„Wir sprechen mit unseren Patienten in Gebärdensprache“
Bei A ztbesuchen ist Kommunikation das Um und Auf. Für die gleichwertige Behandlung von Gehörlosen ist die Gebärdensprache unerlässlich – nur kann die nicht jeder.
Erika Stepan ist 80 Jahre alt, gut gelaunt und noch topfit. Wäre ihr da nicht vor Kurzem ein kleiner Unfall auf der Straße passiert, weswegen sie nun einen Gips am linken Arm trägt. Darauf strahlt eine Sonne mit Lachgesicht. „Die hat mir meine Friseurin gemalt“, sagt Erika Stepan. Alles halb so schlimm also. „Zum Glück war es nicht der rechte Arm“, sagt Thomas Ströbele, der ihr gegenüber sitzt. Die Konversation führen der Allgemeinmediziner und die Patientin in Gebärdensprache. Die beiden befinden sich in der Ambulanz für Gehörlose im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Wien. Die Ambulanz ist eine von insgesamt nur vier ihrer Art in ganz Österreich – die anderen sind in Linz, Salzburg und Graz.
Gründe f r Taubheit
Hierzulande gibt es rund 10.000 gehörlose Menschen, bis zu 400.000 Menschen sind schwerhörig, spätertaubt oder hörbeeinträchtigt. Die Gründe dafür können ganz unterschiedlich sein. Taubheit kann sowohl angeboren als auch erworben sein, ein- oder beidseitig auftreten. Die Ursache kann dabei auf dem gesamten Weg zwischen der Schallaufnahme im Ohr und der Verarbeitung im Gehirn liegen.
Erika Stepan ist seit dem frühen Kindesalter taub, „verursacht durch eine Gehirnhautentzündung“, erzählt sie. Die Pensionistin kommt insgesamt gut zurecht, doch kann auch von einigen Schwierigkeiten erzählen – meist verursacht durch Verständnisprobleme. Dabei ist gerade für eine optimale Gesundheitsversorgung die Qualität der Kommunikation wichtig. „Es kommen viele Patienten zu uns, nachdem sie bereits beim niedergelassenen Facharzt waren. Einfach, um sich noch einmal abzusichern, ob sie alles richtig verstanden haben. Zum Beispiel was die Einnahme der Medikamente betrifft“, schildert Ströbele. Er ist seit Anfang an Teil der Ambulanz – also seit nunmehr 20 Jahren –, seit vier Jahren leitet er sie auch. „Wir machen das, was normalerweise der Hausarzt macht. Unser Fokus liegt besonders auf der Vorsorge. Wir begleiten aber auch Patienten zu Fachambulanzen und besuchen sie auf den Stationen.“Unterstützung erhält er von zwei Gesundheits- und Krankenpflegern – einer davon ist selbst gehörlos. Auch für die psychosoziale Betreuung ist dank Klinischer Psychologinnen und eines Sozialarbeiters gesorgt. Finanziert wird die Ambulanz et a zu einem Drittel vom Fond Soziales Wien, zwei Drittel übernimmt das Spital selbst.
Für die Gemeinschaft der Gehörlosen ist das Barmherzige Brüder Krankenhaus somit zu einer wichtigen Anlaufstelle in einer Welt der strukturellen Barrieren geworden. „Es passieren nicht nur Missverständnisse. Gerade in Notfällen kann es auch zu brenzligen Situationen kommen. Ich kann mich an einen gehörlosen Herzinfarkt-Patienten erinnern, der akut an den Herzkatheter musste, den aber niemand über die Vorgehensweise aufklären konnte. Wir wurden angerufen und haben spontan übersetzt“, erinnert sich Ströbele. Seine Mitarbeiter und er selbst werden oft um Hilfe gebeten – „auch von anderen Krankenhäusern.“
Komplexe Sprache
Gehörlose kommunizieren mit der Österreichischen Gebärdensprache (ÖGS), eine linguistisch vollwertige Sprache, die seit dem Jahr 2005 als eigenständige Sprache in der Verfassung verankert ist. Gebärden sind nicht überall auf der Welt gleich: Es gibt nationale Varianten (rund 200), Dialekte und je nach sozialer Gruppe unterschiedliche Formen. Das Fingeralphabet, welches über die Grenzen eines Landes hinaus verständlich ist, macht wiederum eine internationale Kommunikation möglich.
Gebärden sind nicht mit Pantomime gleichzusetzen, sondern ein komplexes Zusammenspiel aus Mimik,
Gestik und Körperhaltung im Sinne der Verständigung. Wie wichtig es ist, dass die eigene Sprache der Gehörlosen auch in ihrer Umwelt Niederschlag findet, zeigt die Tatsache, dass über Lippenlesen allein nur et a 30 Prozent des Sprachinhaltes verstanden werden kann.
100 Dolmetscher für ÖGS arbeiten hierzulande als Übersetzer. „Wenn es um einen planbaren Termin geht, bei dem eine Behandlung oder ein Eingriff besprochen werden muss, ist es kein Problem, einen Dolmetscher zu organisieren. Aber im Notfall, also auf die Schnelle, ist das nicht möglich. Dafür gibt es einfach zu wenige“, fasst Ambulanzarzt Thomas Ströbele zusammen.
Dem pflichtet auch der Österreichische Gehörlosenverband bei. „Die größten Hindernisse herrschen im Bildungsbereich vor. In Österreich ist et a das Recht auf einen zweisprachigen Unterricht noch immer nicht verankert. Es gibt flächendeckend viel zu wenige Dolmetscher und ein zu kleines Budget für deren Finanzierung“, sagt Helena Jarmer, Präsidentin des Österreichischen Gehörlosenbundes. Auch eine Telefonvermittlungszentrale und ein landesweites 24-Stunden-Notrufsystem, die barrierefreie Kommunikation und ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen, würden fehlen. Helena Jarmer: „Diese Hürden haben aber wenig mit der Gehörlosigkeit zu tun. Vielmehr sind es die Strukturen, die behindern.“
Nicht bemitleidenswert
Gehörlose Menschen können alles, außer hören. Es sei kein schlimmes Schicksal, gehörlos zu sein, sagt Helena Jarner, die aus eigener Erfahrung spricht. „Gehörlose Menschen sind auch nicht bemitleidenswert und bedürfen keiner besonders fürsorglichen Behandlung. Problematisch ist, dass oft eher die Schwächen gehörloser Menschen betont werden, anstatt ihre Stärken zu sehen und diese zu fördern.“
Die Ambulanz für Gehörlose ist Mo, Di, Mi, Fr von 8 bis 13 Uhr und am Do von 15 bis 19 Uhr geöffnet. Telefon: 01 / 211 21 - 3050 Videotelefon: 0665 / 6212449 (Mo - Fr 14 - 15 Uhr)
„Hürden haben wenig mit der Gehörlosigkeit zu tun. Vielmehr sind es die Strukturen, die behindern.“Mag.a Helena Jarmer Präsidentin des Gehörlosenbundes