Jahresticket-Studie gibt Rätsel auf
Jahreskarte. Eine Berliner Studie geht hart mit denWiener Linien ins Gericht – zuRecht?
KURIER-Faktencheck. Eine deutsche Studie geht überraschend hartmit dem 365-Euro-Ticket der Wiener Linien ins Gericht. Aber ist die Kritik gerechtfertigt?
Die Nachricht hat viele überrascht: Das 365-Euro-JahrestickethatdieWienerweitweniger dazu motiviert, auf die Öffis umzusteigen, als Stadtpolitik und Wiener Linien propagieren. Zu diesem und anderenüberraschendenResultaten kommt zumindest eineStudiedesBerlinerBeratungsunternehmens „Civity Management Consultants“– der KURIER hat berichtet.
Das 46-seitige Papier widerlegt so eines jener Argumente, mit dem die Grünen der SPÖ das Projekt 2012 schmackhaft machten. Doch können die Ergebnisse wirklich stimmen? Der KURIER hat versucht, Aussagen der Studie zu überprüfen – und stieß dabei auf mehr Rätsel als Antworten. Nicht zuletzt deshalb, weil auf Nachfrage wederdieWienerLiniennoch das Beratungsunternehmen sonderlich auskunftsfreudig waren. VierzentraleStudienergebnisse im Faktencheck:
! Die Preissenkung beim Jahresticket führte laut Studie zu mehr als einer Verdoppelung der Absatzzahlen. Der Verkauf der anderen Produkte brachimGegenzug„massiv“ein. Soll heißen: Dass dieWiener Linien mehr Jahreskarten verkaufen, liegt nicht daran, dass sie neueKundengewonnen haben. Sondern eher daran, dass bestehende Kunden von Wochen- oder Monatstickets auf die 365-EuroKarte umstiegen. Konkrete Zahlen für diese Argumentation bleibt die Studie aber schuldig.
In dem Papier heißt es zwar, dass die Wiener Linien zwischen den Jahren 2011 und2017rund52Prozentweniger Wochenkarten und sogar 73 Prozent weniger AchtTages-Karten verkauften. Auf welche absoluten Zahlen sich die Verluste beziehen, bleibt aberoffen. Genauwiediekonkreten Zuwächse bei den Jahreskarten, diedemgegenüberstehen. Die Grafiken der Studie sind dürftig beschriftet.
Kurzfristigkönnemandiese Daten nicht nachreichen, heißt es auf Nachfrage bei den Autoren. Das Papier sei auch keine „wissenschaftliche Arbeit“, sondern ein „Debattenbeitrag“. Auch dieWienerLinienkonnten(oderwollten) die Zahlen nicht liefern.
! ImGegenzugzurPreissenkung beim Jahresticket wurden„nahezualleanderenTarifprodukte deutlich verteuert“. Was als „deutliche“Teuerung gilt, ist bis zu einem gewissem Grad eine subjektive Frage. So kostete ein EinzelfahrscheinimJahr2011noch 1,80 Euro. Mittlerweile beträgt der Preis 2,40 Euro. Die Erhöhung um 60 Cent mehr innerhalb von acht Jahren liegt zwar über der Inflation. Unter der Inflation liegt hingegen die Erhöhung der Monatskarte im selben Zeitraum um1,50Euro, dieWochenkarte wurde um 3,10 Euro teurer. Auf Nachfrage relativiert Civity: Es sei „nicht jedesWording“indemPapier „hundertprozentig durchdacht“.
! Der jährliche Betriebskostenzuschuss der Wiener Linien – also das auszugleichende Defizit – verharrt seit Einführung des 365-Euro-Tickets auf einem deutlich höheren Niveau als zuvor. Konkret sind es laut Studie 300 Millionen Euro. Dass das günstige Jahresticket die Wiener Linien – und damit indirekt denSteuerzahler – etwas kosten wird, war vor der Einführung klar. Alleine schuld amgestiegenen Defizitistesabernicht. AufNachfrage räumt Civity ein, dass auch andere Faktoren hineinspielen. Serviceverbesserungen und Gehaltssteigerungen zum Beispiel. Die Wiener Linien führen das „gewachsene Netz“und das „laufend ausgebaute Angebot“ins Treffen.
! Zwischen der Preisabsenkungunddengestiegenen Fahrgastzahlen gibt es laut Studie keinen signifikanten Zusammenhang. Echte Neukundeneffekte sind „nicht ersichtlich“. Laut Studie ist die Bevölkerung seit 2011 um elf Prozent auf 1,9 Mio. Einwohner gewachsen. Die Zahl der Fahrgäste stieg im selben Prozentsatz auf 966 Mio. Nutzer. Der Verkehrsbetrieb interpretiert die Zahlen aber völlig anders als die Studienautoren: Neue Zuzügler kämen häufig aus ländlichen Gegenden und seien an das Auto gewohnt. Sie überhaupt von Öffis zu überzeugen, seieineguteLeistung.