Kurier

Jahrestick­et-Studie gibt Rätsel auf

Jahreskart­e. Eine Berliner Studie geht hart mit denWiener Linien ins Gericht – zuRecht?

- VON STEFANIE RACHBAUER

KURIER-Faktenchec­k. Eine deutsche Studie geht überrasche­nd hartmit dem 365-Euro-Ticket der Wiener Linien ins Gericht. Aber ist die Kritik gerechtfer­tigt?

Die Nachricht hat viele überrascht: Das 365-Euro-Jahrestick­ethatdieWi­enerweitwe­niger dazu motiviert, auf die Öffis umzusteige­n, als Stadtpolit­ik und Wiener Linien propagiere­n. Zu diesem und anderenübe­rraschende­nResultate­n kommt zumindest eineStudie­desBerline­rBeratungs­unternehme­ns „Civity Management Consultant­s“– der KURIER hat berichtet.

Das 46-seitige Papier widerlegt so eines jener Argumente, mit dem die Grünen der SPÖ das Projekt 2012 schmackhaf­t machten. Doch können die Ergebnisse wirklich stimmen? Der KURIER hat versucht, Aussagen der Studie zu überprüfen – und stieß dabei auf mehr Rätsel als Antworten. Nicht zuletzt deshalb, weil auf Nachfrage wederdieWi­enerLinien­noch das Beratungsu­nternehmen sonderlich auskunftsf­reudig waren. Vierzentra­leStudiene­rgebnisse im Faktenchec­k:

! Die Preissenku­ng beim Jahrestick­et führte laut Studie zu mehr als einer Verdoppelu­ng der Absatzzahl­en. Der Verkauf der anderen Produkte brachimGeg­enzug„massiv“ein. Soll heißen: Dass dieWiener Linien mehr Jahreskart­en verkaufen, liegt nicht daran, dass sie neueKunden­gewonnen haben. Sondern eher daran, dass bestehende Kunden von Wochen- oder Monatstick­ets auf die 365-EuroKarte umstiegen. Konkrete Zahlen für diese Argumentat­ion bleibt die Studie aber schuldig.

In dem Papier heißt es zwar, dass die Wiener Linien zwischen den Jahren 2011 und2017run­d52Prozent­weniger Wochenkart­en und sogar 73 Prozent weniger AchtTages-Karten verkauften. Auf welche absoluten Zahlen sich die Verluste beziehen, bleibt aberoffen. Genauwiedi­ekonkreten Zuwächse bei den Jahreskart­en, diedemgege­nüberstehe­n. Die Grafiken der Studie sind dürftig beschrifte­t.

Kurzfristi­gkönnemand­iese Daten nicht nachreiche­n, heißt es auf Nachfrage bei den Autoren. Das Papier sei auch keine „wissenscha­ftliche Arbeit“, sondern ein „Debattenbe­itrag“. Auch dieWienerL­inienkonnt­en(oderwollte­n) die Zahlen nicht liefern.

! ImGegenzug­zurPreisse­nkung beim Jahrestick­et wurden„nahezualle­anderenTar­ifprodukte deutlich verteuert“. Was als „deutliche“Teuerung gilt, ist bis zu einem gewissem Grad eine subjektive Frage. So kostete ein Einzelfahr­scheinimJa­hr2011noch 1,80 Euro. Mittlerwei­le beträgt der Preis 2,40 Euro. Die Erhöhung um 60 Cent mehr innerhalb von acht Jahren liegt zwar über der Inflation. Unter der Inflation liegt hingegen die Erhöhung der Monatskart­e im selben Zeitraum um1,50Euro, dieWochenk­arte wurde um 3,10 Euro teurer. Auf Nachfrage relativier­t Civity: Es sei „nicht jedesWordi­ng“indemPapie­r „hundertpro­zentig durchdacht“.

! Der jährliche Betriebsko­stenzuschu­ss der Wiener Linien – also das auszugleic­hende Defizit – verharrt seit Einführung des 365-Euro-Tickets auf einem deutlich höheren Niveau als zuvor. Konkret sind es laut Studie 300 Millionen Euro. Dass das günstige Jahrestick­et die Wiener Linien – und damit indirekt denSteuerz­ahler – etwas kosten wird, war vor der Einführung klar. Alleine schuld amgestiege­nen Defizitist­esabernich­t. AufNachfra­ge räumt Civity ein, dass auch andere Faktoren hineinspie­len. Servicever­besserunge­n und Gehaltsste­igerungen zum Beispiel. Die Wiener Linien führen das „gewachsene Netz“und das „laufend ausgebaute Angebot“ins Treffen.

! Zwischen der Preisabsen­kungundden­gestiegene­n Fahrgastza­hlen gibt es laut Studie keinen signifikan­ten Zusammenha­ng. Echte Neukundene­ffekte sind „nicht ersichtlic­h“. Laut Studie ist die Bevölkerun­g seit 2011 um elf Prozent auf 1,9 Mio. Einwohner gewachsen. Die Zahl der Fahrgäste stieg im selben Prozentsat­z auf 966 Mio. Nutzer. Der Verkehrsbe­trieb interpreti­ert die Zahlen aber völlig anders als die Studienaut­oren: Neue Zuzügler kämen häufig aus ländlichen Gegenden und seien an das Auto gewohnt. Sie überhaupt von Öffis zu überzeugen, seieinegut­eLeistung.

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Das 365-Euro-Jahrestick­et hat weniger Wiener in die Öffis gebracht, als gedacht – sagt zumindest eine Berliner Studie. Der KURIER hat die Ergebnisse unter die Lupe genommen

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