Aggressive Superkeime werden in Europa zu gewaltigem Problem
Mehr Todesfälle. Spitäler spielen bei Ausbreitung große Rolle
Antibiotikaresistenz. Mehr als versechsfacht hat sich zwischen 2007 und 2015 die Zahl an Todesfällen in Europa, die auf eine Infektion mit einem extrem widerstandsfähigen Bakterium zurückgehen. Spezielle Formen von „Klebsiella pneumoniae“– ein Darmkeim, der aber u. a. gefährliche Lungenentzündungen auslösen kann – haben die Eigenschaft, auch wichtige Reserveantibiotika unwirksam machen zu können. Vor allem in Süd- und Südosteuropa nimmt ihre Verbreitung stark zu.
Einschleppungen
Internationale Forscher konnten jetzt nachweisen, dass sich diese extrem aggressiven Erreger über geografisch nahe liegende Krankenhäuser, und nicht etwa über Nahrungsmittel oder die Umwelt verbreiten. Deshalb sei es extrem wichtig, Patienten bei der Aufnahme nach früheren Krankenhausaufenthalten im Inund Ausland zu fragen, betonen die Experten. Nur so können Risikopatienten frühzeitig diagnostiziert und von anderen auch isoliert werden.
„Europäische Spitäler als Brutstätte für Superkeime“, titelt die britsche Tageszeitung The Daily Telegraph etwas reißerisch. „Antibiotikaresistenter Superkeim verbreitet sich in Europas Spitälern“, schreibt BBC News.
Quer durch Europa sorgt derzeit eine Studie für Aufsehen: Eine internationale Forschergruppe hat in 244 Spitälern aus 32 europäischen Ländern (darunter auch Österreich) fast 2000 Proben eines gefährlichen Krankheitserregers gesammelt: Und zwar eines Auslösers gefährlicher Lungeninfektionen (Klebsiella pneumoniae), der bereits gegen eine wichtige Gruppe von Reserveantibiotika (Carbapeneme) resistent ist.
Am britischen WellcomeSanger-Institut wurde die gesamte genetische Information dieser extrem resistenten Bakterien analysiert und verglichen: Welche gleichen – wie eineiige Zwillinge – einander, welche waren genetisch sehr ähnlich, welche nicht? Welche hatten wo gemeinsame Vorfahren?
Ausbreitungswege
Damit konnten die Forscher die Ausbreitungswege der Bakterien nachzeichnen: „Und dabei haben wir festgestellt, dass sich zumindest diese extrem resistenten Keime nicht über Lebensmittel, die Landwirtschaft oder die Umwelt unter den Menschen ausbreiten“, sagt Hajo Grundmann, Letztautor der Studie (Magazin Nature Microbiology) und Leiter des Instituts für Infektionsprävention und Krankenhaushygiene am Universitätsklinikum Freiburg im Gespräch mit dem KURIER. „Diese Bakterien verbreiten sich in den Krankenhäusern – und zwischen Krankenhäusern, die eng zusammenarbeiten und Patienten untereinander verlegen.“Je näher die Krankenhäuser, desto ähnlicher waren die Erreger. „Die Keime, die wir in den Krankenhäusern gesehen haben, haben typischerweise nichts mit den Erregern zu tun, die in der Massentierhaltung oder im Wasser vorkommen – was aber nicht heißt, dass man auch dort gegen resistente Keime vorgehen muss.“
Bei diesen extrem aggressiven Bakterien handle es sich „um die am raschesten wachsende AntibiotikaresistenzBedrohung in Europa“, schreibt eine der Co-Autorinnen von Grundmann. Tatsächlich hat sich die Anzahl der Todesfälle, die sich auf eine Infektion mit solchen Erregern zurückführen lassen, in Europa zwischen 2007 und 2015 mehr als versechsfacht – von 341 im Jahr 2007 auf 2094 im Jahr 2015.
Am stärksten betroffen in Europa sind Länder in Südund Südosteuropa. In Griechenland sind bereits zwei Drittel der Proben von Bakterien der Spezies Klebsiella pneumoniae extrem resistent, in Italien ist es rund ein Drittel. In Österreich ist es rund ein Prozent (Grafik). „Nördlich der Alpen sind wir noch im trockenen Bereich“, sagt Grundmann: „Aber wir müssen aufpassen, dass diese Keime nicht dauerhaft eingeschleppt werden.“
Einschleppungen
Einzelne Einschleppungen gebe es in Österreich oder Deutschland immer wieder: Etwa durch Urlauber, die im Süden in einem Spital waren. „Wichtig ist deshalb, dass diese Risikopatienten erkannt und sofort isoliert werden, bis ein Befund vorliegt.“
Die wichtigste Maßnahme sei deshalb genaues Nachfragen: „Waren Sie in den vergangenen zwölf Monaten in einem Krankenhaus? Im Inland? Im Ausland?“
Grundmann erzählt von einem Krankenhaus in Deutschland, in dem nicht nachgefragt wurde: Daraufhin gab es dort zwischen 2010 und 2013 einhundert Infektionen mit einem aus Griechenland eingeschleppten multiresistenten Bakterium: „Da waren leider auch Todesfälle dabei. Das Problem ist: Wenn sich der Erreger einmal im Spital festgesetzt hat, wird man ihn nur mehr schwer los.“
Schwierige Therapie
Und sind einmal die wichtigsten Reserveantibiotika wirkungslos, werde die Therapie schwierig. Denn noch gebe es keine neuen hochwirksamen Präparate: „Die Pharmaindustrie arbeitet daran, aber vorerst fehlt der durchschlagende Erfolg – die derzeit zur Verfügung stehenden neuen Medikamente wirken nicht gegen alle Resistenzen.“Und alte Präparate aus den 50er Jahren, die jetzt im Notfall auch wieder eingesetzt werden, hätten viele Nebenwirkungen.
Grundmann ist davon überzeugt, dass durch verstärkte Infektionskontrollen von Krankenhauspatienten das Resistenzproblem beherrsch werden kann. „Wir sind optimistisch, dass wir mit guter Krankenhaushygiene die Verbreitung dieser Erreger nicht nur verzögern, sondern auch erfolgreich kontrollieren können.“