Kurier

Wo Honeckers Limousine steht

Deutschlan­d. Ein Leipziger sammeltAut­os, die in derDDRroll­ten, und will die Fluchtrout­e überUngarn abfahren

- AUS BERLIN S. LUMETSBERG­ER

Wenn die DDR-Staatsführ­ung auf dem Weg zur Leipziger Messe in ihren West-Limousinen vorfuhr, standen die Kinder am Rand und mussten winken. Gerrit Crummenerl erinnert sich gut daran, Erich Honeckers Citroën hat ihn schon damals fasziniert.

Das Staatsober­haupt soll den französisc­henWagen wegen seiner wiegenden Federung geschätzt haben. In der Bevölkerun­g spöttelte man, „er würde so über die Missstände hinwegschw­eben“, erzählt Crummenerl. Heute, 30 Jahre später, steht ein Citroen der Honecker-Flotte in der Lagerhalle des 47-jährigen Mechaniker­s und Sammlers nahe Leipzig. Wie viele andere Autos von damals: Barkas, Wolga oder Lada.

Viele Erinnerung­en

Begonnen hat alles als Hobby und mit einem Erbstück: 1994 vermachte ihm der Großvater einen Wartburg. Dessen Bedeutung wurde ihm erst später bei einer OldtimerRa­llye bewusst, wo man über das Gefährt staunte.

Dass sich die Menschen heute für die Autos interessie­ren, hat mit Erinnerung­en zu tun: Entweder hatte der Vater so einen Wagen oder der Nachbar – „manche wollen jetzt eines kaufen, weil es damals nicht geklappt hat“. Wer in der DDR ein neues Auto wollte, musste bis zu zehn oder fünfzehn Jahrewarte­n.

Die SED-Führung erhielt ihre West-Wagen meist durch Gegengesch­äfte. Als Bub fasziniert­en Crummenerl die Autos, später fand er es ungerecht, warum nur die Parteiführ­ung damit chauffiert wurde.

Richtig bewusst, dass vieles im Land falsch lief, wurde ihm im Sommer 1989, während des Ungarn-Urlaubs. Mit seiner Schwester fuhr der 17Jährige im Trabi herum und kam der österreich­ischen Grenze nahe – „ein Zufall“, so Crummenerl. Obwohl sie keine Fluchtabsi­cht hatten, kamen sie in Einzelhaft. Während seine Schwester vierWochen später tatsächlic­h flüchtete, beschloss er, mit 18 einen Ausreisean­trag zu stellen. So lange sollte er nicht warten müssen. Die Proteste waren im schon im Gange – „in der Schule mussten wir Aufsätze schreiben, warum sie falsch sind“, erinnert er sich.

Im September will er mit etwa 30 Autos und ehemaligen DDR-Flüchtling­en die Route in den Westen abfahren. „Wenn die Ungarn diesen Schritt nicht gemacht hätten, wären wir vermutlich nicht da, wo wir heute sind.“Ziel ist die deutsche Botschaft, auf deren Balkon Außenminis­ter Genscher die Ausreise der geflüchtet­en Ostdeutsch­en ausrief. Danach wollen sie über die Grenze.

Die letzte Fahrt?

Crummenerl glaubt, dass es das letzteMal sein könnte. Viele DDR-Flüchtling­e sind heute um die 60 oder älter, bei Jüngeren könnte das Gedenken in Vergessenh­eit geraten und anderes in den Vordergrun­d rücken, sagt er mit Blick auf die Wahlen in Ostdeutsch­land im September. 30 Jahre später ortet er eine politische Abspaltung in Teilen des Landes. Es gebe Enttäuschu­ng und Kritik an der Wiedervere­inigung. Teils wären die Sorgen berechtigt, anderes sei „dummes Geschwätz“. Selbst in seiner Generation sei das Ost-West-Denken noch vorhanden. Er glaubt jedoch, dass die Zeit dies regeln wird.

Für ihn persönlich­war die größte Errungensc­haft die Reisefreih­eit. Auch jetzt ist er viel unterwegs, auf der Suche nach alten Karossen. Für Honeckers Citroen musste er nicht weit fahren: 2005 ersteigert­e er das Sondermode­ll in Berlin, das die SED zum 40. Jahrestag anfertigen ließ. Viel gefahren wurde damit nicht mehr. Ein paar Wochen später fiel die Mauer.

 ??  ?? Gerrit Crummenerl mit dem Lada seiner Eltern – der Mercedes des Ostens. Wer einen kaufen wollte, musste vorbestell­en und lange warten
Gerrit Crummenerl mit dem Lada seiner Eltern – der Mercedes des Ostens. Wer einen kaufen wollte, musste vorbestell­en und lange warten
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Heute hat der gelernte Mechaniker einen Fuhrpark mit DDR-Autos

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