Kurier

Unser Brief-Los Er

Die Post ist da! Eine Erkenntnis mit Konfliktpo­tenzial, weil sie in augenblick­liche Alarmberei­tschaft versetzt und er zur völligen Ignoranz verleitet wird

- PAARADOX – SZENEN EINER REDAKTIONS­EHE VON GABRIELE KUHN & MICHAEL HUFNAGL

Sie Gibt es so etwas wie eine Brieföffnu­ngsphobie? Bitte, ich frage für einen Freund. Könnte aber auch sein, dass der Mann nebenan daran leidet. Da liegen sie, die Poststücke vergangene­r Wochen: Wer will uns? Täglich spaziert er an dem wachsenden Stapel vorbei, ohne ihn eines Blickes zu würdigen – Motto: Was ich nicht sehe, ist nicht da. So als könnte sich Materie durch beharrlich­es Ignorieren in Antimateri­e verwandeln.

Hufnagl ohne „E“

Ein bisserl kindisch. Einzig als er unlän ngst sah, dass auf einem der Kuverts ein An Mi ichael

Hufnagel stand, wachte er aus seinem po ostne traumatisc­hen Zustand auf: Hufnagl ohn E, heast! Interessan­t wäre ja gewesen, die e Depesche zu öffnen, um nachzusehe­n, wer der Hufnagl-mit-E-Missetäter gewesen sein könnte. Aber nix da. Ein Fall von Brief-Los, vermutlich was aus der Kindheit oder Jugend. Vielleicht hat er sich beim „Stille Post“-Spielen blöd angestellt und wurde dafür gehänselt. Oder er hat es bis heute nicht verkraftet, dass er r nach dem ersten Kuss dieses rosarote Brie fber chen erhalten hatte, in dem stand: Lieb Michi, ich geh jetzt mit dem Alex. Oh ja a, das kann sensible Gemüter prägen. Außerde em sind Phobien menschlich. Erst unlängst hör rte ich von einem Mann, der an Arachibuty­rophobie leidet: der Angst, dass Erdnussbut­ter am Gaumen kleben bleibt. Daher sagte ich dieser Tage sanft: Schatz, du hast wieder Post bekommen, magst du sie ganz langsam gemeinsam mit mir öffnen und dabei tief atmen? Da schaute er erst erstaunt, dann sagte er: Ja. Es war dieses komische Ja, von dem ich genau weiß, was es bedeutet, nämlich: nein, lass mich einfach in Ruh’. Das aber ist eine andere Geschichte, und diewerde ich Ihnenwohl nächsteWoc­he erzählenmü­ssen. Lesekabare­tt „Schatzi, geht’s noch?“: 30. 9., 26. 10. & 11. 11., Rabenhofth­eater; 3. 10. Bettfedern­fabrik, 11. 10., Burg Perchtolds­dorf Gibt es so etwas wie eine Brieföffnu­ngsneurose? Ich bin ganz sicher. Und ich kenne jemanden, den ich auf der Stelle zum therapeuti­schen Sesselkrei­s mit dem Thema Warum sich ungeöffnet­e Kuverts nicht über Nacht in Dämonen verwandeln! schicken würde. Gnä Kuhn gehört nämlich zu jener Art Frau, die es nicht schafft, einen Stapel Post vom Briefkaste­n bis zum Wohnzimmer­tisch zu transporti­eren, ohne auf dem endlos erscheinen­den Weg We bereits die ersten Kuverts zu öffnen. So wie sie no och nie in ihrem Leben ein Baguette nach Hause ge ebracht hat, ohne zuvor ein Eck (bei sehr großer r Gier sogar beide Ecken) abgebissen zu habe en ... aber das ist eine andere durchaus em mpörende Geschichte.

Prioritäte­n P

Dennoch ist es lohnenswer­t, sich mit so manchen Eigenheite­n der Partnerin zu arrangiere­n, zumal die Alternativ­e des Wahnsinnig­werdens keine Vision ist. In diesem Sinne habe ich mich daran gewöhnt, w dass die Liebste unmittelba­r nach eiiner Urlaubswoc­he (hallo, das sind bittehön sch sieben quälende Tage ohne Postzur) fuhr zuerst einmal im Raum steht und blätnd tert un sortiert und reißt und öffnet und liest. Da kann der schleppend­e Ehemann noch so sehr unter der Koofferlas­t stöhnen, der Hund nach Wasser winseln, die WohnungWoh­n nach Lüftung lechzen. Soll so sein. Das Problem ist nur, dass es in ihrer kleinen, dunklen, sonderbare­n Welt der Brieffreun­dschaft undenkbar ist, dass sich nicht alle Menschen dem Sofortismu­s Untertan machen. Heißt: Mein Argument, dass ich es – seit ich der Kuvertöffn­ung mächtig bin – noch nie bereut habe, einen Brief ein paar Tage oder Wochen gut abliegen zu lassen, empfindet sie als Provokatio­n. Daher fleht sie mich (mit ihrem unwiderste­hlichen Existenzre­ttungsgesi­cht) regelmäßig an, dass sie auch meine Schriftstü­cke begutachte­n darf. Und im Idealfall entdeckt sie dann ... welch’ Triumph ... eine Mahnung. Dann sage ich „Oha“, und unser Leben gehtweiter.

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