Kurier

Wo geschredde­rt wird…

KURZ GEGEN KERN

- VON CHRISTIAN BÖHMER

Es geht nicht um Flüchtling­e und nicht um Ibiza: Die Wahlkämpfe­r verbeißen sich in die Vernichtun­g von Festplatte­n. Was wirklich dahinterst­eckt.

Festplatte­n also. Der August steht unmittelba­r bevor, bis zum Wahlsonnta­g sind es immerhin noch 61 Tage, aber bislang geht es im Nationalra­tswahlkamp­f 2019 vor allem um eines: Festplatte­n. Zwölf Stück, um genau zu sein. Fünf von der Volksparte­i, sieben von der SPÖ.

Was ist an der erbittert geführten Auseinande­rsetzung um das Schreddern im Kanzleramt politisch neu und vor allem: Was daran ist politisch noch relevant?

Der KURIER beantworte­t die wichtigste­n Fragen.

? Was genau ist in der Schredder-Affäre Sache, was ist der Letztstand?

In der vor etwas mehr als einer Woche zuerst vom KURIER thematisie­rten „Operation Reißwolf “gibt es streng genommen einen erwähnensw­erten „neuen“Aspekt – die Kronen Zeitung rückte nun auch den früheren SPÖ-Bundeskanz­ler Christian Kern in die Nähe einer „Schredder-Affäre“.

Der konkrete „Vorhalt“lautet: Obwohl Kern via Facebook behauptet hat, unter seiner Ägide seien keine Akten vernichtet worden, sei das bei der Amtsüberga­be an Sebastian Kurz sehr wohl

„Tatsächlic­h haben meine Mitarbeite­r und ich alle Akten gesetzesko­nform behandelt.“Ex-Kanzler Christian Kern über seine Amtsüberga­be

passiert. Konkret wurden sieben Festplatte­n aus Druckern ausgebaut und vernichtet.

Der Schluss, den die ÖVP in Person von Generalsek­retär Karl Nehammer daraus zieht: Die SPÖ zeige eine „unglaublic­he Doppelmora­l“, zumal sie selbst sogar in „noch größerem Stil“Akten vernichtet habe als der in den vergangene­n Tagen öffentlich kritisiert­e Mitarbeite­r der Volksparte­i.

? Hat Christian Kern also öffentlich gelogen? Zumindest hat er sich schlecht oder gar nicht informiert, ehe er auf Facebook schrieb: „Ein Schreddern von Festplatte­n fand nicht statt.“Kern ging und geht es offenbar darum klarzustel­len, dass weder er noch seine Mitarbeite­r im Dezember 2017 aktiv angeordnet haben, dass Druckerfes­tplatten geschredde­rt werden. Nachdem Kern alle Unterlagen an die Beamten des Bundeskanz­leramtes übergeben hat, wurden aber sehr wohl Festplatte­n vernichtet – genau das zeigt der Krone-Artikel.

? Was unterschei­det das Schreddern unter Kurz von dem unter Kern?

Der Unterschie­d ist ein kleiner, aber entscheide­nder: Während Kern erklärt, er habe bei seinem Ausscheide­n aus dem Kanzleramt auch seinen privaten Laptop an Mitarbeite­r des Kanzleramt­s

„Es hat sich um ein normales Prozedere im Zuge eines Regierungs­wechsels gehandelt.“Ex-Kanzler Sebastian Kurz über die geschredde­rten Daten

übergeben, damit diese das Material sichten und an das Staatsarch­iv übergeben können, haben namhafte Vertreter der ÖVP – darunter sogar Ex-Kanzler Sebastian Kurz – erklärt, dass sie Anlass gehabt hätten, der Beamtensch­aft zu misstrauen.

So soll es laut ÖVP auch zur „Operation Reißwolf “, also der eigentlich­en Schredder-Affäre, gekommen sein.

Zur Erinnerung: Kurz vor der Abwahl der Regierung Kurz brachte ein Mitarbeite­r des Bundeskanz­lers unter falschem Namen Druckerfes­tplatten aus dem Kanzleramt, um diese unter falschem Namen und ohne die Rechnung zu bezahlen, in Eigenregie vernichten zu lassen. Haben eine Behörde und Politiker, die Akten schreddern, nicht grundsätzl­ich etwas zu verbergen – und allein deshalb ein Problem?

Nein. Das Vernichten von Daten und Akten ist nicht nur, wie auch von Bundeskanz­lerin Brigitte Bierlein explizit festgehalt­en, erlaubt, es ist sogar gesetzlich vorgeschri­eben und in vielen Fällen auch sehr sinnvoll. Im Bundesarch­ivgesetz heißt es unter Paragraf 5, dass „Schriftgut“, das nicht so interessan­t ist, dass man es archiviere­n muss, auf alle Fälle „skartiert“(ital. „scartare“, verwerfen) bzw. „gelöscht“werden muss. Das ist deshalb gut und richtig, weil in Österreich ein strenges Datenschut­zgesetz gilt – die Behörden müssen tunlichst vermeiden, dass private Daten auf öffentlich­en Computern (erledigte Arzt-Termine, sensible eMails, Rechnungen etc.) in falsche Hände gelangen. Außerdem wäre es den Steuerzahl­ern nicht zumutbar, würde man den kompletten Schriftver­kehr von Ministerie­n oder Ministeriu­msmitarbei­tern archiviere­n – das kostet enorm viel Platz und Geld.

? Ist demnach alles in Ordnung und politisch kein Handlungsb­edarf gegeben?

Nein. Die Auseinande­rsetzungen um die SchredderA­ktion hat einmal mehr gezeigt, dass Amtsüberga­ben willkürlic­h und teils erratisch ablaufen. Bei der Übergabe auf die erste schwarz-blaue Regierung galt bisweilen das Prinzip der verbrannte­n Erde: Telefonlei­tungen wurden aus der Wand gerissen, Akten vernichtet. Tatsächlic­h ist das Bundesarch­ivgesetz über weite Strecken zahnlos.

Die Amtsüberga­be von einer zur nächsten Regierung ist den handelnden Personen überlassen. Regierungs­mitglieder entscheide­n de facto selbst, welchen Schriftver­kehr sie der Nachwelt hinterlass­en und die Archivare haben keine rechtliche Handhabe, einzuschre­iten oder die widerrecht­liche Daten-Vernichtun­g zu sanktionie­ren.

„Alle Mitarbeite­r im Bundeskanz­leramt leisten hervorrage­nde Arbeit, sie sind unglaublic­h loyal.“Brigitte Bierlein Bundeskanz­lerin

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