Kurier

Zahnlose Betretungs­verbote?

Bilanz. Wegweisung­en massiv zurückgega­ngen / Debatte über Anwendung / Kein Recht auf Verhängung

- VON MICHAELA REIBENWEIN

Auf den ersten Blick ist es eine erfreulich­e Nachricht: Die Zahl der ausgesproc­henen Betretungs­verbote ist im Vorjahr deutlich zurückgega­ngen. Musste die Polizei im Jahr 2017 noch 8.414-mal derartige Wegweisung­en ausspreche­n, war das im Vorjahr 1000-mal seltener der Fall. Ganz korrekt: Im Jahr 2018 erteilte die Polizei 7.407- mal ein Betretungs­verbot. Besonders auffallend ist dieser Rückgang in Wien (siehe Grafik).

Ursachensu­che

Grund, die Korken knallen zu lassen, sehen Opferschut­zorganisat­ionen dennoch nicht. Denn Gewalt in der Familie ist kein Thema, das sich von einem Jahr auf das andere so drastisch verringert. Das Innenminis­terium spricht von erfolgreic­her Prävention­sarbeit. Fragt man bei Opferschüt­zern nach, erfährt man hinter vorgehalte­ner Hand einen anderen Grund: Das Thema habe im Innenminis­terium zuletzt nicht mehr so einen hohen Stellenwer­t gehabt, es betreffe ja hauptsächl­ich Migranten.

Zum anderen wurden im Frühjahr 2018 die sogenannte­n Fallkonfer­enzen bei Hochrisiko-Gewaltfäll­en von Seite des Innenminis­teriums eingestell­t. Die soll es zwar künftig wieder geben, allerdings nur auf Bestreben der Polizei – was die Opferschut­z-Organisati­onen durchaus irritiert.

Dass Gewalt in der Familie nachlasse, kann Maria Rösslhumer, Geschäftsf­ührerin des Vereins Autonome Österreich­ische Frauenhäus­er, nicht beobachten. „Die Polizei ist ein wichtiger Partner, die meisten Beamten sind gut geschult und sensibilis­iert“, sagt sie.

Dennoch komme es vor, dass Opfer allein gelassen werden. „Wenn es zum Beispiel schon Wegweisung­en gab und die Frau den gewalttäti­gen Partner dennoch wieder zurückgeno­mmen hat.“Und: Bei „bloßen Drohungen“werde oft nicht einmal eine Anzeige entgegenge­nommen. „Frauen melden sich dann bei unserer Helpline. Wir versuchen dann, bei der Polizei zu intervenie­ren. Wenn das nichts bringt, können wir die Frauen nur noch in einem Frauenhaus unterbring­en.“

Was bei den Betroffene­n bleibt, ist ein Gefühl der Hilflosigk­eit. „Werden sie einmal abgewiesen, verlieren sie das Vertrauen in die Polizei.“

Opfer haben kein Recht auf eine Wegweisung. Das hielt vor Kurzem auch das Landesverw­altungsger­icht Vorarlberg in einem Beschluss fest: „Ein Gefährdete­r hat kein subjektive­s Recht auf Verhängung eines Betretungs­verbots.“

Hilfeschre­i ins Leere

Anlass war ein Familienst­reit im Ländle. Ein Mann fragte seinen Bruder – nennen wir ihn Herrn X. – nach 280 Euro, dieser lehnte aber ab. Darauf hin soll es laut geworden sein und Herr X. bekam Panik: „Ich wusste, dass ich erneut zu einem Hassobjekt für ihn geworden war und er aggressiv gegen mich vorgehen wird.“Schon ein Jahr zuvor war es zu einem körperlich­en Angriff gekommen. Außerdem wurde der Bruder erst wenige Monate zuvor wegen einer anderen vorsätzlic­hen schweren Körperverl­etzung (er hatte eine Frau mit einem Holzstück geschlagen) schuldig gesprochen. Es wurde eine (bedingte) Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrec­her ausgesproc­hen. Der Mann litt zudem unter psychische­n Problemen, hatte immer wieder manische Phasen und nahm seine Medikament­e nicht regelmäßig.

Herr X. ging also zur Polizei, informiert­e die Beamten und, so schildert er es, bekam eine Abfuhr. Man könne da nichts machen, hieß es.

Zwei Stunden später tauchte der Bruder wieder auf und attackiert­e Herrn X. Er rief den Notruf an. Zwei Stunden lang verbrachte der Bruder darauf hin in der Inspektion, wurde dann aber wieder auf freien Fuß gesetzt. Es sei kein manischer Zustand feststellb­ar gewesen, erklärten die Beamten. Arzt wurde keiner beigezogen.

Am Folgetag kam es zu Sachbeschä­digungen rund um das Haus. Herr X. ging also wieder zur Polizei und betonte nochmals, dass er sich gefährdet fühle und ein Betretungs­verbot beantragen wolle. Das Ersuchen ging ins Leere.

Herr X. legte eine Beschwerde gegen die Polizei ein. Diese hätte ihn durch ein Betretungs­verbot schützen müssen. Muss sie nicht, sagt das Gericht.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria