Kurier

Virtuoser Seiltänzer des Lebens, überschatt­et von einem Trauerflor

Kritik. Franz Werfels „Eine blassblaue Frauenschr­ift“bei den Festspiele­n in Reichenau.

- VON PETER JAROLIN

Ein Auftakt mit einem Abschied und einem Gedenken an einen ganz Großen. An den unvergleic­hlichen Peter Matić, der bei der Eröffnungs­produktion der diesjährig­en Festspiele Reichenau den Minister in der Bühnenadap­tion von Franz Werfels Erzählung „Eine blassblaue Frauenschr­ift“hätte spielen sollen. Zehn Tage vor der Premiere ist Peter Matić aber überrasche­nd im Alter von 82 Jahren verstorben; mit einer kurzen Ansprache würdigte das Intendante­n-Ehepaar Renate und Peter Loidolt den singulären Schauspiel­er.

Doch das Leben am Theater geht weiter – so wäre es wohl auch im Sinne von Peter Matić gewesen. Mit Thomas Kamper wurde kurzfristi­g ein Ersatz gefunden, und so konnte diese „Blassblaue Frauenschr­ift“doch plangemäß über die Bühne gehen.

Zwischen den Zeiten

Nach der Dramatisie­rung durch Hermann Beil und Vera Sturm im Jahr 2002, hat diesmal Nicolaus Hagg diesen Werfel adaptiert – und das auch richtig gut. Denn Hagg setzt auf viele Kunstgriff­e, spielt gekonnt mit Zeitebenen, liefert aber auch immer die historisch­en Bezüge mit.

Denn immerhin ist das Geschehen rund um den opportunis­tischen Sektionsch­ef Leonidas, der es sich dank seiner Heirat mit der reichen Amelie Paradini gut im Leben eingericht­et hat, im Jahr 1936 angesiedel­t, also knapp vor der Auslöschun­g Österreich­s. Darauf Hagg Bezug, indem er die Figur von Amelies Bruder Paul (Alexander Rossi spielt ihn sehr smart) als männliche Kassandra dazu erfunden hat.

Im Zentrum der von Julian Pölsler im 30-er-JahreBühne­nbild von Peter Loidolt dekorativ in Szene gesetzten Handlung steht aber natürlich Leonidas, der auf dem Höhepunkt seiner Karriere von einer alten Liebschaft eingeholt wird.

Zwischen den Zeilen

Joseph Lorenz gibt diesem von Lebenslüge­n geplagten Karrierist­en mit unglaublic­her Präsenz, zeichnet virtuos das Porträt eines selbstverl­iebten Gecken, der mit all seinen Lügen und Ränken ganz charmant durchkommt. Beeindruck­end, wie Lorenz mit sprachlich­en Nuancen jongliert, wie er diesen selbst ernannten „Seiltänzer des Lebens“zwischen den Zeilen in all seinen Facetten zeigt. Das ist große Schauspiel­kunst!

Aber Lorenz hat auch tolle Partnerinn­en und Partner: Stefanie Dvorak etwa als einst brutal abserviert­e Ex-Geliebte Vera Wormser, die in Rückblende­n ganz das verliebte Mädel sein darf, die in der Wiederbege­gnung mit Leonidas zu herrlich-lakonische­r Verbitteru­ng findet.

Eine starke Leistung, nach der man umso mehr bedauert, dass Dvorak in den Plänen des neuen Burgtheate­rdirektors Martin Kušej gar keine Rolle mehr spielt.

Dritte im Bunde ist Fanny Stavjanik als „ihrem“Leonidas bedingungs­los ergebene Amelie, die ihre Figur mit Noblesse und einer feinen, wohl dosierten Prise Überspannt­heit ausstattet.

Erdig hingegen verkörpert Peter Moucka den national(sozialisti­sch) gesinnten Hofrat Skutecky: Eine erbärmlich­e, weil nach oben buckelnde, nach unten tretende Beamtenkre­atur, von der trotz aller Jovialität stets Gefahr ausgeht. Wie auch Einspringe­r Thomas Kamper dem Minister Vinzenz Spittelber­ger die erforderli­che blasierte Schleimigk­eit verleiht. Allesamt sind sie gut gezeichnet­e Charaktere, die schnurstra­cks dem eigenen Untergang entgegenge­hen. Nur Leonidas wird weiterhin als Seiltänzer reüssieren. KURIER-Wertung:

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Ein starkes Duo: Joseph Lorenz als Sektionsch­ef Leonidas und Stefanie Dvorak als Vera Wormser

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