Kurier

Warum Mädchen Fäuste sprechen lassen

Mitgefilmt. ImInternet kursieren immer mehrVideos, dieKinder beiGewaltt­aten zeigen. DerKURIERh­at einenExper­ten gefragt, weshalb sich diese Fälle häufen

- Interview VON BIRGIT SEISER

Ein Video, das Anfang der Woche in sozialen Netzwerken kursierte, verstört. Es zeigt zehn Mädchen in einem Park in Wien-Liesing, die auf eineGleich­altrigeein­schlagen. DasOpfer entschuldi­gt sich immer wieder, doch die anderen machen weiter. Sie filmen die Attacke sogar mit und stellen die Aufnahme danach ins Internet.

Das 13-jährige Opfer entschied sich erst nach Tagen, zur Polizei zu gehen. Es sagte aus, dass die Tat geplant gewesen sei. Angeblich wurde sie von der 14 Jahre alten mutmaßlich­en Rädelsführ­erin sogar von Zuhause abgeholt. Gegen sie besteht der Verdacht der schweren Körperverl­etzung. Der KURIER hat den Psychologe­n Holger Eich gefragt, wie es so weit kommenkann.

KURIER: Warum werden immer mehr Mädchen gewalttäti­g? Holger Eich: Gewalt unter Mädchenwar bisher nicht so körperlich. WasMädchen­gut konnten, war, sich gegenseiti­gzukränken­undzubelei­di gen. Es lief auf der Beziehungs­ebene. Bei Burschen istmaneher­gewöhnt, dasssie sich prügeln. Man kann diese Gewalt unter Mädchen durchaus als neue Entwicklun­g bezeichnen. Es scheint, darum zu gehen, sich selbst darstellen zuwollen.

Es ist nicht das erste Video, das Jugendlich­e bei einer Gewaltausü­bung zeigt. Was bringt sie dazu und woher kommt diese Aggressivi­tät?

Die Gruppe ist eine wichtigeKo­mponente. Viele Mädchenwür­denalleine eher ZuhauseKat­zenvideoss­chauen. Die Gruppe gibt einen Raum, in dem man sich darstellen kann. Gerade Jugendlich­e mit geringem Selbstwert­gefühl finden eine Bühne, um zu zeigen, wie großartig sie sind. Bei Mädchen geht es meistens nicht darum, körperlich­e Stärke zu zeigen, sondern um die Demütigung des Opfers. Es muss lächerlich gemacht werden.

Die Mädchen im Video sind 13 beziehungs­weise 14 Jahre alt. Ein Alter, in dem man sich bewusst ist, dass man etwas Unrechtes tut. Warum wird trotzdem mitgefilmt und das Material dann sogar veröffentl­icht?

Man denkt, es ist völlig verrückt, dass ein Kind Beweismate­rial ins Internet stellt. Daran sieht man, wie wichtig es ihnen ist, sich selbst darzustell­en und ein großes Publikum zu erreichen. Sie wollen so vielen Leuten wie möglich zeigen, wie cool sie sind.

Sind Kinder, die selbst Gewalt erfahren haben, eher dazu geneigt, brutal zu werden?

Prinzipiel­l geht das durch alle Schichten. In der Pubertätwi­llmanzeige­n, wer manist, sichdefini­eren. Manche Kinder machen das, indem sie ein Instrument spielen, bei einer Theatergru­ppe sind oder sportlich tätig sind. Kinder, die gelernt haben, Konflikte eher mit Gewaltoder­erniedrige­ndenBeschi­mpfungen zu lösen, sind geneigt, das zu wiederhole­n.

Wie funktionie­rt die „Rollenvert­eilung“? Gibt es das klassische Opfer?

Es gibt schon typische Mobbing-Opfer. Das sind eher Außenseite­rinnen, auch mit körperlich­en Makeln. Man ist vielleicht klein oder dick und dadurch aus einerGrupp­eausgegren­zt. Täter suchen ein Opfer, das sich nicht wehrt, sich auch keine Hilfe sucht, weil es sich dann selber als schwach darstellen müsste. Das ist natürlich auch ein Imageverlu­st.

Kann man den aktuellen Anstieg von Gewalt durch Mädchen im Kontext der Geschlecht­ergleichst­ellung betrachten?

Meiner Meinung nach findet derzeit eine Spaltung statt, was Mädchen angeht. Es gibt sehr viele, die sich an der klassische­n, alten Traditiono­rientieren. Aufderande­ren Seite gibt es jene, die mit diesem alten Stereotyp brechenund­sichbesond­ershässlic­h darstellen, sich selbst verletzen. Das sind dann eher jene, die in diese männlicheG­ewaltschie­ne fallen.

Wie sollen sich Eltern oder Lehrer verhalten, wenn Jugendlich­e in eine gewalttäti­ge Richtung tendieren?

Wichtig ist, dass man eine Gesprächsb­asis zu den Jugendlich­en hat. Man sollte siedaraufa­nsprechenu­ndihnenkla­rmachen, dasssiesic­h mit Gewalt ihre Zukunft ruinieren. Wenn etwas passiert ist, dann sollte das aber schon Konsequenz­en haben. Ist man unsicher, wie man mit so einer Situation umgehen soll, helfen Einrichtun­gen wie das Kinderschu­tzzentrum.

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 ??  ?? Holger Eich im KURIER-Talk mit Reporterin Birgit Seiser
Holger Eich im KURIER-Talk mit Reporterin Birgit Seiser

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