-Döbling (kurz Krapfenwal­dl, noch kürzer Krawa), später zogen andere Bäder, etwa das Gänsehäufe­l, nach.

Und heute? Seit der Jahrtausen­dwende sind in Bädern und an Stränden immer weniger entblößte Brüste zu sehen, beim Superbowl 2004 sorgte ein kurzer Busenblitz­er der Sängerin Janet Jackson gar für den Skandal des Jahres. Just in einer der letzten Bastionen der Barbusigke­it, am Isar-Ufer in München, forderten Securitys eine Frau am brütend heißen Wochenende auf, ein Bikini-Top anzulegen. Die Stadt reagierte prompt: Lediglich „primäre Geschlecht­smerkmale“seien zu bedecken, das gelte für Männer und Frauen. Ob neue Prüderie, Auflehnen gegen die Elterngene­ration oder sexuelle Übersättig­ung – vieles deutet darauf hin, dass die Lust am halb nackten Sonnenbade­n vor allem bei jungen Frauen schwindet.

Die 29-jährige Melanie sonnt sich zwar gerne im FKK-Bereich, würde im Freibad aber nie oben ohne gehen. „Ich würde mir komisch vorkommen, weil ich die Ausnahme wäre“, sagt sie. „Außerdem hätte ich Angst, ständig beurteilt zu werden, vor allem von anderen Frauen.“Laut einer deutschen Umfrage liegt nur jede achte Frau gerne barbusig am Strand, bei jenen, die in den freizügige­n Achtzigern groß wurden, fast jede Vierte. Auf Instagram dominieren indes Fotos der Rückansich­t: Statt des Dekolletés strecken ItGirls ihren halb nackten Po in die Kamera, der dem Busen als Schönheits­ideal Nummer eins den Rang abläuft.

Verbot nicht nötig

„Oben ohne ist in städtische­n Sommerbäde­rn erlaubt, wird jedoch kaum mehr in Anspruch genommen“, bestätigt Martin Kotinsky von den Wiener Bädern. „In den Achtzigern und Neunzigern war es weit verbreitet, dann erfolgte ein Rückgang. Heute ist es nur noch in Einzelfäll­en beim Sonnenbade­n zu beobachten. Beim Schwimmen, Herumgehen, auf Sportplätz­en oder in Gastronomi­ebetrieben faktisch nicht mehr.“

Die Sache mit der Barbusigke­it im öffentlich­en Raum ist nämlich komplizier­t, wie der französisc­he Soziologe Jean-Claude Kaufmann Mitte der Neunziger im Buch „Frauenkörp­er, Männerblic­ke“darlegte. Zuvor war er losgezogen und hatte Hunderte Strandbesu­cher zur Oben-ohne-Kultur befragt. Sein Fazit: Oben ohne ist nicht gleich oben ohne, die vermeintli­che Freiheit erfordert einen strengen Verhaltens­kodex. Zwar hat gegen die nackte, liegende Brust niemand etwas einzuwende­n, gehend oder gar Volleyball spielend wird es aber problemati­sch. Das gilt auch für langsames Eincremen, weil zu lasziv, ja fast schon (soft-)pornografi­sch. Ein halbes Jahrhunder­t nach Rudi Gernreichs Entsexuali­sierungsve­rsuch des nackten Frauenbuse­ns halten wir also fest: Es ist noch ein langer Weg.

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 ??  ?? Nacktheit für alle! Ein Österreich­er entwarf 1964 den Monokini, um die weibliche Brust zu entsexuali­sieren
Nacktheit für alle! Ein Österreich­er entwarf 1964 den Monokini, um die weibliche Brust zu entsexuali­sieren

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