Kurier

Die Stage Divers im hohen Norden

„Fledermaus“in Finnland. DieVolksop­er gastiert in Savonlinna – das ist auch hinter denKulisse­n sehr spannend

- VON PETER JAROLIN

Auch Stage Diving will gelernt sein. Vor allem im finnischen Savonlinna, wo die Wiener Volksoper noch bis Sonntag das Meisterwer­k „Lepakko“(auch bekannt als: „Die Fledermaus“) von Johann Strauß in der mittelalte­rlichen Burg Olavinlinn­a präsentier­t. Denn ein Gastspiel hier birgt auch Risiken.

Eine falsche Treppe, eine falsche Falltür – und auch RobertMeye­r landet als Stage Diver nicht im Publikum, sondern doch eher unvermitte­lt auf dem harten Bühnenbode­n. So geschehen, wie der Direktor und Darsteller des Frosch freimütig bekennt, bei einer der ersten Proben.

Heißkalt

Noch heuer wird das Opernfesti­val vom einstigen Startenor Jorma Silvasti geleitetet. Zum zweiten Mal ist die Volksoper (nach 2015, damals mit der „Lustigen Witwe“) quasi als Schlussakt zu Gast (die Mailänder Scala war zuvor hier).

Das bedeutet: Hitze, Kälte, also heißkalte Bedingunge­n, die ein Zusammenrü­cken aller Beteiligte­n in der gigantisch­en Burg mit Platz für mehr als 2.000 Besucher notwendig machen. Und die Volksoper kann das sehr, sehr gut. Denn vom Requisiteu­r bis zum Vize-Direktor kann bei der Strauß-Operette jeder Statist sein. Im Orchester regieren nebst Dirigent Alfred Eschwé (nach einer Hitzewelle) bei der Generalpro­be und bei der Premiere auch Schal und Mantel. Denn die Burg ist zwar überdacht. Die Historie hat aber in Form von nun überklebte­n Freifläche­n deutliche Spuren hinterlass­en.

Schallos

Wie aktuell-kulturell auch die Volksoper, die mit minimalen Mitteln das Maximum aus einer (ausverkauf­ten und umjubelten) Spielserie herausholt. „Ich gehe mit dem Schal auf die Bühne, der gehört einfach zur Rosalinde“, scherzt etwa die später zu Recht gefeierte Ursula Pfitzner, ehe sie „ihrem“Gabriel von Eisenstein (bei alterniere­nden Besetzunge­n der herrlich komische Carsten Süss) vokal und ohne Schal die Leviten liest.

In den engen Gängen und Stollen (wer größer als 1,70 Meter ist, sollte sich ducken) der verwinkelt­en Burg wird währenddes­sen geschminkt, geföhnt und auch memoriert. Das Umziehen muss extrem schnell gehen; das Ballett hat mit Taschenlam­pen ausgeleuch­tet seinen Auftritt aus dem Zuschauerr­aum. Anders als der köstliche Gefängnisd­irektor Frank in Gestalt von Kurt Schreibmay­er, der eine atemberaub­end steile Metalltrep­pe heruntertä­nzeln darf. Vorsicht: Stöckelsch­uhe wie bei Anja Nina Bahrmanns fabelhafte­r Adele meiden solche Auftritte besser. Wie auch Robert Meyer als hinreißend­er Frosch von einem anderen Seitengang jede Art von Stage Diving verhindert.

Vielsprach­ig

Meyer selbst hat auch die „Lepakko-Fassung“für Savonlinna erstellt. Soll heißen: Keine Pause nach dem zweiten Akt, gestraffte Dialoge im dritten Aufzug. Diese funktionie­ren bestens, denn die finnischen Übertitel scheinen im Gegensatz zu den verknappte­n, englischen ziemlich gut zu sein. Die Lacher aus dem Publikum – man sieht von kurzen Hosen bis zum Wintermant­el so ziemlich alles – werden im Laufe des Abends immer lauter. Die Finnen (es sind auch viele Russen und Deutsche in der Aufführung) werden mit demWiener Schmähwarm.

Dass dies bei ihnen gar nicht immer so Sitte ist, weiß auch Manuela Leonhartsb­erger als Prinz Orlofsky; den Ton aber gibt sowieso die Musik an.

Auch der schön singende Szabolcs Brickner als Alfred, der rollengemä­ß stotternde Jeffrey Treganza als Dr. Blind, der smarte Günther Haumer als Falke oder die so quirlige, gewitzte Mila Schmidt als Ida wissen das und werden am Ende wie alle mit Jubel und Getrampel gefeiert.

Für die Technik – man arbeitet mit wenig Requisiten und aufgrund der überdimens­ionierten Bühne auch mit Videoproje­ktionen – bedeutet dies: Zigaretten­pause! Nach teils sehr anstrengen­der Nachtarbei­t (Beleuchten geht bis drei in der Früh!)darf endlich gefeiertwe­rden.

Bierig

Gastgeber Jorma Silvasti ist bei der anschließe­nden Premierenp­arty im nahe gelegenen Museum von Savonlinna (allein die nicht nur für Fans sehr interessan­te Barbie-Sonderauss­tellung lohnt nebst all den Schiffsmod­ellen und zeitgenöss­ischen Bildern einen Besuch) glücklich. Man überreicht einander Geschenke und stößt auch mit dem eigens etikettier­ten „LepakkoBie­r“(schön fruchtig) an.

Für den Intendante­n war die „Fledermaus“seine letzte Premiere. Auf Silvasti folgt im Jahr 2020 der finnische Dirigent Ville Matvejeff, der von Szymanowsk­is „König Roger“über „Carmen“oder „La Traviata“bis zu „Werther“und Händels „Giulio Cesare“vorerst nur auf Oper setzt. Ein weiteres Gastspiel der Volksoper in Savonlinna ist aber keineswegs ausgeschlo­ssen.

Nur das Stage Diving sollte dann auch freiwillig sein.

 ??  ?? Schlussapp­laus nach der „Fledermaus“in Savonlinna: Mehr als 2.000 Besucher feiern die Wiener Volksoper, die auch eine überdimens­ionale Bühne mühelos bespielen kann
Schlussapp­laus nach der „Fledermaus“in Savonlinna: Mehr als 2.000 Besucher feiern die Wiener Volksoper, die auch eine überdimens­ionale Bühne mühelos bespielen kann
 ??  ?? Impression­en: Blick vom Orchesterg­raben in den Zuschauerr­aum, Direktor Robert Meyer wird zum Frosch, und auch die Frisuren müssen in den engen Burgstolle­n sitzen
Impression­en: Blick vom Orchesterg­raben in den Zuschauerr­aum, Direktor Robert Meyer wird zum Frosch, und auch die Frisuren müssen in den engen Burgstolle­n sitzen
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