Unser Brief-Los Er
Die Post ist da! Eine Erkenntnis mit Konfliktpotenzial, weil sie in augenblickliche Alarmbereitschaft versetzt und er zur völligen Ignoranz verleitet wird
Sie Gibt es so etwas wie eine Brieföffnungsphobie? Bitte, ich frage für einen Freund. Könnte aber auch sein, dass der Mann nebenan daran leidet. Da liegen sie, die Poststücke vergangener Wochen: Wer will uns? Täglich spaziert er an dem wachsenden Stapel vorbei, ohne ihn eines Blickes zu würdigen – Motto: Was ich nicht sehe, ist nicht da. So als könnte sich Materie durch beharrliches Ignorieren in Antimaterie verwandeln.
Hufnagl ohne „E“
Ein bisserl kindisch. Einzig als er unlän ngst sah, dass auf einem der Kuverts ein An Mi ichael
Hufnagel stand, wachte er aus seinem po ostne traumatischen Zustand auf: Hufnagl ohn E, heast! Interessant wäre ja gewesen, die e Depesche zu öffnen, um nachzusehen, wer der Hufnagl-mit-E-Missetäter gewesen sein könnte. Aber nix da. Ein Fall von Brief-Los, vermutlich was aus der Kindheit oder Jugend. Vielleicht hat er sich beim „Stille Post“-Spielen blöd angestellt und wurde dafür gehänselt. Oder er hat es bis heute nicht verkraftet, dass er r nach dem ersten Kuss dieses rosarote Brie fber chen erhalten hatte, in dem stand: Lieb Michi, ich geh jetzt mit dem Alex. Oh ja a, das kann sensible Gemüter prägen. Außerde em sind Phobien menschlich. Erst unlängst hör rte ich von einem Mann, der an Arachibutyrophobie leidet: der Angst, dass Erdnussbutter am Gaumen kleben bleibt. Daher sagte ich dieser Tage sanft: Schatz, du hast wieder Post bekommen, magst du sie ganz langsam gemeinsam mit mir öffnen und dabei tief atmen? Da schaute er erst erstaunt, dann sagte er: Ja. Es war dieses komische Ja, von dem ich genau weiß, was es bedeutet, nämlich: nein, lass mich einfach in Ruh’. Das aber ist eine andere Geschichte, und diewerde ich Ihnenwohl nächsteWoche erzählenmüssen. Lesekabarett „Schatzi, geht’s noch?“: 30. 9., 26. 10. & 11. 11., Rabenhoftheater; 3. 10. Bettfedernfabrik, 11. 10., Burg Perchtoldsdorf Gibt es so etwas wie eine Brieföffnungsneurose? Ich bin ganz sicher. Und ich kenne jemanden, den ich auf der Stelle zum therapeutischen Sesselkreis mit dem Thema Warum sich ungeöffnete Kuverts nicht über Nacht in Dämonen verwandeln! schicken würde. Gnä Kuhn gehört nämlich zu jener Art Frau, die es nicht schafft, einen Stapel Post vom Briefkasten bis zum Wohnzimmertisch zu transportieren, ohne auf dem endlos erscheinenden Weg We bereits die ersten Kuverts zu öffnen. So wie sie no och nie in ihrem Leben ein Baguette nach Hause ge ebracht hat, ohne zuvor ein Eck (bei sehr großer r Gier sogar beide Ecken) abgebissen zu habe en ... aber das ist eine andere durchaus em mpörende Geschichte.
Prioritäten P
Dennoch ist es lohnenswert, sich mit so manchen Eigenheiten der Partnerin zu arrangieren, zumal die Alternative des Wahnsinnigwerdens keine Vision ist. In diesem Sinne habe ich mich daran gewöhnt, w dass die Liebste unmittelbar nach eiiner Urlaubswoche (hallo, das sind bittehön sch sieben quälende Tage ohne Postzur) fuhr zuerst einmal im Raum steht und blätnd tert un sortiert und reißt und öffnet und liest. Da kann der schleppende Ehemann noch so sehr unter der Koofferlast stöhnen, der Hund nach Wasser winseln, die WohnungWohn nach Lüftung lechzen. Soll so sein. Das Problem ist nur, dass es in ihrer kleinen, dunklen, sonderbaren Welt der Brieffreundschaft undenkbar ist, dass sich nicht alle Menschen dem Sofortismus Untertan machen. Heißt: Mein Argument, dass ich es – seit ich der Kuvertöffnung mächtig bin – noch nie bereut habe, einen Brief ein paar Tage oder Wochen gut abliegen zu lassen, empfindet sie als Provokation. Daher fleht sie mich (mit ihrem unwiderstehlichen Existenzrettungsgesicht) regelmäßig an, dass sie auch meine Schriftstücke begutachten darf. Und im Idealfall entdeckt sie dann ... welch’ Triumph ... eine Mahnung. Dann sage ich „Oha“, und unser Leben gehtweiter.