Kurier

Viele Wege in die Unfreiheit

Politische Bücher. Wer demokratis­che Institutio­nen zerstört, will die Demokratie zerstören Brandstätt­ers Blick

- VON HELMUT BRANDSTÄTT­ER

Es kann kein Zufall sein, dass gerade viele Bücher über das Ende der Demokratie erscheinen. Der amerikanis­che Historiker Timothy Snyder hat gleich zwei dazu geschriebe­n. „Über Tyrannei“erklärt uns „zwanzig Lektionen für denWiderst­and“, „Der Weg in die Unfreiheit“zeigt auf, wie sehr bereits auch bewährte Demokratie­n in den USA und Europa ausgehöhlt sind. Snyder hat dafür zwei Begriffe definiert: Die Politik derUn aus weichlichk­eit und die Politik der Ewigkeit.

Ersteres ist die Vorstellun­g, dass nach dem Zusammenbr­uch des Kommunismu­s die freie Marktwirts­chaft, dazu in Europa Frieden und Integratio­n sozusagen unausweich­lich weitergehe­n würden. Als gäbe es das Verspreche­nder Demokratie für eine bessere Zukunft, ohnedass wir etwas dafür tun müssten. Die Politik der Ewigkeit hingegen rückt laut Snyder die Nation in den Mittelpunk­t, die immer wiederOp ferse in muss :„ Ewigkeits politiker produziere­n Krisen und manipulier­en die damit verbundene­n Emotionen. Um von der Tatsache abzulenken, dass sie unfähig oder nicht willens sind, Reformen einzuleite­n, lehren sie ihre Bürger, immer wieder Hochgefühl und Empörung zu durchleben, sodass die Zukunft in der Gegenwart versinkt.“

„Ewigkeitsp­olitik“

Der Historiker Snyder sieht die Regierung in Moskau als Zentrum der Ewigkeitsp­olitik. Wladimir Putin ware in unbekannte­r Ex-Gehe im dienstle rund Bürokrat, als er Präsident werden wollte. Ein Krieg gegen Tschetsche­nien nach Bombenatte­ntate nun bekannter Täte rund die Stürmung eines von Terroriste­n besetzten Theaters im Jahr 2000 mit Hunderten toten Zivilisten zeigten ihn als Mann, der gegen Bedrohunge­n aller Art auftritt. Auch der Krieg gegen die Ukraine ab 2014 sollte den starkenMan­n zeigen.

Dass die Russen nach dem Verfall der Preise für Erdöl und Erdgas aufWohlsta­nd verzichten mussten, währen deinige wenige Milliardär­e wurden, musste dann ideologisc­h begründet werden: Der Kampf gegen den Westen und die Gründung einer eurasische­n Wirtschaft­szone würden ebenGeld und Zeit kosten. Dabei ließ sich Putin bald ideologisc­h von nationalis­tischenund antisemiti­schen Autoren, auch längst verstorben­en leiten.

Wer das Leben der Menschen nicht verbessern kann, muss ihnen Bedrohung vorspielen–auch die offene Homosexual­ität in westlichen Gesellscha­ften wird als Gefahr bezeichnet – und mit Nationalis­mus spielen. Und andere Länder destabilis­ieren. Wie sehr Put ins Leute mit Geld und anderen Unterstütz­ungendie EU und die USA kaufen wollten, zeigtSnyd er anhand der Kontakte zu rechtsextr­emen Parteien in Europa und der Förderung von Trump. Die FPÖ kommt nur kurz vor, ihrKo operation s abkommen 2016 mit Putins Partei war aber wichtig, spätestens als die FPÖ im Dezember 2017 in die Regierung kam. Das ward er Sicherheit Österreich­s nicht förderlich; seither reduzierte­n westliche Geheimdien­ste ihre Zusammenar­beit wegen dieser Kontakte derFPÖ auf das Nötigste. Immerhin hatte dieFPÖ auch Kontakte zum russischen Faschisten Alexander Dugin, der bei Putin wohlgelitt­en ist. Statt echter Reformen den Menschen Bedrohunge­n vorspielen und Ängste wecken, das könnte die FPÖ in Russland gelernt haben. Ex-Vizekanzle­r Erhard Busek hat für mein Buch „Kurz und Kickl – ihr Spiel mit Macht und Angst“ein Vorwort geschriebe­n, in dem er unter anderem aus einer Diskussion­mitdemdama­ligen Innenminis­ter Herbert Kickl berichtet. Busek:

„Meine Ansicht war, dass die Politikdie­Aufgabehab­e, denMensche­n Angst zu nehmen. Seine Antwort warklar: DiePolitik­mussAngstm­achen, sonst kann sie nichts verändern.“Aberwas soll verändertw­erden? In Österreich konnte man in der Zeit der Regierung Kurz/Strache das Gefühl bekommen, dass der Zusammenha­lt in der Bevölkerun­g abgebaut werden soll, dass wir unterschei­den nach Inund Ausländern, nach„Leistungst­rägern“und „Faulenzern“. Das ist besonders perfide, weil da jeder seine eigene Vorstellun­g haben kann. Nochmals Busek: „Subsidiari­tät kann nur funktionie­ren, wennesdieS­olidarität­gibt.“So sieht das ein gelernter Christlich­Sozialer. „Leiste keinen vorauseile­ndenGehors­am“istdieerst­evon 20 Lektionen, die Snyder in „ Über Tyrannei“rät. Da kann jeder über sichselbst­nachdenken. AndereLekt ionen erinnern, dass sich Österreich unter einem Innenminis­ter Kickl auf den Weg in Richtung eines totalitäre­n Staates begeben hat, und Sebastian Kurz zugesehen hat, bis er sich persönlich bedroht fühlte. Alleine die Aussagen des damaligen Bundeskanz­lers im BVT- Untersuchu­ngsausschu­ss müssen uns Sorgen machen – ein Regierungs­chef, der die Zerstörung einer der wichtigste­n Institutio­nen des Landes offenbar beiläufig und durch Zeitungsle­ktüre beobachtet. Das muss Kurz auch noch lernen: Wer die Institutio­nen der Demokratie zerstört, will die Demokratie selbst zerstören. Zudiesen demokratis­chen Institutio­nen gehören auch freie Medien. Dass Kurz und Kickl damit wenig anfangen können, wird in dem Buch auch beschriebe­n. Und noch ein Faktum: Begonnen habe ich das Buch, lange bevor die Regierung im Streit aufgegange­n ist. Es ist die Arbeit eines besorgten Journalist­en.

 ??  ?? Timothy Snyder: „Über Tyrannei“(€10.30) und Der Weg in die Unfreiheit“(€ 27,50), jeweils C.H.Beck Verlag. Helmut Brandstätt­er: „Kurz & Kickl“(€ 22), Kremayr & Scheriau
Timothy Snyder: „Über Tyrannei“(€10.30) und Der Weg in die Unfreiheit“(€ 27,50), jeweils C.H.Beck Verlag. Helmut Brandstätt­er: „Kurz & Kickl“(€ 22), Kremayr & Scheriau
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