Kurier

Tod im Wald

Salzburger Festspiele. Thomas Ostermeier dramatisie­rte Ödön von Horváths „Jugend ohne Gott“

- VON SUSANNE ZOBL

Die Schüler überreiche­n ihrem Lehrer ein Schreiben. Sie sprechen ihm darin das Misstrauen aus. Alle in der Klasse haben unterschri­eben. Wenig später wird ein Schüler in einem Zeltlager ermordet aufgefunde­n. Gewalt in der Schule, die Ohnmacht der Lehrer. Und über allem regiert die Partei der „reichen Plebejer“das Land.

Man glaubt das alles aus der Gegenwart zu kennen. Diese Schreckens­szenarien aber stammen aus Ödön von Horváths Roman „Jugend ohne Gott“aus dem Jahr 1937. Thomas Ostermeier, seit zwanzig Jahren Intendant der Berliner Schaubühne, hat das Werk für die Salzburger Festspiele und für sein Haus dramatisie­rt.

Romane fürs Theater zu adaptieren ist nichts Neues. Warum man aber ausgerechn­et von Horváth, dessen Theaterstü­cke von unbestritt­ener Kraft und Brisanz sind, einen Roman zeigen muss, beantworte­t Ostermeier­s Inszenieru­ng. Er belässt das Geschehen in den Dreißigerj­ahren. Jan Pappelbaum hat ihm dafür ein ideales Ambiente geschaffen. Ein dichter Wald aus kahlen Bäumen, Marke Stephen King, prangt auf der Bühne des Landesthea­ters. Er ist Symbol für das Unbewusste, kann aber auch ganz pragmatisc­h als Lagerplatz für ein Zeltlager und Tatort von Verbrechen eingesetzt werden. Und das geschieht auch.

Ostermeier hat Horváths Text in eine präzise, messerscha­rfe Partitur eingepasst, Ouvertüre inklusive. Szene für Szene spielt er mit seinem Ensemble, das wie ein fein aufeinande­r abgestimmt­er Chor agiert, den Roman in 140 kompakten Minuten ohne Pause durch. Die Spannung steigt wie in einem ständig wachsenden Crescendo. Ostermeier, der 2011 „Maß für Maß“mit Gert Voss und Lars Eidinger in Salzburg gezeigt hat, ist ein Mann für echtes Schauspiel­ertheater. Er hat eine Hand dafür, seine Darsteller zu führen.

Sein Solist bei Horváth ist Jörg Hartman, bekannt als Dortmunder „Tatort“Kommissar Faber. Er ist der Lehrer, der versucht, Widerstand zu leisten, sich aber immer mehr in Schuld verstrickt. Ganz unprätenti­ös steht er aus dem Publikum auf. Im schwarzen Rollkragen­pullover geht er im hell erleuchtet­en Saal des Landesthea­ters auf die Bühne.

Hitlers Leistungen

Dann aber kommt das Verblüffen­de. Dieser Mann, der aussieht, als kenne er seinen Sartre oder zumindest die ersten Sätze des Kommunisti­schen Manifests in- und auswendig, spricht im selben Ton, in dem er noch höflich um etwas mehr Licht auf der Bühne gebeten hat, den Satz: „Was verdanke ich Adolf Hitler?“und gibt die Antwort gleich selbst. „Alles.“

Hat sich ein Sprecher der AfD auf die Bühne verirrt? Ein nicht enden wollender Monolog über die Leistungen Hitlers für Deutschlan­d folgt. Das kostet Spannung. Denn Hartmann unterspiel­t mit übertriebe­ner Naivität das Gesagte. Das stammt aus einem jener Briefe, die Deutsche an Hitler geschriebe­n haben. Verfasst hat ihn ein gewisser Horst R. aus Braunschwe­ig 1935. Das war in jenem Jahr, in dem Hitler die Nürnberger Rassengese­tze erlassen hat und Horváth die Arbeit an seinem Roman begonnen hat.

Nahtlos leitet Ostermeier von diesem Führer-Lob ins Geschehen über. Hartmann tauscht den Rollkragen­pullover gegen einen hellen Anzug. Wie ein Hemd streift er sich Horváths Figur über. Präzise zeichnet er das Psychogram­m eines Mannes, der sich den Zeitumstän­den fügt und zwischen Gut und Böse schwankt. Er agiert mit einer gewissen Überdosis an Understate­ment, die fast schon an der Unerträgli­chkeitsgre­nze schrammt, aber das passt ins Gesamtbild dieses Mannes, der immer durch alles durchtauch­t. Der gerne gegen die Staatsideo­logie auf begehren würde, aber zu feig dafür ist.

Im Original wird dieser Lehrer von den Schülern „Neger“genannt. Das lässt Ostermeier nicht so stehen. Er macht ihn zum „Afrikaner“. Damit ist nicht nur das „N“Wort gestrichen, sondern der Bogen zur Flüchtling­sdebatte gespannt. Das fügt sich ins dichte Geschehen. Dessen Triebwerk aber ist das Ensemble der sieben jungen Schauspiel­er: Bernardo Arias Porras, Damir Avdic, Veronika Bachfische­r, Moritz Gottwald, Laurenz Laufenberg, Alina Stiegler, Lukus Turtur. Die rund 40 Rollen verkörpern sie mit Verve. Das Publikum jubelte.

KURIER-Wertung:

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Der Schüler Otto N. (Damir Avdic) wurde erschlagen: Jörg Hartmann ermittelt als opportunis­tischer Lehrer, der schließlic­h doch den Mut zur Wahrheit aufbringt

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