Älter machen mit FaceApp: Warum der Handy-Spaß gefährlich ist
Alt per App. Warumman sich inZeiten des Jugendwahns beim Ergrauen zuschauen will
Neuer Boom. EineSpieleApp, die gefährlicheAusmaßeannehmenkönnte: ProminenteundPolitiker könnenviaFaceAppvon jedem mit ein paar Mausklicksum30undmehr Jahre gealtertwerden. Die Bilderdavonkursieren derzeit auf privatenHandyswieimNetz. ZumTeil sind die Ergebnisse so gestochenscharf, als hätte das ProgrammderPolizeifahnder hier seine HändeimSpiel gehabt. Alles ein harmloser Spaß, undein neuerTrendin RichtungNeugieram Altern?„Nein“warnen Experten. Vor allem nicht, weilungeklärt ist, was mitdenhochgeladenen Bildernpassiert. Denn die Erfinder vonFaceApp sitzen inRussland, die Server, über die das Programmläuft, indenUSA undanderen Ländern.
DasInternethateinneuesLieblingsspielzeug. Inder scheinbarunendlichenSpaßweltdesWorldWideWeb isteineAppaufgetaucht, dieunsmit einem Klick älter macht.
„FaceApp“heißt die Smartphone-Applikation, die zwei Jahre nachihrer EntstehungeinPopularitätshoch erlebt. Mithilfe von künstlicher Intelligenz werden Porträtfotos und Selfies so bearbeitet, dass diePersonumJahrzehnte älter aussieht – Falten, Tränensäcke und ergrauteHaare inklusive. Weil die sozialenMedien aus allem eine Challenge machen, teilen seit dem Wochenende Tausende Nutzer, unter ihnenStarswieKanyeWestundHeidi Klum, ihre Seniorenbilder im Netz. Kurz vor Wahlkampfbeginn kommen auch heimische Politiker in die virtuelle Zeitmaschine.
Ist das eigentlich noch lustig? Nein, sagenDatenschützerundwarnen vorMissbrauch (siehe unten).
„SoeineAppgehörtindieHände der Polizei“, sagt auch die Psychotherapeutin Rotraud Perner und stellt zugleich dieMethode infrage: Seit Jahren würden wir von der Polizei daran erinnert, wie Tibor Foco, der meistgesuchte Österreicher, heuteaussehenkönnte.„Letztlich ist das aber Spekulation. Denn niemandkannvoraussehen, wiedas Schicksal uns verändern wird. Es ist vermessen, diesen Faktor auszuschließen. Fest steht lediglich, dass wir mit unserem Lebenswandel viel beeinflussen können. Seriöserweise müsste eine solche App also auch Varianten mit viel und wenig Schlaf, AlkoholundUmwelteinflüssen haben.“
Letztlich zeige die FaceApp vor allem eines: „Dass den Leuten fad ist. Sie sollten lieber über den Sinn des Lebens nachdenken. Da hätten sie genug zu tun.“
Fürimmerjung
Ein Porträt zu besitzen, das anstatt einem selbst altert: Oscar Wildes Roman über den schönen Dorian Gray, der nur innerlich altert und den äußerlichen Alterungsprozess einem Porträt seiner selbst überlässt, illustriertwie kaum ein anderes Gleichnis unseren Umgang mit dem Alter. Wir müssen diesen Prozess als Teil unseres Lebens erdulden, wollen ihn aber tunlichst ausblenden. Und ausgerechnet in dieser Zeit der polierten Oberflächen wirdeineApp, dieNutzervirtuell altern lässt, zum Hype.
Auch die Psychologie beschäftigt dieFrage: Warumwollen inmitten einer anhaltenden Anti-AgingHysterie auf einmal so viele Menschendabeizusehen, wiesieergrauen und verrunzeln?
In erster Linie, um unterhalten zu werden, sagt der Psychologe Dominik M. Rosenauer. Ein Blick in dieeigeneZukunft, einSpielmitder Realität– dieneuenMedienmachen es einfach, in andere Rollen zu schlüpfen. Etwa in die des anderen Geschlechts – ebenfalls eine beliebte Funktion der FaceApp.
Die Lustan der Angst
Es ist die sogenannte Angstlust, mit derPsychologendiePopularitätvon Halloween oder Horrorfilmen erklären– siekönnteebenfallseinMotiv für die Faszination der AltersApp sein. „Nach dem Motto: ‚Jössas na, so schau ich also aus, wenn ich älter bin.‘ Die AuseinandersetzungmitdemAltwerdenist inunserer Gesellschaft schwierig geworden, weilmannichtmehrsowiefrüher permanent mit allen GenerationeninKontaktsteht“, sagtPsychologe Rosenauer.
Graue Haare führen einem die eigene Endlichkeit vor Augen. „Das macht natürlich Angst. Daher wird die Auseinandersetzung mit dem Alter für gewöhnlich auch so lange wie möglich hinausgezögert.“
Altern ist Teil des Lebens, im Gegensatz zu Tieren wissen Menschen das. Junge Menschen allerdings halten sich meistens für unsterblich – oder zumindest unverwundbar. „Wenn man 15, 16 ist, kommt es einem wie eine Ewigkeit vor, bis man so aussieht wie auf denFaceApp-Fotos“, sagtRosenauer. Zudem streben junge Menschen meist danach, ja nicht so wie ihre Eltern zu werden. Die gealterten Fotos zeigen aber häufig genaudengegenteiligenEffekt, die ÄhnlichkeitzuMutteroderVaterist in vielen Fällen erschreckend. „Ob das jemanden stört oder nicht, hängt vom Verhältnis ab, das man zum Elternteil hat“, sagt der Psychologe.
Vielleicht aber soll man das alles nicht so ernst nehmen. Rosenauer: „Für die meisten Menschen ist das einfach ein neues Spielzeug, das genauso schnell wieder vorbei sein wird, wie es angefangen hat.“