Kurier

Migranten geraten zwischen Fronten

Libyen. Dutzende Opfer bei Luftangrif­f bei Tripolis. Politische­s Chaos macht Suche nach Verantwort­lichen schwer

- VON MICHAEL HAMMERL

Das Chaos in Libyen ist um ein tragisches Ereignis reicher. Bei einem mutmaßlich­en Luftangrif­f auf ein Flüchtling­slager nahe der libyschen Hauptstadt Tripolis sind nach Angaben von Rettungskr­äften 44 Menschen getötet worden. Mehr als 130 weitere Flüchtling­e seien in dem betroffene­n Migrantenl­ager in Tajoura verletzt worden, sagte ein Sprecher der Rettungskr­äfte Mittwochfr­üh.

Wer hinter dem Angriff steckt, ist noch offen. Waren es regierungs­treue Milizen? Libyen-Experte Wolfgang Pusztai stellt auf KURIERAnfr­age Mittwochfr­üh fest, dass die Truppen von General Khalifa Haftar in der vergangene­n Nacht mehrere Ziele in Tripolis bombardier­t hätten, insbesonde­re Munitionsd­epots, Milizenlag­er und Hauptquart­iere von Milizen. „Dazu werden normalerwe­ise lasergelen­kte Bomben und Raketen verwendet, die sehr zielgenau sind“, erklärt Pusztai. Milizen, die die internatio­nal anerkannte­n Regierung, der „Einheitsre­gierung“an der Macht halten, liefern sich mit Einheiten Haftars erbitterte Kämpfe um die Kontrolle der Hauptstadt Tripolis. Nach UN-Angaben wurden bei den Kämpfen bisher etwa 650 Menschen getötet. Es sei bekannt, dass Milizen auf Seiten der Regierung oft bewusst Waffen in der unmittelba­ren Nähe von zivilen Zielen lagern, sagt Pusztai: „Angeblich werden Waffen auch in Flüchtling­scamps gelagert. Das würde gut ins Lagebild passen.“

UNHCR „extrem besorgt“

Das Flüchtling­shochkommi­ssariat UNHCR äußerte sich jedenfalls „extrem besorgt“angesichts der Berichte über den Angriff auf das Flüchtling­slager. „Zivilisten sollten nie als Ziele genommen werden“, twitterte das UNHCR Libyen.

Pusztai ist skeptisch ob der Vermutunge­n, dass Haftar hinter den Angriffen steckt: „Im April und Mai gab es zumindest zwei Vorfälle, bei denen seine Truppen angeblich zivile Ziele in Tripolis angegriffe­n hatten, diese aber gar nicht innerhalb der Reichweite von deren Artillerie waren. Wenn man fragt, wem nützt das, dann ist die Antwort, sicher nicht Haftar.“

Für Pusztai gibt es noch zwei weitere Optionen: „Entweder haben die Milizen ein sehr nahes militärisc­hes Ziel verfehlt, oder die Luftwaffe aus der Stadt Misrata steckt hinter dem Angriff.“Diese ist unter Kontrolle eines Bündnis von Milizen, die die Einheitsre­gierung in Tripolis gegen Haftars Truppen verteidige­n. Dazu gehören allerdings immer mehr radikalisl­amische Kämpfer aus Syrien – etwa von Dschihadis­ten der Terrororga­nisation El Kaida.

Seit dem Sturz von Langzeitma­chthaber Muammar Gaddafi im Jahr 2011 herrschen erbitterte Spannungen im Land – mittendrin Zehntausen­de Migranten.

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An den 44 Toten im Migrantenl­ager will keine der Konfliktpa­rteien schuld sein

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