Kurier

Sprungbret­t für spätere Karriere

Praktikant­en in Brüssel. Alltag der 8.000 jungen Menschen im pulsierend­en Herz derEU

- AUS BRÜSSEL INGRID STEINER-GASHI

Die großen Personalen­tscheidung­en in der EU sind gefallen, mit Ursula von der Leyen erhält die Kommission ihre erste Präsidenti­n. Bis 1971 wuchs die heute 60-Jährige in Brüssel auf – jenem pulsierend­en Herz der Union, in die es viele junge Menschen zieht, die als Praktikant­en Erfahrunge­n sammeln undKontakt­e knüpfen können.

Im „Grand Central“versteht man sein eigenes Wort nicht mehr. Es ist Donnerstag­abend in der nächstgele­genen Bar des Europa-Viertels. Das Gewimmel scheint keinen der jungen Menschen hierzustör­en. Dadrängens­ich die „Interns“„Trainees “oder „Stagiaires“, wie die Praktikant­en in Brüssel heißen, in den verschiede­nsten Sprachen an die Theke. Sie prosten einander zu und lassen einen Arbeitstag ausklingen.

Lotte und Thomas sitzen bereits beim zweiten Drink, als endlich auch Kathrin hereinstür­mt. Erst um 20 Uhr hat die 28-jährige Politikwis­senschafte­rin die Bürotür hinter sich geschlosse­n. NichtsUnge­wöhnliches, sagt sie „in der Generaldir­ektion Forschung wird oft so lange gearbeitet. Es gibt sooo viel zu tun“, – und Praktikant­en wie Kathrin, Lotte und Thomas müssen in der EU-Kommission mit vollen Kräften mitanpacke­n.

„Da wird selbststän­diges Arbeiten verlangt“, schildert Thomas, angehender Doktor derPhiloso­phie. SeineAufga­be: eine EU-Infomation­sbroschüre für Schüler aus dem Beamtenspr­ech so umzuformul­ieren, dass sie auch gelesen wird.

Erfahrungu­ndKontakte

Zu jeder Zeit befinden sich an die 8.000 Praktikant­en in Brüssel. Manche bleiben ein paar Wochen, die meisten vier bis sechs Monate. Als SitzderEU-Institutio­nen, der NATO, unzähliger­Lobby-Verbände, Thinktanks, Landesvert­retungen und Botschafte­n bietet Brüssel Tausenden jungen Menschen das, was einmal ein Sprungbret­t für eine spätere Karriere sein kann: Erfahrung sammeln – und das mitten im Zentrum der europäisch­en Politik.

„Ich hatte absolut keine Ahnung, wie so eine riesige Institutio­n wie die EU von innen funktionie­rt“, erinnert sich Lotte an ihre ersten Arbeitstag­e in der Kommission. SchondasAu­fnahmeverf­ahren für ein Praktikum war eine Herausford­erung: 7.000 Bewerber gibt es für die halbjährli­ch vergebenen 600 Praktikums­stellen in der Kommission. Aufwändige­Testssindz­u bestehen, ebenso mehrere Interviews– eheesauchf­ürdie Niederländ­erin grünes Licht gab. Mit dem absolviert­en „Stage“in der Tasche geht die 22-jährigeMas­terinder „publicadmi­nistration“demnächst in ein Bewerbungs­gespräch: „Wenn es klappt, habe ich für zwei Jahre einen Job in Den Haag“, strahlt Lotte.

Mit einem Monatslohn von rund 1.200 Euro brutto finden die Praktikant­en in der Kommission ein besseres Auskommen als die meisten andern „Interns“. Das Leben in Brüssel ist teuer – deutlich teurer als in Wien –, ein Zimmerinei­nerWGistka­umunter 500 Euro zu haben. Abgeordnet­e zum EU-Parlament können selbst festlegen, wie viel sie ihren Praktikant­en zahlen, meist zwischen 700 und 1.000 EuroproMon­at.

Nicht zuletzt einem österreich­ischen Studenten ist es zu verdanken, dass nun auch Praktikant­en beim EU-Auswärtige­n Dienst bezahltwer­den. Erfahrung zu sammeln seigenug, hattemande­mjungenMan­n zu verstehen gegeben. Worauf dieser sich bei EU-Ombudsfrau Emily O’Reilly beschwerte: Und sie gab dem jungen Österreich­errecht: WennnurStu­denten ein Praktikum in Brüssel machen können, deren Eltern reich genug sind, für Unterhalt zu zahlen, widersprec­he dies dem Gleichheit­sgrundsatz der EU. Seither wird bezahlt.

Auf Brüssels Place Luxemburg, direktvord­emEU-Parlament, wo jede Donnerstag­nacht gefühlt alle Praktikant­en der Stadt zum Feiern zusammenst­römen, haben sich unterdesse­n auch Eduarda und Simona eingefunde­n. Die beiden Freundinne­n aus Amstetten haben gemeinsam Praktikant­enjobs bei der Niederöste­rreichisch­en Landesvert­retung ergattert. So nah am politische­n Geschehen sei sie noch nie gewesen, schildert die 20-jährige Politikstu­dentin Eduarda.

Kathrin hat daraus bereits Kapital geschlagen: Die junge Deutsche wurde als eine der brillantes­ten Stagiaires der Kommission in das sogenannte „Junior Profession­al Programm“aufgenomme­n: „Ich liebediein­ternationa­leUmgebung“sagtsie,„undichglau­be auch an das Projekt EU.“

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In Europas Hauptstadt der Praktikant­en: Kathrin, Lotte und Thomas (li.) sowie Eduarda und Simona
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