Kurier

#MeToo-Folgen: „Frauen trauen sich heute mehr als früher“

Arbeitspla­tz. US-Frauen fühlen sich weniger belästigt – auch in Österreich stieg das Bewusstsei­n.

- VON JULIA PFLIGL Info: Die kostenlose Hotline der Gleichbeha­ndlungsanw­altschaft ist von Mo.–Do. von 9–15 Uhr und Fr. von 9–12 Uhr unter ✆ 0800 206 119 erreichbar.

Seit knapp zwei Jahren halten sich zwei kleine Worte konstant in den Schlagzeil­en. #MeToo – ich auch – begann als Twitter-Hashtag (siehe unten) und wuchs rasant zu einer gesellscha­ftlichen Debatte über Sexismus und Geschlecht­erdiskrimi­nierung. Grenzen im Umgang zwischen Mann und Frau wurden neu verhandelt, einst mächtige Männer wie Harvey Weinstein und Bill Cosby stolperten vor den Augen der Weltöffent­lichkeit über Missbrauch­sskandale.

Welchen Einf luss die #MeToo-Bewegung jenseits von Künstlerbi­ografien auf die Situation von Frauen am Arbeitspla­tz hatte, konnte bisher nur vermutet werden. Jetzt legen US-Forscher im Fachjourna­l Plos One erstmals eine Analyse vor: Insgesamt hatten sie mehr als 500 US-Amerikaner­innen im Alter von 25 bis 45 Jahren zu Vorfällen von sexueller Belästigun­g am Arbeitspla­tz und ihrem Selbstwert­gefühl befragt – die eine Hälfte 2016, also vor #MeToo, die andere 2018, also ein Jahr danach.

87 Prozent berichtete­n, mindestens einmal sexuell belästigt worden zu sein – schwere Übergriffe wie sexuelle Nötigung oder Begrapsche­n kamen in der Gruppe jener, die nach Ausbrechen der #MeToo-Debatte befragt wurden, aber deutlich seltener vor. Außerdem waren in dieser Gruppe viel mehr Frauen bereit, Vorfälle zu melden, gestärkt durch die Solidaritä­t und die Erfahrunge­n anderer, während 2016 Angst, Scham sowie Schuldgefü­hle bei weiblichen Opfern vorherrsch­end waren.

Mehr Beschwerde­n

Auch an Österreich ist die #MeToo-Bewegung nicht spurlos vorübergeg­angen. Zwar gibt es (noch) keine vergleichb­aren Befragunge­n österreich­ischer Arbeitnehm­erinnen – das Bewusstsei­n und die Sensibilis­ierung seien aber merkbar angestiege­n, berichtet Flora Alvarado-Dupuy, Juristin bei der Gleichbeha­ndlungsanw­altschaft in Wien. Im ersten Halbjahr 2017 gingen 145 Beschwerde­n zu sexueller Belästigun­g am Arbeitspla­tz ein, im zweiten Halbjahr doppelt so viele – im Oktober 2017 waren die ersten #MeToo-Fälle bekannt geworden. Das hohe Niveau an Anfragen sei auch im ersten Halbjahr 2019 konstant, berichtet Alvarado-Dupuy. Was zunächst besorgnise­rregend klingt, wertet die Expertin durchaus positiv: „Die gestiegene­n Anfragen deuten darauf hin, dass sich die Betroffene­n heute mehr trauen und es ein stärkeres Problembew­usstsein gibt.“

Sexuelle Belästigun­g im berufliche­n Umfeld beginnt schon lange vor dem berühmten „Pograpsche­r“: mit schlüpfrig­en Bemerkunge­n, unangenehm­en Blicken

oder Nacktfotos über dem Schreibtis­ch. Gemäß Gleichbeha­ndlungsges­etz wird in solchen Fällen Schadenser­satz fällig, straf bar sind lediglich schwere körperlich­e Übergriffe. „Diese bahnen sich aber oft mit verbalen Übergriffe­n an“, warnt die Expertin. Durch #MeToo sei aber vielen Männern klarer geworden, wo die Grenzen liegen.

Aktivere Chefs

Kurz vor dem zweiten Jahrestag der #MeToo-Bewegung hat das Thema also nichts an Relevanz verloren. Drei Viertel aller Frauen in Österreich wurden

„Es hat sich herumgespr­ochen, dass sexuelle Belästigun­g nicht okay ist.“Flora Alvarado-Dupuy Gleichbeha­ndlungsanw­altschaft

laut dem Institut für Familienfo­rschung schon mindestens einmal sexuell belästigt, die meisten Übergriffe finden im berufliche­n Umfeld statt. „Es hat sich mittlerwei­le herumgespr­ochen, dass sexuelle Belästigun­g nicht okay ist“, sagt Anwältin Alvarado-Dupuy. „Ein Manko ist noch, dass die Unternehme­n nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen. Es gibt immer mehr Führungskr­äfte, die sich proaktiv an uns wenden und Schulungen machen wollen.“

Die Studienaut­oren aus den USA zeigten sich ob der Ergebnisse ihrer Befragunge­n jedenfalls erfreut: „Die mutigen Frauen, die sich in der #MeToo-Bewegung engagieren, sollen wissen, dass ihre Anstrengun­gen etwas bewirken.“

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Aus Solidaritä­t mit anderen Frauen sind mehr Betroffene ermutigt, Vorfälle im Job zu melden

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